Es ist der Schritt in eine andere Welt. Draußen tobt der regnerische Winter von Recklinghausen. Hinter dem Eingang des Hauses an der Ecke Egerstraße/Herner Straße duftet es hingegen nach Zimt und Curry, nach Chili und Koriander – mitten auf der Hillerheide. Tropische Pflanzen schmücken große, dunkelgrüne Fensterläden. Das ferne Indien pulsiert, der Sehnsuchtsort britischer Kolonialisten, die Heimat Mahatma Gandhis, das Taj Mahal. „Rice n‘Spice“ heißt das Restaurant, das Mohammad Rahman hier im Wiener Viertel im Jahr 2022 eröffnet hat. Das getreu dem Namen die beiden wichtigsten Bestandteile der indischen Küche vereint. Reis, der auf dem Subkontinent für Wohlstand und Fruchtbarkeit steht. Und Gewürze, für welche die indische Küche berühmt und zuweilen wegen ihrer Schärfe berüchtigt ist.

Ein Computerspezialist an den Pfannen
Es ist ein normaler Arbeitstag für Mohammad Rahman. Aber er steht nicht in der Küche, sondern blickt konzentriert auf seinen Laptop. Hauptberuflich ist Rahman nämlich Informatiker. Das Restaurant betreibt er nebenbei. Rahman ist das, was man neumodisch einen „Workaholic“ nennt, ein echtes Arbeitstier. Auf dem einen Ohr trägt der 44-Jährige einen AirPod-Kopfhörer, um direkt ans Telefon gehen zu können, wenn er angerufen wird. Das andere Ohr hält er frei, um mitzubekommen, wenn sein Küchenchef Anil Chamoli oder einer seiner anderen Mitarbeiter mit ihm spricht.
Theoretisch ist auch Rahman Küchenchef, zumindest an manchen Tagen. „Aber nur für bengalische Spezialitäten“, sagt er. Bei besonderen Anlässen kocht er spezielle Gerichte wie „Paya“, das sind ausgekochte Rinderfüße. Ansonsten ist Anil Chamoli der Boss in der Küche. Rahman überblickt das Geschehen, während er am Laptop sitzt. Manchmal muss er in der Küche Anil Chamoli bei aufwendigeren Rezepten assistieren.

Mohammad Rahman, der 2013 für das Master-Studium nach Deutschland zog, hat im Gegensatz zu seinem Küchenchef Anil Chamoli keine klassische gastronomische Ausbildung genossen. „Aber ich liebe einfach kochen, ich liebe Essen“, sagt er und grinst. Rahman half schon als Kind seiner Mutter in der Küche. Seine Verbindung zum Kochen habe daher eine emotionale Komponente. „Es ist nicht typisch für südasiatische Jungen, in der Küche zu helfen“, betont sein Freund Iftekharul Huque, der ihn im Restaurant unterstützt, wo er kann. Rahmans Mutter starb vor drei Jahren. Ein herber Verlust, der den 44-Jährigen mit dazu bewegte, das Restaurant in Recklinghausen zu eröffnen – quasi als Andenken an seine Mama, die ihm alles beigebracht hat.
Die Arbeit als Gastronom in Verbindung mit seinem regulären Job als Informatiker ist aber nicht immer einfach, gibt Rahman mit ernstem Blick zu. „Ich habe zudem drei Kinder zu Hause, die eine Menge Aufmerksamkeit benötigen“, berichtet er. „Praktisch arbeite ich also jeden Tag zu jeder Zeit.“ Umso glücklicher ist Rahman daher über die Unterstützung von Huque und Küchenchef Chamoli.
Auch Anil Chamoli hat Familie. Allerdings lebt seine Frau mit den gemeinsamen Kindern noch in Indien. „Klar, vermisse ich sie“, sagt Chamoli mit leicht glasigen Augen. Mindestens einmal im Jahr fliegt er deshalb nach Indien, um sie zu besuchen.
Region Uttarakhand bekannt für Top-Köche
Chamoli stammt aus Uttarakhand – einem Bundesstaat in Nordindien, der immer wieder gute Köche hervorbringt, wie der 36-Jährige erklärt. Etwa 80 Prozent der Bevölkerung der Region liege das Kochen im Blut, sagt man in Indien. Und auch die meisten indischen Köche, die in Restaurants in den USA, Großbritannien oder eben Deutschland arbeiten, stammen aus der Küchenchef-Schmiede von Uttarakhand. Anderthalb Jahre dauerte Anil Chamolis Ausbildung, betont er. Dann führte ihn seine Karriere durch mehrere Restaurants im Norden Indiens, er arbeitete etwa vier Jahre in Delhi und sechs Jahre in einem Hotel-Resort. Ehe es für ihn nach Deutschland ging, wo er seit 2022 seine Kochkünste in Mohammad Rahmans „Rice n’Spice“ unter Beweis stellt.

