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Politikberater zu Spiegels Rücktritt: überzogen oder folgerichtig?
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Mit einem emotionalen Statement wollte Bundesfamilienministerin Anne Spiegel Kritik abwehren. Am Montagnachmittag gab die 41-Jährige ihren Rücktritt bekannt. Ein notwendiger Schritt?
Nach einem emotionalen Statement am Sonntagabend hat Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) am Montag überraschend ihren Rücktritt erklärt. Dass führende Bundespolitiker in der Öffentlichkeit überhaupt über familiäre und psychische Probleme sprechen, hat Seltenheitswert. Entsprechend groß war das Echo nach der kurzfristig anberaumtem Pressekonferenz.
„Der Rücktritt war unausweichlich“, meint der Politikberater Udo Sonnenberg im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Spätestens wenn im Untersuchungsausschuss in Rheinland-Pfalz ans Licht gekommen wäre, dass falsch oder zu spät gehandelt wurde, wäre Spiegel auf jeden Fall ihren Ministerposten los geworden.“
Die ehemalige Familienministerin habe sich mit ihrer Rede am Sonntagabend keinen Gefallen getan, so der Experte. Die 41-Jährige hatte offen und sehr emotional von ihren familiären Problemen berichtet und diese als Grund für ihren Urlaub in Frankreich während der Flutkatastrophe 2021 genannt. Damals war Spiegel noch im vom Hochwasser enorm betroffenen Rheinland-Pfalz als Umweltministerin im Amt.
„Spiegel hat versucht, die Empathie in der Bevölkerung zu wecken, aber das ist ins Gegenteil umgeschlagen. Ihre Rede sollte menschlich wirken, war aber absolut unprofessionell.“ Die Politikerin habe, nah am Wasser gebaut, nicht den Eindruck vermittelt, dass die Regierung stark ist und die Krisen dieser Zeit im Griff habe. Wenn wir nicht wegen des Kriegs in der Ukraine und der Pandemie eine starke Regierung bräuchten, hätte Spiegel vielleicht sogar Punkte sammeln können“, glaubt Sonnenberg.
Stattdessen hätte Spiegel Standhaftigkeit demonstrieren müssen. „Sie kann sich nicht mit tränennassen Augen vor die Kameras stellen, nachdem die Opposition bereits ihren Rücktritt gefordert hat.“ Generell wäre die 41-Jährige für Sonneberg besser damit beraten gewesen, eine Nacht darüber zu schlafen, anstatt „ihre eigene Überforderung in den Kameras zur Schau zu stellen.“
Spiegel als Teil einer neue Politikgeneration
Ganz anders beurteilt Politikberater Stefan Mannes das Vorgehen von Spiegel. „Ich fand ihren Auftritt sehr bemerkenswert. Was sie gesagt hat, war aus meiner persönlichen Interpretation einem Burnout sehr nahe“, sagte er dem RND. „Ihr Auftritt war nicht gespielt, der war ganz echt“, betont Mannes.
Die Ansprache, auch in dieser Art und Weise, sei für Spiegel die letzte Chance gewesen. „Es blieb ihr keine andere Möglichkeit, als ein solch emotionales Statement.“ Für den Politikberater habe das Statement unvorbereitet und spontan gewirkt. Anders hätte es erst recht nicht funktioniert, so seine Einschätzung. „Denn wenn in einer solchen Situation etwas abgelesen wird, verliert der Auftritt seine Wirkung.“
Für Mannes ist Spiegel Teil einer neuen Politikergeneration, die auch private Probleme einräumen kann. „Bei einem Christian Lindner könnte man sich das beispielsweise nicht vorstellen“, so Mannes. „Eine solche Offenheit bringt die Wirkung mit sich, dass da ein echter Mensch steht, der auch mit ganz normalen alltäglichen Problemen zu kämpfen hat.“
Die Entwicklung sehe er generell positiv, würde aber natürlich auch Angriffsflächen bieten. „Es ist letztlich eine politische Kulturfrage, was für eine Art von Politiker sich die Menschen wünschen. Die vergangenen Jahre waren geprägt von Rollenpolitikern, die ziemlich genau definieren, wie Politiker nach außen wirken wollen“, erklärt Mannes. Jetzt fielen manche Politiker aus diesen Rollen heraus und es gebe die Frage, „ob es Menschen gibt, die so etwas würdigen.“
Der Artikel "Politikberater zu Spiegels Rücktritt: überzogen oder folgerichtig?" stammt von unserem Partner, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.