Aus dem Meer aus Grabkerzen, Blumen, Bonbons und Botschaften vor der Wohnung der getöteten Seniorin (71) in Hillen sticht ein Abschiedsbrief besonders hervor: „Liebe Rita, es war toll mit dir. Danke für die ganzen Süßigkeiten. Liebe Grüße in den Himmel.“ Wie bekannt, und vor allem wie beliebt die Frau in ihrem Sprengel war, hat sich schon unmittelbar nach ihrem gewaltsamen Tod abgezeichnet. Dass Rita einen regelrechten Promi-Status hatte, wird vor Ort eindrucksvoll und auf berührende Weise deutlich. Hillen trauert und steht unter Schock. Der mutmaßliche Mord an der Seniorin trifft den Stadtteil in Recklinghausen mit voller Wucht. Am Sonntag (12.1.) war die 71-Jährige tot in ihrer Wohnung aufgefunden worden – mit mehreren Stichwunden im Hals. Noch am selben Tag war ein 21-Jähriger unter dringendem Tatverdacht festgenommen worden. Er sitzt in Untersuchungshaft. Ihm werden Mord und Raub mit Todesfolge vorgeworfen.

Ein Mann mittleren Alters bleibt stehen. Das sei sein Arbeitsweg, erklärt er. Er könne kaum an dieser Stelle vorbeigehen, so traurig mache ihn das. Ihm und seinem Vater habe Rita immer Bonbons geschenkt, bringt er hervor. „Eukalyptus-Oma“ wurde die gute Frau wegen ihrer spendablen Art genannt. Auch einige Tüten solcher Bonbons stehen zwischen den Grabkerzen und Blumen an der Straße Hillen.
An der Ecke Castroper Straße/August-Schmidt-Ring befindet sich das Blumengeschäft von Jessica Labahn. Mit einem Foto von Rita erinnert diese vor ihrem Laden an die kleine Hillener Berühmtheit. Sonst schreibt Labahn jede Woche aufmunternde oder sinnstiftende Sprüche auf eine Tafel. Nun steht dort: „In liebevoller Erinnerung an unsere Rita“.
Sie habe die Frau mit dem Rollator seit 2010 gekannt. „Sie war immer fröhlich, hatte immer einen Spruch auf den Lippen“, sagt Labahn. „So ganz persönlich kannte man sie nicht, aber sie kam in jedes Geschäft und hatte für jeden einen Spitznamen. Ich war ,Blümchen‘“.

Das Foto von Rita habe sie selbst gemacht. Es gebe jährlich eine Aktion von Fleurop. Eigentlich lege sie dann in Ost und in Hillen Blumensträuße an verschiedenen Orten ab. „Rita kam mir an diesem Tag entgegen, und ich habe ihr einen der Sträuße in die Hand gedrückt. Aber ich nehme an, dass sie die Blumen weiterverschenkt hat. Sie hat nie etwas angenommen.“ Auch das wird bei Facebook erzählt: Rita sei bescheiden gewesen, habe in ärmlichen Verhältnissen gelebt, angeblich sogar ohne Strom und Gas in ihrer Wohnung in Hillen. Geschenke aber habe sie nicht annehmen wollen.

Sie habe Pfandflaschen gesammelt, erzählt ein Mitarbeiter eines Reifenhandels an der Castroper Straße. Das Geld habe sie dann in Bonbons, Schokobrötchen und Überraschungseier umgesetzt – und verschenkt. Vornehmlich an Kinder, aber auch Erwachsene habe sie bedacht. Bis zum Bahnhof sei sie dabei mit ihrem Rollator gelaufen, erzählt der Mann. Er erinnert sich daran, dass Rita erst mit einem Einkaufswagen als Gehhilfe unterwegs war, bevor ihr ein Rollator bewilligt worden sei. Drei Tage, ehe sie tot in ihrer Wohnung gefunden wurde, habe er noch mit ihr gesprochen.

Er habe bislang nichts von einem Verbrechen mitbekommen, sagt ein Hillener auf dem Parkplatz von Marktkauf Knödgen. Auf den Hinweis, dass er die Frau zumindest vom Sehen von der Castroper Straße kennen könnte, platzt es aus ihm heraus: „Aber doch nicht die Frau mit dem Rollator?!“ Der Mann ist schockiert. Er habe im Lidl sogar mal mit ihr gesprochen – und den Eindruck gewonnen, dass sie sich dort ein bisschen die Zeit vertreibe. Auch diese Geschichte macht die Runde: dass die getötete Seniorin in Supermärkten für ein bisschen Ordnung gesorgt habe.
Ob beim Betreten oder beim Verlassen des Blumenladens von Jessica Labahn: Die Kunden sprechen über Rita – in den höchsten Tönen. „Man bekommt die geballte Trauer mit“, sagt die Floristin. Kinder hätten in ihrem Geschäft schon geweint, Senioren seien verängstigt. „Die Leute müssen sich verabschieden. Hier in Ost oder in Hillen müsste etwas stattfinden, das die Leute auffängt.“ Es werde gemunkelt, dass es Angehörige gibt, aber das wisse sie nicht.

„Alle sind betroffen, alle kannten sie“, sagt Jessica Labahn. „Und jeder wird die gleichen lieben Worte über sie verlieren.“ Die Blumenhändlerin erinnert sich auch gerne an Samstage, an denen Rita Lotto spielte. „Dann hat sie die Ladentür aufgemacht und hat gerufen: ,Däumchen drücken, Jamaika ruft!‘.“ Jamaika sei ihr Sehnsuchtsort gewesen. Und sie habe alle dorthin mitnehmen wollen.
Andacht für Rita
Die Facebook-Gruppe „Wir sind Recklinghausen“ lädt für Sonntag (19.1.) um 12 Uhr zu einer Art Andacht für Rita auf. Nach einer kurzen Ansprache (11.50 Uhr) auf dem Rathausplatz will man bis 12.15 Uhr ihrer schweigend gedenken.