In Norwegen ist Belugawal Hvaldimir längst eine kleine Berühmtheit. Das Tier, das vor vier Jahren erstmals vor der norwegischen Küste auftauchte, soll vom russischen Militär als Geheimwaffe ausgebildet worden sein. Weil er Kunststücke beherrscht und wenig Scheu vor Menschen hat, wurde Hvaldimir zu einer beliebten Attraktion für Touristinnen und Touristen. Nun ist er nach Schweden weitergezogen. Sein Verhalten und seine Herkunft geben weiterhin Rätsel auf – und Tierschützerinnen und Tierschützer sorgen sich um sein Wohl.
Zum ersten Mal wurde der Weißwal im April 2019 gesichtet. Fischern vor der Küste der norwegischen Region Finnmark fiel damals ein Beluga auf, der sich ungewöhnlich verhielt. Ohne Scheu näherte er sich ihren Booten und rieb sich daran: Offensichtlich wollte er sich dadurch von einem Geschirr aus Gurten befreien. Die Fischer holten sich Rat bei einem Meeresbiologen und gemeinsam gelang es, das Tier von seinem Geschirr zu befreien. Dieses war mit einer Halterung für eine wasserfeste Gopro-Kamera versehen und trug die Aufschrift „Ausrüstung St. Petersburg“ in englischer Sprache. Seitdem wird gemutmaßt, das Tier sei für Spionageaktionen des russischen Militärs ausgebildet worden. Als der norwegische Nachrichtensender NRK einen Wettbewerb ausrief, um einen Namen für den Beluga zu finden, machte daher „Hvaldimir“ das Rennen. Es ist ein Wortspiel mit dem norwegischen Begriff für Wal, „Hval“, und dem Namen des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Auf dem zweiten Platz landete der Vorschlag „White Russian“, auf dem dritten „Agent James Beluga“.
Bemühungen, Meeressäuger für militärische Zwecke einzusetzen, gibt es schon lange. Zu Zeiten des Kalten Krieges versuchten sowohl die USA als auch die damalige Sowjetunion, Delfine, Belugas oder Seelöwen zu trainieren, um zum Beispiel feindliche Kampftaucher oder Seeminen aufzuspüren. Auch im Golfkrieg während der Neunzigerjahre sollen die amerikanischen Streitkräfte Delfine benutzt haben, um nach Minen zu suchen. Wie erfolgreich der Einsatz war, bleibt unklar. Fest steht aber: Wegen ihrer hohen Intelligenz ist es tatsächlich möglich, Delfine, Robben oder Wale zu dressieren.
Organisation zum Schutz von Hvaldimir gegründet
Der britischen Zeitung „Guardian“ zufolge belegt eine russische TV-Dokumentation, dass die russische Marine auch heute noch Belugawale, Robben und Delfine für militärische Einsätze in Polargewässern trainiert. Demnach wird im Murmansk Sea Biology Research Institute in Nordrussland versucht, Belugawale darin auszubilden, Tiefseetauchern zu assistieren und als Bewacher von Häfen feindliche Taucher abzuwehren. Dabei soll sich aber bereits gezeigt haben, dass Delfine und Robben besser geeignet seien und Befehle besser erlernen könnten als die Belugas. Zuletzt gab es zudem Spekulationen amerikanischer Medien, wonach Russland seit Beginn des Ukraine-Krieges vor der Einfahrt zum Hafen von Sewastopol militärisch trainierte Delfine halten soll. Denkbar sei, dass die Delfine zur Abwehr feindlicher Taucher eingesetzt werden sollen, die versuchen könnten, in den Hafen einzudringen und Kriegsschiffe zu sabotieren.
