Gymnasiallehrer ist „total überrascht“ von Grundschul-Job „Da ziehe ich alle Hüte“

Gymnasiallehrer ist vom Job an der Grundschule „total überrascht“
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Mirko Bregullas Gesichtsausdruck ist eine Mischung aus Überraschung und Fassungslosigkeit. „Lehrer am Gymnasium und an der Grundschule zu sein: Das sind zwei total unterschiedliche Berufe“, sagt der 46-Jährige. 15 Jahre lang hat er Sport am Hittorf-Gymnasium in Recklinghausen unterrichtet, jetzt arbeitet er zwangsabgeordnet seit drei Monaten an der Ludgerus-Grundschule in Herten – und ist von seinem neuen Job in vielerlei Hinsicht „total überrascht“.

„Die Arbeit ist hier extrem anstrengend. Das hätte ich nicht gedacht“, gesteht Mirko Bregulla. „Ich denke da oft an diese magischen Geburtstagskerzen, die wieder angehen, direkt nachdem man sie ausgepustet hat. So ist das auch in der Grundschule: Vor dir gibt es zwei Brandherde. Die löschst du und drehst dich um, weil hinter dir ebenfalls Tohuwabohu herrscht. Und wenn du da für Ordnung gesorgt hast, ist schon wieder hinter dir Alarm...“ Und mit leichtem Kopfschütteln fügt er hinzu: „Teilweise wächst mir das alles meterhoch über den Kopf.“

Der Lehrer bringt den Unterschied zwischen Gymnasium und Grundschule auf den Punkt: „Am Gymnasium wissen die Kinder schon ganz gut, wo es langgeht, das läuft ganz geordnet. Aber hier an der Grundschule sind 80 bis 90 Prozent reine Erziehungsarbeit, der Rest bleibt für Stoffvermittlung.“ Mirko Bregulla schaut einen Moment lang nachdenklich, dann nennt der gelernte Diplom-Sportwissenschaftler ein Beispiel: „Ich unterrichte einen Teil meiner Zeit Sport. Um die Kinder einer Klasse in Zweierreihen und geordnet die 15 Meter von der Schule zur Turnhalle zu bekommen, habe ich eine komplette Stunde gebraucht.“ Das sei natürlich eine riesige Zeitinvestition, aber: „Irgendwann wird es dann schneller klappen.“

Fehlender Respekt gegenüber Lehrkräften

Enorme Konzentrationsprobleme, große motorische Schwierigkeiten und fehlender Respekt gegenüber Lehrkräften bei manchen Kindern – all das seien Themen, mit denen sich die Lehrerinnen und Lehrer an der Ludgerus-Grundschule auseinandersetzen müssten, berichtet Mirko Bregulla. „Es gibt Kinder, die bringen jede Menge Probleme mit – ohne etwas dafür zu können.“

Wieder schaut der 46-Jährige überrascht, fast ungläubig. „Das hätte ich alles nicht so erwartet“, gibt er zu und betont: „Es ist Wahnsinn, was die Lehrkräfte an den Grundschulen für Arbeit leisten, was die alles geregelt bekommen müssen, im ständigen Spagat zwischen Lehrstoff und sozialer Arbeit mit sehr unterschiedlichen Kindern.“ Mirko Bregulla deutet lächelnd eine Verbeugung an: „Da ziehe ich alle Hüte vor.“

„Wenn ich nach Hause komme, bin ich total platt“

So steht für ihn fest: „Es ist längst überfällig, dass die Lehrkräfte an den Grundschulen so viel Geld bekommen wie die an Gymnasien.“ Er hat in den ersten drei Monaten an der Grundschule hautnah erfahren, wie hart die Arbeit dort oft ist. „Das hatte ich total unterschätzt, wie viel Energie das saugt. Das geht auch über meine vorherigen Vorstellungen von einem ,sozialen Brennpunkt‘ hinaus. Wenn ich nach Hause komme, bin ich total platt, lege mich manchmal hin und schlafe dann direkt ein.“

Die Ludgerus-Grundschule in Herten.
Für zwei Jahre ist Mirko Bregulla an die Hertener Ludgerus-Grundschule abgeordnet worden. © Meike Holz

Acht Stunden Sport in der Turnhalle, vier Stunden Schwimm-Begleitung, 16 Stunden Förder-Unterricht im Bereich „Deutsch als Zweitsprache“ (DaZ): Das ist das Wochenprogramm für Mirko Bregulla an der Ludgerus-Schule. „Gerade bei DaZ ist der Bedarf viel größer. Da könnten wir gut mehr Leute gebrauchen. Und wenn es geht, solche, die das auch studiert haben“, schildert der Recklinghäuser. Wieder schaut er ernst: „Ich bin Diplom-Sportwissenschaftler. Da fehlen mir manchmal auch die Skills“, sagt Mirko Bregulla und hinterfragt damit letztlich den Sinn seiner Zwangsabordnung. Der Recklinghäuser ist einer von kreisweit insgesamt 17 Gymnasiallehrern, die im Sommer 2024 für zwei Jahre an Grundschulen abgeordnet wurden.

Doch Mirko Bregulla ist weit entfernt davon, mit seinem derzeitigen Job zu hadern. Versöhnlich breitet der 46-Jährige die Arme aus. „Ich fühle mich nicht unwohl an der Grundschule. Da ist ein tolles Lehrer-Team, das gut zusammenarbeitet, da sind auch tolle Kinder. Und kleine Erfolgserlebnisse bei den Schülern machen meinen Tag schöner“, erzählt er. Und nach einem Moment des Nachdenkens fügt er hinzu: „Diese andere Perspektive wird mich nicht zu einem schlechteren, sondern vielleicht zu einem besseren Lehrer machen.“

Mirko Bregulla ist eigentlich Lehrer am Hittorf-Gymnasium. Er wurde abgeordnet, aushilfsweise an einer Grundschule zu unterrichten.
Mirko Bregulla: „Ich bin überzeugt, dass dies Gottes Plan ist.“ © Jörg Gutzeit

Großen Halt erhält Mirko Bregulla bei seiner Grundschul-Lehrerzeit von Gott, wie er betont. „Ich bin überzeugt, dass dies Gottes Plan ist. Ich weiß, dass ich diese Aufgabe von Gott gestellt bekommen habe. Ich weiß zwar nicht, wohin er mich führt, aber ich nehme diese Herausforderung an, sie gehört dazu“, sagt der evangelische Christ mit großer Überzeugung in seiner Stimme. „Gott ist ein wichtiger Bestandteil meines Lebens“, erzählt der Pädagoge. „Im Gebet, in der Verbindung zu ihm erhalte ich neue Kraft, Rückhalt und Motivation, wenn das Leben schwer ist.“ So erleichtere ihm Gott, die Situation anzunehmen. Für den dreifachen Familienvater steht fest: „Ich will Gottes Plan so gut wie möglich umsetzen – und ich glaube, ich werde gestärkt hier rausgehen.“

Denn „rausgehen“, das möchte Mirko Bregulla wieder nach der Zwangsabordnung vom Gymnasium an die Grundschule. „Ich fühle mich hier gut, aber auch weit entfernt von dem, was ich gelernt habe“, sagt der Quereinsteiger. „Ich möchte dann gerne wieder in meinen ,Stammberuf‘ ans Hittorf-Gymnasium zurück.“

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 27. November 2024.