„Die stirbt gerade“ Augenzeugen berichten von Explosion in Ratingen

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Update, 24.11., 15.15 Uhr: „Da ist einer drin. Da ist einer drin“, schreit die junge Polizistin. Im Düsseldorfer Landgericht werden am Freitag Aufnahmen der Bodycams der Beamten vorgespielt. Sie zeigen das Geschehen vom 11. Mai im zehnten Stock eines Hochhauses in Ratingen bei Düsseldorf hautnah. „Der will sich anzünden“, ruft ihr Kollege. Dann kommt ein Schwall Flüssigkeit über einen Stapel Getränkekisten auf die Beamten geflogen und Sekunden-Bruchteile später gibt es einen gewaltigen Feuerball.

Der 57-jährige Ratinger Frank P. wollte keinen Selbstmord begehen, er wollte die Polizisten anzünden, sagt Staatsanwältin Laura Neumann. Sie wirft ihm beim Prozessbeginn am Freitag versuchten Mord in neun Fällen vor. Er habe versucht, neun Menschen heimtückisch, grausam und mit gemeingefährlichen Mitteln zu töten.

Ein 30-jähriger Polizist berichtet, wie der Einsatz abgelaufen ist. Er sei der erste gewesen, der die Wohnung damals betreten habe. Die Hausverwaltung habe sie gerufen. Die beiden Bewohner der Wohnung würden vermisst, der Briefkasten quelle über, das Auto der Mieter sei entsiegelt.

Auf das Klopfen und Klingeln hin habe niemand geöffnet. Sie hätten noch einen Blick vom Nachbarbalkon in die Wohnung werfen wollen, aber das habe der Nachbar aus Angst vor Frank P. verweigert: „Der ist irre“, habe er gesagt.

Dann habe die Feuerwehr die Wohnungstür geöffnet und starker Verwesungsgeruch sei ihnen entgegengeströmt. Es sei kein Geräusch zu hören gewesen. „Ich dachte, da ist niemand drin“, berichtet der Beamte.

Die Eingangstür sei blockiert und verbarrikadiert gewesen, sie hätten erst eine Kette bilden und Getränkekästen nach draußen schaffen müssen, um sich einen Weg zu bahnen. Dann habe er ein Geräusch gehört und den Angeklagten mit einem Stück brennenden Textil in der Hand gesehen. „Dann fängt man an, alles anders zu bewerten. Vorher habe ich an einen erweiterten Suizid gedacht.“

Er habe seine Waffe gezogen und den Mann in der Wohnung aufgefordert, seine Hände zu zeigen. Doch der habe nicht reagiert. „Ich habe geschrien „Der will sich anzünden“, aber dann kam auch schon der Hitzeschlag.“

Seine Kollegin habe vollständig in Flammen gestanden. Er habe sie nach unten begleitet. Sein Funkgerät sei kaputt gewesen. Über sein Privathandy habe er in der Leitstelle Alarm ausgelöst. Dann habe er bemerkt, dass er seine Dienstwaffe verloren hatte und ein SEK angefordert.

„Mir tat alles weh, irgendwann übermannt einen der Schmerz. Ich habe angefangen, mich auszuziehen und auf Verstärkung gewartet. Eine Notärztin kam auf mich zu. Ich habe pechschwarzen Ruß gehustet. Dann war es lange dunkel.“ Nach zwei bis drei Wochen sei er wieder zu sich gekommen. Nicht nur die Schmerzen der Brandwunden seien schlimm gewesen. „An den Anblick muss man sich gewöhnen.“

Nicht nur die beiden Polizisten, auch vier Feuerwehrleute, zwei Rettungssanitäter und ein Notarzt wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt.

Der deutsche Angeklagte erscheint in grauem Pullover und grauer Hose mit wild wucherndem Haar- und Bartwuchs im Gerichtssaal. Er wirkt selbstbewusst und verbirgt sein Gesicht nicht. Als die Richter eintreten, bleibt er sitzen.

Er beobachtet aufmerksam die Verhandlung, hin und wieder flüstert er mit seinem Anwalt. Zeichen von Reue oder Bedauern sind bei ihm nicht zu entdecken. Als der Vorsitzende Richter ihn anspricht, reagiert er nicht. Auch zu den Tatvorwürfen schweigt er.

Der Ratinger Feuerwehr-Chef René Schubert berichtet, wie die Alarmstufen damals erhöht wurden. Acht Rettungshubschrauber seien schließlich im Anflug gewesen, um die Verletzten möglichst schnell in Kliniken zu bringen. Jemand sei auf ihn zugekommen und habe gesagt: „Im Rettungswagen liegt eine Polizistin, die stirbt gerade.“

Ausführlich berichten medizinische Sachverständige dem Gericht am Freitag von den fürchterlichen Brandwunden und den psychischen Folgen der zum Teil berufsunfähigen Opfer, von „flächigen Verlusten der oberen Hautschichten im gesamten Gesichtsbereich“.

