Thomas Möller sitzt am Fensterplatz in einem Café am Schwerter Marktplatz, trinkt einen Schluck von seinem Milchkaffee, überlegt kurz und formuliert dann einen von mehreren schlagwortartigen Sätzen an diesem Abend: „Ich erlebe ganz viele No-Gos.“
Im November 2020 ist der Schwerter als Neuling in den Kreistag gewählt worden, fünf Jahre später zieht er Bilanz. Es ist schon eine wundersame Geschichte über die Regeln der kommunalen Ordnung, an denen er oft mit seinem gesunden Menschenverstand scheiterte.
„Als Idealist gestartet und als Realist gelandet“
Politisch engagiert sich Thomas Möller noch keine zehn Jahre in einer Partei. 2016 trat er Bündnis 90/Die Grünen bei. Die Klimakrise bewegt ihn, und selbst etwas in der Sache bewegen, das will er auch. Sich aber auch um ein Mandat zu bewerben – das kam für den 62-Jährigen lange Zeit nicht in Frage. Vor allem aus Zeitgründen.
Wer mit Thomas Möller spricht, hat einen Menschen mit ernster Sorge, aber auch mit Selbstironie vor sich – und einen gestandenen Familienvater, der mitten im Leben steht. Möller ist verheiratet, hat zwei erwachsene Söhne und ist hauptberuflich Bereichsleiter in einem Systemhaus für Kommunikations- und Sicherheitstechnik in Hagen. Ein Job, bei dem er viel Verantwortung trägt und der ihn nur ausnahmsweise am frühen Nachmittag Feierabend machen lässt.

Nach reichlich Bedenkzeit ließ er sich am Ende doch in einem Kreistagswahlbezirk in Schwerte aufstellen und auf die Liste seiner Partei setzen – auf einen hinteren und eher unsicheren Platz. Die Grünen schnitten bei der Kommunalwahl aber derart stark ab, dass ihre Liste bis Platz 14 zog – Möller rutschte als Letzter noch rein und saß mit 57 Jahren erstmals im Kreistag.
„Ich bin als Idealist gestartet und als Realist gelandet“, erzählt Thomas Möller mit der Erfahrung von 50 Monaten ehrenamtlicher Mitarbeit in den politischen Gremien des Kreises Unna: im Kreistag, im Ausschuss für Mobilität, Bauen und Geoinformation und als stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Wirtschaftsförderung, Kreis- und Regionalentwicklung.
Weg im Kreistag von Katastrophen gepflastert
Recht schnell wird im Gespräch mit dem gebürtigen Gummersbacher deutlich, dass es oft noch nicht einmal die dicken Bretter gibt, die man bohren muss, ehe man endlich zum Erfolg kommt. Möller hat vielmehr häufig erlebt, dass man das Gerät erst gar nicht ansetzen sollte, weil der Bohrer ziemlich bald auf Granit stoßen könnte.
Denkt er zurück, muss Thomas Möller unwillkürlich auflachen. Es ist ein Lachen mit Beigeschmack. Denn sein Weg im Kreistag war von Beginn an von mittelschweren Katastrophen gepflastert, für die er selbst gar nichts konnte. Die erste spielte in seiner eigenen Fraktion, die sich nach einem unrühmlichen Zwist aufspaltete.
Bis heute habe er seine eigene Partei bei diesem Zerwürfnis nicht verstanden. „Die Kopfzahl ist doch das Wichtigste“, sagt Thomas Möller. Die Zahl der Köpfe, das sind die Stimmen im Kreistag, die bestenfalls für Mehrheiten reichen, die man in der Politik braucht. Da stand der kühle Rechner und unternehmerisch denkende Neupolitiker Möller gegen gewiefte Strategen und ihr Kalkül.

Persönliche Eitelkeiten, selbst eingebrockte Schwächungen – Thomas Möller fühlte sich im falschen Film. „Ich bin vielleicht naiv da `reingegangen, aber ich habe inhaltliche Ziele“, so Möller über sein Unternehmen Kreistag. Schon mit dessen Konstituierung sah er indes seine idealistischen Vorstellungen, aktiv und mit eigenen Ideen an politischen Beschlüssen mitzuwirken, arg torpediert.
Vor der Mehrheitsfindung im Kreistag lief Thomas Möller vor Hürden, die er noch viel weniger als dieses Unding der zerstrittenen Parteifreunde erwartet hätte. Es begann in der Corona-Pandemie, die Fraktionssitzungen nur in Zoom-Sitzungen zuließ – dafür konnte niemand etwas.
Erfahrene Kollegen zügelten ihn postwendend
Online auf seinem Bildschirm tauchte da über viele Wochen stets ein Dutzend kleiner Porträtbilder auf, ein persönliches Kennenlernen fiel dadurch schwer. Die Sitzung wurde nach den Regeln abgehalten wie auch sonst in gemeinsamer Runde im Fraktionszimmer.
„Ich war ja ein Greenhorn, kannte die Gepflogenheiten nicht“, räumt Thomas Möller ein. Warf er ungefragt etwas im Laufe der Sitzungen ein, zügelten ihn die erfahrenen Kollegen postwendend: Was nicht zum Tagesordnungspunkt gehörte, durfte an dieser Stelle nicht zur Sprache kommen.
„Ich kenne Brainstorming in der Firma, da quatschen wir auch mal dazwischen“, rechtfertigt sich Thomas Möller fast. Fraktionssitzungen aber, das habe er gelernt, laufen kaum weniger formal ab als die Sitzungen des Kreistags selbst.

