Dr. Martina Krutzinna liebt ihre Arbeit. „Es gibt nichts Schöneres für mich“, sagt die Geschäftsführerin der Tierklinik „AniCura“ und nickt bekräftigend. Wäre da nicht die andere, die Schattenseite ihres Berufs: ungeduldige und verständnislose Tierbesitzer, die vor allem während der Notdienste im Wartezimmer pöbeln und schimpfen, die spucken und randalieren, die sogar handgreiflich werden und vor Gewalt nicht zurückschrecken, bis die Polizei eintrifft. „In den vergangenen Monaten ist es immer schlimmer geworden“, bestätigt Klinik-Managerin Antje Terdenge und blickt sehr ernst. „Unser Personal hat Angst! Wir müssen etwas unternehmen!“
„Den Leuten geht es oft nicht schnell genug“
Das Problem ist in dem runden Bau an der Straße Am Stadion nicht neu, dafür aber das Ausmaß. „Wir können es uns nicht erklären“, meint Dr. Martina Krutzinna, die trotz des schlechten Benehmens durchaus Verständnis für Herrchen und Frauchen zeigt. „Wer mit einem kranken oder verletzten Tier zu uns kommt, der will nicht warten. Das ist eine sehr emotionale Situation.“
Doch der diensthabende Arzt oder die Ärztin sei vielleicht gerade mit einem anderen Notfall beschäftigt oder muss sich um einen Patienten der Klinik kümmern. Antje Terdenge: „Den Leuten geht es oft nicht schnell genug. Zumal sie nicht wissen, was im hinteren Bereich passiert. Dabei tun wir unser Bestes. Hier geschieht so viel Gutes.“ Und zwar rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr, nicht nur für die Recklinghäuser, denn das Einzugsgebiet reicht weit über die Stadtgrenzen hinaus. Die nächsten Tierkliniken befinden sich in Duisburg oder Bielefeld.

Ein weiterer Grund für Wutausbrüche und Attacken, ebenso im Internet: die vermeintlich hohe Summe für die Behandlung. „Dabei gibt die Gebührenordnung für Tierärzte die Preise vor“, berichtet Dr. Martina Krutzinna, „und die wurde bis 2022 zehn Jahre lang nicht angepasst. Das war längst überfällig.“ Hinzu komme, dass die Medizin-Technik nicht billig sei. „Wir nutzen die modernsten Geräte“, erzählt Antje Terdenge. Aus diesem Grund empfehlen die Fachleute von „AniCura“ jedem Tierhalter, eine Krankenversicherung abzuschließen. „Da kommt heutzutage keiner mehr drumherum. Und auch ein Kaninchen kann teuer werden“, so die 55-Jährige.
Nur wenige besitzen eine Tier-Krankenversicherung
Die Expertinnen wissen allerdings, dass viele darauf verzichten und es für manch einen schwierig ist, sich überhaupt ein Tier zu leisten. Dr. Martina Krutzinna: „Wie soll eine Seniorin mit kleiner Rente dann die Zahnbehandlung ihrer Katze bezahlen? Da kommen schnell 1500 Euro zusammen.“ Aber natürlich helfen die 18 Ärztinnen und Ärzte im Notfall. „Wir schicken niemanden weg, der lebensbedrohlich erkrankt ist“, betont die 38-Jährige. Außerdem sei zum Beispiel Ratenzahlung möglich. Dennoch bleibe die Klinik manchmal auf den Kosten sitzen.

Nach einem weiteren bedrohlichen Vorfall während der nächtlichen Notfallsprechstunde vor wenigen Wochen (die Mitarbeiterinnen hatte sich in einem Raum eingeschlossen und die Polizei alarmiert) zog die Geschäftsleitung die Konsequenzen. „Wir müssen in unsere Sicherheit investieren“, sagt Dr. Martina Krutzinna, „denn sonst kündigt immer mehr Personal, und wir können den Notdienst nicht mehr aufrechterhalten.“ So geschehen von Oktober 2022 bis Ende März 2023 an den Wochenenden.
Wachdienst, Notfall-Knopf und Sicherheitsschleuse
Mittlerweile ist das 85-köpfige Team geschult und weiß, wie es sich in brenzligen Situationen verhalten muss. Bald soll ein Wachdienst den Fachkräften zur Seite stehen. Außerdem wird es einen Notfall-Knopf geben. Eine Schleuse soll am Eingang verhindern, dass der aufgebrachte Tierbesitzer „Verstärkung“ einlässt. Antje Terdenge: „Es ist traurig, dass das alles nötig ist. Doch wir möchten, dass sich hier niemand fürchten muss und keiner mehr mit Bauchschmerzen zur Arbeit geht.“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 13. Dezember 2023.
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