Sie saßen gerade in ihrem Hotel beim Frühstück, als die ersten Raketen auf Tel Aviv abgefeuert wurden. Das war am Samstagmorgen (7.10.). Ende September war der Recklinghäuser Thomas Wember mit seiner Familie für eine Rundreise nach Israel aufgebrochen. Mit einer 20-köpfigen Reisegruppe ging es zunächst planmäßig nach Jerusalem, Akko, Nazareth und Tel Aviv. Am 7. Oktober sollte dann der letzte gemeinsame Ausflug zum Toten Meer stattfinden, im Anschluss wollte Wember mit seiner Familie noch einige Tage in Tel Aviv bleiben. Doch es kam alles anders.
„Wir sind noch mit der Reisegruppe losgefahren zum Toten Meer, auf halber Strecke kam aber die Info, dass wir sofort umdrehen sollen“, erzählt Thomas Wember, „auf der Rückfahrt zum Hotel haben wir dann schon die ersten Rauchsäulen gesehen.“ Die palästinensische Terror-Organisation Hamas hatte einen Angriff auf Israel gestartet.
Im Hotel angekommen, hätten sie zum ersten Mal in den Luftschutzraum, die Tiefgarage der Hotelanlage, gemusst. Am Abend sei dann die erste große Angriffswelle über Tel Aviv hereingebrochen. Eine Rakete sei in unmittelbarer Nähe zum Hotel eingeschlagen.
Keine Hilfe aus Deutschland
„Ich hätte im Leben nicht damit gerechnet, jemals in einem Luftschutzkeller zu landen“, sagt Thomas Wember im Gespräch am Mittwoch (11.10.). Den ersten Kontakt zu ihm und seiner Familie hatte unsere Redaktion bereits am Montag (9.10.). Zu diesem Zeitpunkt hatten Thomas Wember und seine Frau Claudia aber noch keine Gewissheit, ob und wann sie Israel verlassen würden können.
Das ganze Wochenende über, als klar war, dass sich die Lage zunehmend zuspitzt, hätten sie versucht, Informationen von der Bundesregierung zu bekommen, wie sie auf schnellstem Weg nach Deutschland ausreisen können. Auf seinen gebuchten Rückflug mit der Lufthansa am 11. Oktober zu hoffen, erschien Thomas Wember zu unsicher, nachdem die deutsche Fluggesellschaft nach und nach alle regulären Israel-Flüge gestrichen hatte.

„Die ganze Rückhol-Politik war verstörend“
Doch von der deutschen Bundesregierung habe es, so schildern es die Wembers, keinerlei Unterstützung gegeben. Unter der 24/7-Notfallnummer der Botschaft hätten sie die Ansage zu hören bekommen, dass sie außerhalb der Geschäftszeiten anrufen. „Beim Auswärtigen Amt hat man mir erklären wollen, dass der Flughafen in Tel Aviv gesperrt ist. Ich wusste aber von Mitreisenden, die schon zurückgeflogen waren, dass das nicht stimmt“, erinnert sich der Recklinghäuser. Im „Lagezentrum“ habe man ihm mitgeteilt, dass die Bundesrepublik kein Flugzeug habe, mit dem die deutschen Touristen evakuiert werden können.
„Die ganze Rückhol-Politik war verstörend. Wir haben uns im Stich gelassen gefühlt“, sagt Thomas Wember und schüttelt ungläubig den Kopf. Dabei hatten er und seine Familie sich vor Reiseantritt auf der Krisenvorsorgeliste ELEFAND registriert.

Einem befreundeten Paar – ebenfalls aus Recklinghausen –, das sich zur selben Zeit in Tel Aviv aufhielt, sei es ähnlich ergangen. „Wir waren völlig auf uns alleine gestellt“, erklären Anja und Norbert, die ihren Nachnamen nicht in den Medien veröffentlicht wissen wollen. Auf eigene Faust hätten sie sich, nach zwei Tagen Ausharren im Luftschutzbunker, ein Taxi zum Flughafen und einen Flug in die Türkei organisiert. „Von der israelischen Bevölkerung haben wir gesagt bekommen, ‚Seht zu, dass Ihr hier rauskommt‘, und von der Regierung hört man so etwas wie ‚Versuchen Sie, sich abzulenken‘.“
Am Flughafen angekommen, seien Anja und Norbert dann in eine Massenpanik geraten. „Am Flughafen wurde Luftalarm ausgelöst und alle rannten durcheinander in Richtung Bunker. Wir hatten dauerhaft Angst.“ Doch das Recklinghäuser Paar kann bereits am Montagabend ausreisen.

„Man hatte das Gefühl, alle schaffen es raus und nur man selbst sitzt noch hier“, erzählt Claudia Wember. Jeder weitere Tag habe mehr an der Psyche gezerrt. „Es waren drei Tage und drei Nächte unter höchster Anspannung.“ Abends seien sie in Straßenkleidung ins Bett gegangen, für den Fall eines nächtlichen Luftangriffs – in greifbarer Nähe immer eine gepackte Notfalltasche.
Doch auch sie haben Glück mit einer türkischen Airline: Hoffnungsvoll buchen sie sich für Dienstagmorgen einen Flug vom Airport Ben Gurion in Tel Aviv nach Istanbul. Ganz nach dem Motto „Hauptsache raus!“. „Uns war einfach wichtig, in kurzer Zeit aus Israel wegzukommen. Mehr hätten wir auch von der Bundesregierung gar nicht erwartet, wir wollten keinen Direktflug nach Düsseldorf“, sagt Thomas Wember.
Anspannung hält auch in Recklinghausen noch an
Und sie haben Glück: Als eine der letzten Maschinen der Airline hebt ihr Flug am Dienstagmittag pünktlich ab und auch die Anschlussmaschine nach Deutschland fliegt.
Am Mittwoch, zurück in der Heimat Recklinghausen, sitzt die Anspannung der vergangenen Tage Thomas Wember, seiner Frau und den Freunden noch sichtlich in den Knochen. Vier Mitglieder aus ihrer ursprünglichen Reisegruppe säßen noch in Tel Aviv fest, sagt Wember. Sie hoffen jetzt auf die mittlerweile angekündigten Flüge der Bundesregierung.
Das, was sie die letzten Tage in Tel Aviv erlebt haben, sei für sie noch gar nicht richtig zu begreifen. Der Zuspruch und die Hilfe von Freunden in der Heimat und den Israelis vor Ort hätten ihnen geholfen. Aber die dauerhafte Angst und Anspannung und das Gefühl des Alleingelassen-Seins haben etwas mit ihnen gemacht, da sind sie sich sicher.
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