Aber handelt es sich bei Hvaldimir wirklich um ein vom Militär ausgebildetes Tier, das vielleicht wegen Untauglichkeit in die Freiheit entlassen wurde oder ganz einfach entflohen ist? Offiziell wurde dies nie bestätigt, das russische Verteidigungsministerium streitet ab, weiterhin mit Meeressäugern zu arbeiten. Zumindest deutet aber das Verhalten des Wals darauf hin, dass dieser trainiert wurde. So soll er nicht nur wenig Scheu vor Menschen haben, sondern sich auch gezielt Booten genähert und Gegenstände und Taue von diesen heruntergezogen haben. Werden Gegenstände wie ein Ball ins Wasser geworfen, kann der Beluga diese wie ein Hund apportieren. Allerdings werden Meeressäuger nicht nur für militärische Zwecke dressiert, sondern auch für Shows in Aquarien. Aus diesem Grund und wegen der englischen Aufschrift auf Hvaldimirs Geschirr gibt es noch eine weitere Theorie zur Herkunft des Belugas. Stammt dieser vielleicht gar nicht aus Russland, sondern aus einer Stadt in Florida, die ebenfalls St. Petersburg heißt? Und könnte das Tier aus einem Aquarium dort entwichen sein? Ein Experte der Tromsø’s Arctic University of Norway schätzt die Distanz nach Norwegen eigentlich als zu groß ein.
Ob Spion oder nicht: Durch sein zahmes Verhalten und kleine Kunststücke wurde Hvaldimir jedenfalls schnell bei den Anwohnerinnen und Anwohnern der norwegischen Küste beliebt. Es wurde sogar eigens der Verein Onewhale gegründet, der sich für das Wohl von Hvaldimir einsetzt. Die Tierschützerinnen und Tierschützer von Onewhale warnten davor, dass es schlecht für ihn sei, weiterhin in der Nähe von Lachsfarmen zu leben, von denen er sich offenbar ernährte. Zudem sei der enge Kontakt zu Menschen für den Beluga riskant – er habe sich schon mehrfach an Bootpropellern und Fischerhaken verletzt. Über eine „Hvaldimir-Hotline“ konnte man Onewhale Sichtungen des Belugas melden, die Tierschützerinnen und Tierschützer waren stets bemüht, Touristinnen und Touristen im Umgang mit dem Beluga zu schulen, und halfen Lachsfarmen, das Tier von den Beständen fernzuhalten.
Nach Schweden verirrt
Onewhale hatte sich dafür eingesetzt, ein Reservat für Hvaldimir einzurichten, in dem dieser ungestört leben kann. Dazu sollte in einem Fjord ein großzügiger Bereich für den Beluga abgetrennt werden. Später könnten dort auch weitere gerettete Wale angesiedelt werden, so die Idee von Onewhale.
Nun aber hat sich Hvaldimir ohnehin entschieden, weiterzuziehen. Er legte in kurzer Zeit eine größere Strecke zurück und hält sich jetzt vor der Küste Schwedens auf. Sebastian Strand, ein bei Onewhale tätiger Biologe, äußerte gegenüber dem „Guardian“ den Verdacht, dass Hvaldimir dort nach anderen Belugawalen sucht, weil er sich paaren will oder einsam ist. Belugas seien eine sehr soziale Spezies. Zudem werde Hvaldimir bei einem geschätzten Alter von 13 bis 14 Jahren wahrscheinlich von seinen Hormonen geleitet. Seit seiner Ankunft in Norwegen hatte der Weißwal vermutlich keinen Kontakt mehr zu Artgenossen gehabt. In Schweden dürfte der Beluga aber ebenfalls nicht fündig werden: Belugas leben normalerweise weiter nördlich und kommen dort nur vereinzelt vor. Die nächstgelegene größere Population ist im Spitzbergen-Archipel heimisch, das auf halber Strecke zwischen der Nordküste Norwegens und dem Nordpol liegt. Nach Strands Einschätzung wollte Hvaldimir „wahrscheinlich eine Familie haben“, sei aber „ein bisschen falsch geschwommen“. Onewhale sorgt sich nun, ob der „Spion“ vor Schweden auch weiterhin genug Nahrung finden wird.
RND
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