Konflikte bei der Kindererziehung Expertin erklärt, warum Paaren ein Code helfen kann

Konflikte bei der Kindererziehung: Expertin erklärt, warum Paaren ein Code helfen kann
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Mit der Geburt eines Kindes geht für viele Paare ein großer gemeinsamer Wunsch in Erfüllung. Doch wenn es um das Thema Erziehung geht, können die Ansichten schon wieder weit auseinanderklaffen. Außerdem kann die Erziehung viel Zeit und Geduld benötigen, die am Ende für den Partner fehlt. Da ist Streit vorprogrammiert, weiß Paartherapeutin Jennifer Angersbach.

Ein Kind bietet jede Menge Anlass, mit unterschiedlichen Vorstellungen aneinander zu geraten. Angefangen beim Namen über die Frage, ab wann das Kind zu einer Tagesmutter/ in die Krippe kommen soll, bis hin zum Erziehungsstil: Was sind die häufigsten Konflikte, mit denen Eltern zu Ihnen kommen?

Wie vermutet ist der häufigste Streitfaktor hinsichtlich der Erziehung der Erziehungsstil. Die Bindung- oder auch Bedürfnisorientierte Erziehung ist sehr verbreitet und gleichzeitig aber auch sehr vorurteilsbehaftet und eben nochmal anstrengender als dieses eher autoritäre Konzept, bei dem die Eltern eben „das Sagen haben, so lange die Füße unter ihren Tisch gestellt werden“.

Wir wissen mittlerweile, wie wichtig die Bindung ist, und dass gerade diese ‚sichere‘ Beziehung einen enormen Einfluss auf die positive Entwicklung von Kindern hat.

Gleichzeitig sind die Ansprüche an uns als Menschen mittlerweile enorm hoch. Das jemand länger als ein Jahr zu Hause bleiben kann, ist purer Luxus, allein schon finanziell. Oft sind beide Eltern berufstätig und es gibt kaum Betreuungsmöglichkeiten durch die eigene Familie. Bedürfnisorientierte Erziehung kostet allerdings mehr Zeit und Kapazitäten. Im Kern geht es darum, den Kindern auf Augenhöhe zu begegnen, ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen und anzuerkennen. Das kostet mehr Zeit, als über sie hinweg zu entscheiden und für sie zu bestimmen. Viele Eltern haben entweder die Sorge, ihre Kinder würden verweichlichen oder aber zu egoistischen Persönlichkeiten heranreifen, wenn sie so viel Fürsorge und Mitbestimmung erhalten oder aber überschreiten eigene Grenzen in einem Maß, das kaum mehr Raum für die Paarbeziehung lässt.

Wie lassen sich Konflikte angehen, ohne dass die unterschiedlichen Vorstellungen Partnerschaft und auch das Kind belasten?

In diesem Fall vor allem durch Aufklärung von all den Missverständnissen bezogen auf die bedürfnisorientierte Erziehung: Ein Wunsch ist kein Bedürfnis. Nicht jedes Bedürfnis muss (unmittelbar) gestillt werden, es reicht dies anzuerkennen: „Ja, ich verstehe, dass du jetzt gerne was trinken würdest, es ist auch echt warm. Ich habe leider nichts dabei, aber wir sind gleich zu Hause. Dann trinken wir was Kaltes!“ Bedürfnisorientiert schließt sämtliche Bedürfnisse mit ein, auch die der Eltern nach Ruhe, einer Pause o.ä.

Außerdem gilt es zu schauen, was genau für Konflikte sorgt. Ich beziehe mich hier auf den Bedürfnisorientieren Erziehungsstil, weil es in meiner Praxis ausschließlich diesbezüglich Konflikte gibt: Ist es die große Diskrepanz zur eigenen Erziehung, „die einem auch nicht geschadet hat“? Ist es womöglich eine Projektion, weil man selbst einen Mangel hatte und versucht, durch ein anderes Extrem, dem vorzubeugen? Oder fühlt man sich gar durch sein Kind provoziert, weil es eben nicht so ‚hört‘, wie man es selbst mal musste?

Sobald wir Eltern werden, werden wir unweigerlich nochmal mit unserer eigenen Kindheit konfrontiert, wollen es besser machen und vergessen dabei die Unterschiede zum Partner oder zur Partnerin, zur heutigen Zeit und auch die Bezugnahme zum eigenen Kind. Es lohnt sich, ins Gespräch darüber zu kommen, welche Werte man vermitteln möchte und warum – und sich auch mit dem Gegenüber auszutauschen, um Projektionen und Extreme zu vermeiden. Also die Andersartigkeit eher als Bereicherung zu sehen, statt als Gefahr oder Last.

Ist es möglich/gibt es Paare, bei denen der Vater ganz anders mit dem Kind umgeht als die Mutter? Kann so etwas funktionieren? Zum Beispiel in Bezug auf Grenzen, Autorität et cetera?

Für das Kind kann es verwirrend sein und zur Verunsicherung führen, vor allem wenn die Unterschiede so groß sind. Langfristig wird das Kind ja sozusagen ‚gezwungen‘ die Eltern gegeneinander auszuspielen, was dann wieder zur Belastung für die gesamte Familie wird.

Ohnehin sollte es vermieden werden, vor den Kindern den Anderen in Frage zu stellen. Denn wir Eltern dienen den Kindern ja durchaus als Sicherheit. Diese gerät ins Wanken, wenn Papa permanent Mama in Frage stellt, oder andersherum. Hier rate ich Paaren zu klaren Absprachen, wenn sie Bedenken haben aufgrund des Verhaltens des anderen Elternteils (zu viel Druck bei den Hausaufgaben, passiv aggressives Verhalten aufgrund von Stress, elterlicher Machtmissbrauch „Weil ich das bestimme!“) vereinbaren sie einen Code: „Wolltest du nicht auf die Toilette?“ Das Gegenüber versteht und geht aus der Situation. Im Anschluss können beide – ohne das Beisein der Kinder – die Situation reflektieren.

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