„Für jemanden, der 30 Jahre in der Privatwirtschaft tätig ist, ist das sehr ungewöhnlich“, gibt der gelernte Kaufmann zu. „Das war mein nächster Schock“, bedauert er zugleich, denn in einer Gruppe kreativ, mit einer Hands-on-Mentalität an Probleme heranzugehen, das sei ihm eben in Fleisch und Blut übergegangen.
Sein Idealismus schliff sich mit den Monaten immer weiter ab. Er habe es für ganz selbstverständlich gehalten, in den politischen Gremien Dinge anzusprechen, die er auch selbst als Bürger dieses Kreises als Missstand ausgemacht hatte.
Formalismus und ein „Vor-die-Wand-rennen“
Als er den massiven Ausbau des Westhofener Kreuzes mit hoch liegenden Fahrspuren ansprach und problematisierte, fing man ihn sofort ein: Autobahn? Damit habe der Kreistag nichts zu schaffen. „Wir haben nichts mit der Autobahn zu tun, obwohl ich sie jeden Tag durch mein Badfenster sehe“, sinniert Möller ohne Verständnis.
Da war er wieder, der Granit. Oder man mochte sich mit einem an sich plausiblen Einwand von ihm oder anderen Kreistagsmitgliedern nicht eingehender befassen. „Das ist zu komplex“, zitiert Möller mit sarkastischem Unterton die Gegenredner. „Zu komplex – das ist so ein Totschlagargument.“
Das sei oft so abgelaufen. Auch bei Themen, die die Menschen im Kreis Unna unmittelbar berührten. „Nach Paragraf soundso darf der Kreis keine Fahrradstraße ausweisen“, erinnert sich Möller, habe man ihm bei einem Vorschlag für eine Kreis-Fahrradstraße klargemacht – das Thema war damit sofort vom Tisch.
Warum die Kommunen so eingeschränkt würden in ihrem Handlungsspielraum, fragt Möller, „dass man sich noch nicht einmal mehr traut, etwas vorzuschlagen?“ Haben ihn der strenge Formalismus und die oft nicht nachvollziehbare Zuständigkeitsordnung und das Vor-die-Wand-rennen nicht zermürbt?
Anerkennung verschafft – Möller macht weiter
Thomas Möller scheint auf diese Vermutung gewartet zu haben. „Ist es legitim so zu denken?“, das habe er sich in der Tat mehrmals gefragt, wenn ihm wieder so eine Idee kam, die nicht ins Schema passte. So lange man aber von anderen in seiner eigenen Meinung bestätigt werde, könne man das aushalten. Und diese Unterstützung habe er eben über die letzten Jahre auch immer gehabt.
Trotz aller Ernüchterung über das politische Geschäft habe er sich daher auch entschlossen weiterzumachen. Und natürlich seien in bald fünf Jahren ja auch wichtige Beschlüsse im Kreistag gefasst worden. „Das ist der richtige Weg gewesen, in dieses Gremium zu gehen“, bilanziert Thomas Möller, fügt mit Blick auf langatmige Entscheidungsprozesse aber hinzu: „Ich muss noch lernen, dass alles viel langsamer geht.“
Inzwischen ist er auch zum stellvertretenden Fraktionssprecher gewählt worden, er habe sich ja auch durchaus Anerkennung verschafft. Thomas Möller hält am Ende des Gesprächs dann noch einmal inne. „Ich bewege mich auf diesem Parkett möglicherweise unsicherer als in meinem Beruf – da bin ich souveräner, weil mir die betriebswirtschaftlichen Regeln plausibler sind.“ In fünf Jahren aktiver Lokalpolitik habe er daher etwas gelernt: „Man muss selbstbewusst zu seinen Standpunkten stehen, sonst findet man kein Gehör.“