Der Angeklagte soll mehrere Liter Benzin auf Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungsdienstmitarbeiter geschüttet und dann angezündet haben. Das Gas-Luft-Gemisch explodierte und ein Feuerball verletzte die Einsatzkräfte. Mehrere kämpften wochenlang um ihr Leben. Am schwersten wurde die junge Polizistin verletzt, sie lag monatelang im künstlichen Koma.

In der Wohnung waren Spezialkräfte der Polizei später auf die skelettierte Leiche der Mutter des 57-Jährigen gestoßen. Sie war bereits mehrere Wochen zuvor gestorben, ergaben die Untersuchungen.

Die Polizei hatte nach der Explosion 35 Verletzte gezählt, die meisten waren mit Verdacht auf Rauchvergiftung behandelt worden. Acht der neun Opfer würden absehbar bleibende Schäden zurückbehalten, hatte die Staatsanwaltschaft mitgeteilt. Das Gericht hat bis zum 11. Januar kommenden Jahres neun Verhandlungstage für den Strafprozess angesetzt.

Update, 24.11., 11.50 Uhr: Im Prozess um die verheerende Explosion in einem Hochhaus in Ratingen bei Düsseldorf hat der 57 Jahre alte Angeklagte beim Auftakt am Freitag zu den Vorwürfen geschwiegen. Dem Deutschen wird versuchter Mord in neun Fällen vorgeworfen. Er soll am 11. Mai dieses Jahres mehrere Liter Benzin auf Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungsdienstmitarbeiter geschüttet und dann angezündet haben. Das Gas-Luft-Gemisch explodierte und ein Feuerball verletzte die Einsatzkräfte. Mehrere von ihnen kämpften wochenlang um ihr Leben.

Als erster Zeuge sagte in dem Prozess der Polizist aus, der als erster in die Wohnung gegangen war. In der Wohnung sei es still gewesen, sagte er. Dann habe er plötzlich den Angeklagten mit einem brennenden Textilstück in der Hand gesehen. Es habe einen Hitzeschlag gegeben, und seine Kollegin habe in Flammen gestanden, berichtete er. Er habe sie noch nach unten begleitet. Später habe er selbst wegen schwerer Verletzungen wochenlang im Koma gelegen.

Erstmeldung, 24.11., 9.30 Uhr: Die verheerende Explosion in einem Ratinger Hochhaus beschäftigt von Freitag (10.00) an das Düsseldorfer Landgericht. Auf der Anklagebank muss sich ein 57 Jahre alter Deutscher verantworten. Er soll am 11. Mai mehrere Liter Benzin auf Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungsdienstmitarbeiter geschüttet und dann entzündet haben. Das Gas-Luft-Gemisch explodierte und ein Feuerball verletzte die Einsatzkräfte. Mehrere von ihnen kämpften wochenlang um ihr Leben. Eine Polizistin blieb monatelang im künstlichen Koma.

Dem Angeklagten wird versuchter Mord in neun Fällen vorgeworfen. Acht der neun Opfer würden absehbar bleibende Schäden zurückbehalten, heißt es in der Anklageschrift. Die Polizei hatte nach der Explosion 35 Verletzte gezählt, die meisten waren mit Verdacht auf Rauchvergiftung behandelt worden.

Die Explosion löste einen stundenlangen Großeinsatz mit 650 Kräften aus, an dessen Ende Spezialeinheiten der Polizei den 57-Jährigen überwältigen konnten. Dabei stießen sie in der Wohnung auf eine im Rollstuhl sitzende teilweise skelettierte Leiche.

Wie sich herausstellte, waren es die Überreste der Mutter des verwahrlost wirkenden Ratingers, mit der dieser wochenlang in der Wohnung ausgeharrt hatte. Er sitzt seither in Untersuchungshaft und schweigt seit gut einem halben Jahr zu den Vorwürfen.

Prozess um Explosion in Ratingen beginnt

Die Polizei war wegen eines überquellenden Briefkastens und Verwesungsgeruchs zu seiner Wohnung gerufen worden. Unklar ist das Tatmotiv des Mannes. Der 57-Jährige soll zu Verschwörungstheorien neigen und große Vorräte in seiner Wohnung angelegt haben.

Wenige Tage vor der Tat hatte ein Polizist mit einem Haftbefehl bei ihm geklingelt, weil gegen den Mann zwei Strafbefehle wegen Körperverletzungen verhängt worden waren. Unter anderem soll er einen Nachbarn geschlagen haben. Weil er seine Geldstrafe nicht bezahlt hatte, sollte er ins Gefängnis.

In einer anderen Wohnung des Hochhauses war nach der Räumung ein 73 Jahre alter Bewohner tot entdeckt worden. Der schwer pflegebedürftige Mann könnte ums Leben gekommen sein, weil er wegen der Evakuierung zu lange unversorgt geblieben war.

Ob sein Tod tatsächlich durch den Einsatz bedingt war und auch dem 57 Jahre alten Ratinger anzulasten ist, wird in einem getrennten Verfahren ermittelt. Das Landgericht hat bis 11. Januar kommenden Jahres neun Verhandlungstage für den Strafprozess angesetzt.

dpa

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