„Butter Chicken“ und „Tandoori“
„Die nordindischen Speisen sind übrigens jene, die in Deutschland und Europa sehr bekannt sind“, ergänzt Chamoli. Da wäre zum Beispiel das „Butter Chicken“ (murgh makhani), ein Gericht, das ursprünglich aus Delhi stammt, wie der Küchenchef betont. Klassischerweise gehören neben den namensgebenden Zutaten Hühnerfleisch und Butter auch Sahne, Tomatenpaste, Zwiebeln, Ingwer und diverse Gewürze dazu. „Wir haben bei uns zwei Varianten des ‚Butter Chickens‘“, betont Mohammad Rahman, während beim Zubereiten der Soße für nur wenige Sekunden eine Stichflamme hervorschießt. Die eine ist eher mild, so wie es deutsche Gäste aus vielen anderen Restaurants kennen. Die originale, die wirklich indische Variante, sei hingegen deutlich schärfer – „und etwas cremiger.“
Ebenfalls gefragt bei deutschen Gästen sei das „Tandoori Chicken“, das gerade in einer anderen Pfanne neben dem „Butter Chicken“ brutzelt. Anil Chamoli brät dafür mehrere Hähnchenschenkel an, die er bereits am Tag zuvor mit einer speziellen Joghurt-Marinade präpariert hat. Eine ganze Nacht müssen die Schenkel im Kühlschrank schlummern, bevor sie in die Pfanne wandern. Als Beilage röstet Chamoli Gemüse, gemischte Paprika, Zwiebeln sowie Rot- und Weißkraut und garniert das fertige Gericht mit Gurken- und Tomatenscheiben, mit einer Zitrone und mit Koriander.
Eine Besonderheit im „Rice n‘Spice“: Es wird kein Alkohol ausgeschenkt. Die Gäste sollen das Essen bewusst erleben. Als gläubiger Muslim verzichtet Mohammad Rahman ohnehin auf Alkohol. Die Gäste können zudem eine Art „Buffet“ bestellen, erhalten dann zum Beispiel mehrere typisch-indische Gerichte am Tisch, die sie miteinander kombinieren können.

Indische Gerichte sind nicht alle scharf
Und übrigens: indische Gerichte sind nicht immer scharf (ein weit verbreiteter Mythos, wie Rahman betont). Der 44-Jährige setzt in seinem Restaurant auf drei Schärfegrade: „Deutsch“, „mittelscharf“ und „indisch“, die feurigste Variante. Jeder Gast kann also selbst entscheiden, wie scharf sein Essen zubereitet werden soll. Für das „Feuer“ in den Gerichten sorge die grüne Chilischote und rotes Chilipulver, verrät er. „Die Gewürze haben eine geradezu ‚magische Wirkung‘ in unserer Küche“, ergänzt Mohammad Rahman. „Nehmen wir zum Beispiel ein deutsches Kartoffelpüree, das schmeckt ganz anders als ein indisches, eben wegen der Zutaten und Gewürze.“ In der indischen Variante werden etwa noch Zwiebeln, Chili, Zimt und Koriander in die Kartoffelmasse gemischt.
Noch sei das „Rice n‘Spice“ eher ein Geheimtipp, aber auch in Recklinghausen habe man schon einige Stammkunden gewinnen können. Besonders an Wochenenden wird es oft voll. Gerade wegen der speziellen Note der eigenen Küche, vermutet Rahman.
Recklinghausens Küchenchefs
In der Serie „Recklinghausens Küchenchefs“ stellt diese Redaktion Köche und Köchinnen aus der hiesigen Gastro-Szene vor. Im Fokus steht ihr Werdegang und wie die Köche ihre kulinarische Idee im Restaurant umsetzen. Im siebten Teil der Reihe haben wir das indische Restaurant „Rice n‘Spice“ besucht.