Das Schild am Firmensitz in Hillen ist demontiert, auf der Homepage der gemeinnützigen GmbH zu lesen: „Danke für ihre Treue.“ Jetzt wird in einem laufenden Strafprozess um mehr als 100 Übergriffe auf drei Kinder im Ruhrgebiet zufällig bekannt: Der geständige Angeklagte (33) ist der Ex-Inhaber der Recklinghäuser Beratungsfirma für Kinder- und Jugendhilfe.
Nach der erschütternden Missbrauchsserie hat die Staatsanwaltschaft am Bochumer Landgericht zuletzt neuneinhalb Jahre Haft für den 33-Jährigen beantragt.
Der Mann, nach eigenen Angaben staatlich geprüfter Kinderpfleger und „Bachelor of Arts“ im Bereich Sozialpädagogik, hatte im Prozess zugegeben, über Jahre hinweg die anfangs sechs, sieben und acht Jahre alten Kinder seiner Partnerin selbst schwer sexuell missbraucht und teils auch zu Inzesthandlungen aufgefordert zu haben. Am Mittwoch (26.2.) soll das Urteil verkündet werden.
Zwischen 2018 und 2024 soll sich der 33-Jährige an den drei Geschwisterkindern (zwei Mädchen und ein Junge), die ihn laut Anklage als Ersatzvater ansahen, in mindestens 103 Fällen sexuell vergangen haben.
Sein erstes Opfer soll der Junge gewesen sein, später gerieten offenbar auch die zwei Mädchen in seine Fänge. Mehrfach soll der 33-Jährige auch mehrere der Geschwister gleichzeitig als Opfer in seine Übergriffe involviert und teils auch vor seinen Augen zu gegenseitigen Inzesthandlungen gezwungen haben.
Als Tatort ist in der Anklage auch eine ehemalige Mietwohnung an der Rheinlandstraße in Recklinghausen genannt, in der der Angeklagte von Dezember 2019 bis April 2020 gewohnt hat.
Außerdem sollen sich die Übergriffe in Wohnungen Bottrop, Essen und außerdem in einem Hotelzimmer während eines Türkei-Urlaubs ereignet haben. Alle Taten ab 2021 sollen sich durchweg in einer Wohnung in Herne passiert sein.

Der Angeklagte war am 13. Juni 2024 festgenommen worden. Kurz zuvor hatte die heute neun Jahre alte Tochter seiner Partnerin sich einer Vertrauensperson anvertraut und erste Übergriffe des 33-Jährigen ans Licht gebracht.
Die Polizei hatte daraufhin sofort Recherchen über seine Selbständigkeit in der Kinderhilfe-Firma in Hillen angestellt. Ein entsprechender Polizeivermerk wurde jetzt im Prozess verlesen.
Auf der Internetseite der abgewickelten Kinderhilfe-gGmbH steht aktuell geschrieben, dass man, „nach vielen Jahren den Betrieb zum 9. August 2024“ geschlossen hat.
Neben dem jahrelangen Missbrauchs-Martyrium der drei Geschwisterkinder hatte im Prozess zuletzt auch einen Blick in die Vergangenheit des 33-Jährigen erschüttert.
Die Mutter des geständigen Sex-Täters soll angeblich unter dem so genannten „Münchhausen-Stellvertretersyndrom“ leiden. Die Frau soll Krankheiten erfunden, vorgetäuscht oder sogar bewusst herbeiführt haben, nur um eine medizinische Behandlung ihrer Kinder verlangen zu können. Unter anderem soll der 33-Jährige als Kind hoch überdosierte Beruhigungsmittel erhalten haben, zeitweise sogar in einem Rollstuhl festgegurtet worden sein.
Im Jahr 2000 war den Eltern des Angeklagten das Sorgerecht entzogen, der 33-Jährige mithilfe des Jugendamtes aus der Familie genommen worden. Danach änderte der Angeklagte sogar seinen Vor- und Nachnamen.
Verteidiger Simón Barrera González verteidigte die Darstellung der durchlebten Kindheit im Prozess als unerlässlich: „Der Angeklagte hat über Jahre schweren Missbrauch erlebt.“
Das entschuldige zwar nicht ansatzweise die Taten, es mache eine pädosexuelle Entwicklung aber transparent.
„Das hat mich sauer gemacht“
„Jahrelang habe ich ihn nur als Opfer vertreten. Dann wird plötzlich bekannt, dass er auch zum Täter geworden ist“, sagte der Verteidiger. „Das hat mich echt sauer gemacht.“ Dass den 33-Jährigen jetzt eine hohe Strafe erwarte, sei ihm nicht nur bewusst, sondern das sei auch „richtig“, so Barrera González.