Proteste der Bauern und Hetze gegen die Ampel-Regierung Beides ist unbegründet und unfair

Proteste der Bauern und Hetze gegen die Ampel-Regierung: Beides ist unbegründet und unfair
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Ulrich Breulmann

Wir leben in irrationalen Zeiten. Die Kluft zwischen Wirklichkeit und Propaganda hat gewaltige Ausmaße angenommen. Beginnen wir bei den Landwirten, deren Traktor-Demos unsere Straßen verstopft haben.

Das Ganze wohlgemerkt, als die Regierung längst den Großteil der geplanten Kürzungen wieder eingestampft hatte. Doch die Bauern protestieren weiter, als habe die Ampel sie zum Hungertod verurteilt.

Der Eindruck, den die Bäuerinnen und Bauern gerade vermitteln, ist falsch. Die Landwirte stehen mitnichten vor dem Ruin. Als Beleg genügt ein Blick in den „Situationsbericht des Deutschen Bauernverbandes“ vom Dezember.

Da ist für das Wirtschaftsjahr 2022/23 von einem „Allzeithoch“ der Gewinne die Rede. Die Gewinne der Haupterwerbsbetriebe seien gegenüber dem Vorjahr im Schnitt um 35.961 Euro oder 45 Prozent auf 115.400 Euro gestiegen.

Ukraine-Krieg beschert den Landwirten eine Gewinnexplosion

Ein Grund für diese Gewinnexplosion war übrigens – das hören Bauern nicht so gerne – der Ukraine-Krieg. Auch das lässt sich im Situationsbericht nachlesen. Danach stiegen die Erzeugerpreise im Wirtschaftsjahr 2022/23 im Schnitt um 23 Prozent deutlich stärker als die Produktionskosten (plus 16 Prozent).

Laut Branchenblatt „Agrar Heute“ würde ein kompletter Wegfall der Diesel-Subvention einen Haupterwerbsbetrieb durchschnittlich mit 2.883 Euro im Jahr belasten. Ja, das ist auch Geld und niemand jubelt, wenn eine seit Jahrzehnten sprudelnde Förderquelle versiegt, aber das von den Bauern gezeichnete Weltuntergangsszenario ist völlig überzogen.

Streit und Kompromisse gehören zur Demokratie wie die Schere zum Friseur

Ähnliches ist bei der Ampel-Regierung zu beobachten. Die Kritik an der Arbeit der Koalition hat jedes Maß verloren. In Hetz-Foren der sozialen Medien wie in manchen Medien mit großen Buchstaben und kleinem Inhalt wird der Eindruck befeuert, unser Land werde von Taugenichtsen regiert, die nichts auf die Kette kriegen.

Zugegeben: Die Koalitionsparteien haben sich Schnitzer mit halbgar in die Öffentlichkeit getragenen Gesetzesvorschlägen geleistet. Für einen Teil des negativen Stimmungsbildes ist die Ampel also selbst verantwortlich.

Dass aber jedes Mal, wenn SPD, Grüne und FDP bei einem Projekt noch um eine gemeinsame Linie ringen, die Opposition „Chaos“ schreit, ist absurd. Streit und die Suche nach Kompromissen gehört zur Demokratie wie die Schere zum Friseur. Schon mal gehört?

Bertelsmann-Stiftung stellt der Ampel sehr gutes Zeugnis aus

In aller Deutlichkeit: Die Arbeit der Ampel ist viel besser als ihr Ruf. Das sage nicht ich, das sagt die Bertelsmann-Stiftung. Die hat im Herbst in einer Halbzeitbilanz penibel untersucht, welche der im Koalitionsvertrag beschlossenen Maßnahmen schon umgesetzt wurden, sich auf gutem Weg befinden und welche noch ausstehen.

Einige Fakten daraus: Im Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP 453 Ziele vereinbart. Davon wurden in den ersten 20 Monaten 64 Prozent erreicht oder zumindest auf den Weg gebracht, wobei 174 bereits ganz oder teilweise erfüllt wurden (38 Prozent). Die letzte Regierung unter Angela Merkel hat in der ersten Halbzeit zwar 52 Prozent ihrer Vorhaben erfüllt, aber: In absoluten Zahlen setzte die Ampel mehr Vorhaben um als die Merkel-Regierung.

Der prozentuale Wert der eingelösten Versprechen verzerrt das Bild, denn: Die Ampel hat sich mehr vorgenommen als die Regierungen vor ihr. 453 Ziele statt 245 (2009 bis 2013, schwarz-gelb), 188 (2013 bis 2018 große Koalition) oder 296 Vorhaben (2018 bis 2021, große Koalition).

Fazit der Studie: „Im Kontrast zum derzeit eher negativen öffentlichen Erscheinungsbild der Ampel-Regierung zeigt die tatsächliche Regierungsbilanz zur Halbzeit eine gut funktionierende und in vollem Lauf befindliche Regierung.“

Und dann der Ukraine-Krieg. Der brach erst nach Abschluss des Koalitionsvertrages aus und stellte alle Pläne auf den Kopf. Noch einmal: Ja, es gibt manches, was sich an der Ampel kritisieren lässt, aber die pauschale, teils an Demagogie grenzende Kritik an der Regierung ist unsachlich und in höchstem Maße unfair.

„Irrationaler Zorn schlecht informierter Massen“

Dass sich die AfD zum Wortführer des Protestgeschreis aufschwingt, war zu erwarten. Dass aber CDU und CSU in dasselbe Horn stoßen, ist erschreckend. Statt konstruktiver Alternativ-Ideen kommt von der Union nichts als im staatstragenden Ton vorgetragene Pauschalkritik und heiße Luft.

Ja, die Opposition hat der Regierung auf die Finger zu klopfen. Im Moment aber heizt sie vor allem die Wut-Bürger-Stimmung an, die ein gefährliches Niveau erreicht hat. Zuletzt tauchten bei Demos an einem Galgen hängende Ampeln auf.

Dieser irrationale Zorn schlecht informierter Massen muss ein Ende haben. Daran müssten auch CDU und CSU ein vitales Interesse haben, denn ihnen sollte klar sein: Ihr Kalkül, dass die aufgeheizten Massen bei der nächsten Wahl die Union wählen, wird sich kaum erfüllen. Die Christdemokraten treiben diese Menschen in die Rechts-Außen-AfD und die Wagenknecht-Partei.

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