Hilferuf aus dem Offenen Ganztag Träger im Kreis Unna sehen die Betreuung in Gefahr

Hilferuf aus dem Offenen Ganztag: Träger sehen die Betreuung in Gefahr
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Emil Niemeyer und seine Mutter Juliane zählen zu den Ersten, die den „OGS-Wunschzettel“ ausfüllen. Der Viertklässler besucht die Falkschule in Unna und nimmt das Betreuungsangebot des Offenen Ganztages (OGS) von Klasse eins an in Anspruch. Dabei könnte es schon bald zu Problemen kommen. Die OGS-Träger im Kreis Unna befürchten einen Zusammenbruch der Strukturen – spätestens mit dem Rechtsanspruch auf einen Platz im Jahr 2026.

Es drohen eingeschränkte Betreuungszeiten

Es drohen eingeschränkte Betreuungszeiten, der Wegfall von Zusatzangeboten, eine eingeschränkte Ferienbetreuung und regelmäßige Notgruppen ab 15 Uhr, heißt es in einem Hilferuf der Freien Wohlfahrtspflege (AGW). Gemeinsam setzen sich die Arbeiterwohlfahrt (AWO), der Caritasverband, die Sozialpädagogische Initiative (SPI), die Diakonie, das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und der Evangelische Kirchenkreis Unna für „ein Rettungspaket zur auskömmlichen Finanzierung“ sowie „gesetzliche Mindeststandards für personelle, räumliche und sachliche Ausstattung“ ein.

Die AGW ist im Kreis Unna für 43 von insgesamt 60 Offenen Ganztagsschulen verantwortlich – das sind aktuell 5.418 Kinder und 623 Mitarbeiter.

Die Freie Wohlfahrtspflege im Kreis Unna sieht die OGS-Betreuung in Gefahr: Die Vertreter der Träger stehen vor der Falkschule in Unna.
Die Freie Wohlfahrtspflege im Kreis Unna sieht die OGS-Betreuung in Gefahr: (von links) Michael Klimziak, Julia Schmidt, Heiko Sachtleber, Margret Banken-Konrad, Daniel Wilms, Yvonne Gutzeit, Bettina Kliebisch, Rainer Goepfert, Pia Hammerschmidt und Angelina Marques. © Tobias Hinne-Schneider

Die Träger werfen dem Land Nordrhein-Westfalen vor, keine kostendeckende Refinanzierung sicherzustellen. Die Kommunen und Träger stünden im Regen. Dabei hätten sich die Kosten in Folge der Inflation, gestiegener Preise und einer Tarifsteigerung von 13 Prozent deutlich erhöht.

„Steigen die Zuschüsse nicht, ist das faktisch eine Kürzung“, sagt Rainer Goepfert, Fachsprecher Kindertagesbetreuung der AGW im Gespräch mit unserer Redaktion.

Es klafft ein finanzielles Loch

Er rechnet vor: Das Land zahle rund 1.400 Euro pro OGS-Platz im Jahr. Die Kommunen müssen mindestens auf 1.943 Euro auffüllen, können die Träger aber auch mit mehr Geld unterstützen. So kommen in den kreisangehörigen Kommunen zwischen 2.100 und 2.700 Euro zusammen, erklärt Goepfert. Da viele Kommunen mittlerweile einen defizitären Haushalt haben, fürchten die Träger weitere Einsparungen.

Dabei müssten es mindestens 4.975 Euro pro Platz/Jahr sein, sagt Goepfert, um eine angemessene Gruppengröße (25 Kinder) und das notwendige Personal anzubieten.

Kindertagesbetreuung für Flüchtlinge
Bis zu 41 Kindern werden in der Unnaer Falkschule gemeinsam betreut. © picture alliance / dpa (Symbolbild)

Um das finanzielle Loch zu stopfen, können die Träger „nur an der Personalschraube drehen“. Durch das große Engagement der verbliebenen Mitarbeiter schaffe man es, das Betreuungsangebot aufrechtzuerhalten, sind sich die Vertreter der Träger einig.

Angelina Marques leitet die OGS an der Falkschule. Sie gewährt einen Einblick in den Alltag an der Unnaer Grundschule. Von den 230 Schülern der Schule besuchen 150 die OGS. „Wir haben sieben Gruppen mit 20 bis 41 Kindern“, sagt sie. Diese werden in der Regel jeweils von drei Mitarbeitern betreut. Mit eingerechnet seien dabei schon FSJler (jemand, der ein freiwilliges soziales Jahr absolviert, Anm. d. Red)., die nicht zu den Fachkräften zählen. Angelina Marques fällt ein düsteres Urteil: „Wir betreuen zu viele Kinder für unsere Räumlichkeiten und Mitarbeiter.“

Landesregierung investiert 715 Millionen Euro

Ähnlich wie an der Falkschule ist die Situation an vielen OGS’en im Kreis Unna. Und die Situation könnte sich spätestens 2026 drastisch verschlimmern. Dann gibt es einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in den Grundschulen. Im Moment gebe es Wartelisten, sagt Margret Banken-Konrad. „Die Nachfrage steigt.“

Um dem Rechtsanspruch gerecht zu werden, investiert die nordrhein-westfälische Landesregierung im laufenden Jahr 715 Millionen Euro in die OGS. Mit dem Geld sollen in diesem Schuljahr insgesamt 392.500 Ganztagsplätze finanziert werden; ein Zuwachs von 30.000 Plätzen im Vergleich zum Schuljahr 2022/2023, hat das Land mitgeteilt.

Betreuungsplätze: Quantität statt Qualität

„Das Land steckt das Geld vor allem in Quantität, sprich den Ausbau von Betreuungsplätzen“, sagt Rainer Goepfert. Es werde aber kein Geld in die Qualität des Betreuungsangebotes gesteckt. Dabei hätten immer mehr Kinder einen Förderbedarf. „OGS ist auch Bildung und Erziehung“, sagt Daniel Wilms von der AGW. Es gebe keine gesetzlichen Standards bei Personal, räumlicher und sachlicher Ausstattung wie beispielsweise in den Kindertageseinrichtungen.

Weil eine Großdemonstration vor dem Düsseldorfer Landtag im Oktober – daran nahmen auch die OGS-Vertreter aus dem Kreis Unna teil – mit rund 25.000 Menschen ohne Reaktion seitens der Landesregierung geblieben sei, setzen die Träger mit dem „OGS-Wunschzettel“ jetzt auf die Unterstützung von Kindern und Eltern.

Vor der abschließenden Haushaltsdebatte im NRW-Landtag Mitte Dezember wollen die OGS-Träger aus dem Kreis Unna der Landespolitik verdeutlichen, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Kinder, Eltern und Lehrer können ihre Wünsche für die OGS auf den „Wunschzettel“ schreiben – die beiden Hauptforderungen der Freien Wohlfahrtspflege stehen bereits darauf. Bis zum 1. Dezember werden die „Wunschzettel“ an den OGS’en gesammelt. Am 5. Dezember sollen sie an Mitglieder des Landtags übergeben werden.