Neue Infos zum Zugunfall peinlich für die Stadt Falsche Behauptungen, verschwiegene Details

Neue Infos zum Zugunfall: Falsche Behauptungen, verschwiegene Details
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Was ging schief beim Rettungseinsatz am 2. Februar 2023? Seinerzeit hatte ein Güterzug in Recklinghausen zwei kleine Jungen erfasst. Ein Zehnjähriger starb, ein Neunjähriger erlitt lebensgefährliche Verletzungen.

Im Nachgang hatte der am Unglücksort eingesetzte Notarzt Dr. Elmar Segbers massive Kritik am Rettungseinsatz geübt und eklatante Fehler angeprangert.

Am 2. Februar 2023 ereignete sich in Recklinghausen ein schweres Zugunglück, bei dem ein Junge getötet, ein anderer schwer verletzt wurde. Dr. Segbers, der als Notarzt vor Ort war, erhob nach dem Rettungseinsatz schwere Vorwürfe.
Das schwere Zugunglück vom 2. Februar 2023 in Recklinghausen erschütterte die Stadt. Dr. Segbers, der als Notarzt vor Ort war, erhob nach dem Rettungseinsatz schwere Vorwürfe. Jetzt gibt es neue Details. © picture alliance/dpa

Seit Anfang 2024 hat die Recklinghäuser Zeitung immer wieder über den Fall berichtet und sich um Aufklärung bemüht. Die Stadt Recklinghausen weigerte sich, bestimmte Informationen an die Redaktion herauszugeben. Erst jetzt lenkte sie nach einem langen juristischen Tauziehen ein und übergab Kopien von angeforderten Dokumenten an die Redaktion.

Bei dem tragischen Unfall waren die beiden Jungen erst 90 Minuten nach der Alarmierung überhaupt und das auch nur durch einen kaum zu glaubenden Zufall gefunden worden. Im Nachgang hatte Segbers massive Kritik am Rettungseinsatz geübt und auf eine Aufarbeitung der Fehler gedrängt. Als die nicht erfolgte, übte man Druck auf ihn aus und stellte ihn schließlich kalt. Inzwischen darf er keine Rettungseinsätze mehr als Notarzt fahren.

Die Rechtfertigung der Stadt sieht keine Fehler

Nach den ersten kritischen Berichten unserer Redaktion über den fehlerhaften Rettungseinsatz im März 2024 veröffentlichte die Stadt Recklinghausen am 20. April 2024 eine umfangreiche Stellungnahme, in der sie alle Fehler abstritt. Sie trug die Überschrift: „Bahnunglück: Kein Fehlverhalten der Rettungsdienste während des Einsatzes“.

In dieser Rechtfertigung hebt die Stadt hervor, dass man auf Empfehlung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums Albrecht Broemme, den langjährigen Leiter der Berliner Feuerwehr und Präsidenten des Technischen Hilfswerks, um eine Einschätzung des Rettungseinsatzes gebeten habe.

Die Stadt fasst die Einschätzung von Albrecht Broemme, dem sie „alle Dokumente zum Ablauf des Einsatzes vorgelegt“ habe, in der Stellungnahme vom 20. April 2024 zusammen, ohne der Redaktion den gesamten Wortlaut der Einschätzung von Albrecht Broemme zur Verfügung zu stellen.

In der Zusammenfassung der Stadt klingt das dann so: „Albrecht Broemme sieht nach seiner Prüfung keinen Grund zur Beanstandung des Einsatzes. Es sei nicht erkennbar, dass irgendwelche Umstände, für die Einsatzkräfte verantwortlich sind, für den tragischen Verlauf des Einsatzes verantwortlich seien. Verbesserungspotenzial macht er bei der Kommunikation zwischen Bundespolizei, Landespolizei und Feuerwehr aus.“

Erst als die Redaktion vor Gericht zieht, lenkt die Stadt ein

Das ist gleich in mehrerer Hinsicht bemerkenswert, wie sich jetzt zeigt, nachdem die Stadt Recklinghausen wichtige Unterlagen an die Redaktion übermittelt hat. Die Herausgabe der Stellungnahme von Albrecht Broemme selbst sowie Kopien der Kommunikation zwischen Stadt und Broemme hatte unsere Redaktion bereits am 20. Juni 2024 nach dem Informationsfreiheitsgesetz beantragt.

Da sich die Stadt beharrlich weigerte, dem nachzukommen, entwickelte sich ein monatelanges juristisches Tauziehen zwischen Stadt und Redaktion der Recklinghäuser Zeitung. Erst als unsere Redaktion beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Klage gegen die Stadt eingereicht und das Gericht für den 14. März 2025 einen Verhandlungstermin angesetzt hatte, lenkte die Stadt Recklinghausen ein. Wenige Tage vorher rückte sie Kopien der von der Redaktion angeforderten Unterlagen heraus.

Und die zeichnen ein etwas anderes Bild, als es die Stadt gemalt hatte. So flog dabei auf, dass Broemme seine „Expertise“, wie er sie selbst bezeichnete, abgegeben hatte, ohne die Dienstaufsichtsbeschwerden von Dr. Segbers auch nur gelesen zu haben. Peinlich: Die Stadt hatte behauptet, Broemme „alle Dokumente“ zur Verfügung gestellt zu haben. Hat sie aber nicht. Gleichwohl sah sie diese „Expertise“ in ihrer Veröffentlichung vom 20. April 2024 als hinreichend an, um jegliche Kritik am Rettungseinsatz zurückzuweisen.

Die Stadt hatte Broemme für seine „Expertise“ den Einsatzbericht der Feuerwehr zugemailt, auf den sich Broemme bei seiner Einschätzung stützte. Reicht das für eine unvoreingenommene Einschätzung, wo doch die Feuerwehr selbst im Mittelpunkt der Kritik stand?

Erst Wochen später stellte die Stadt Broemme auch die Dienstaufsichtsbeschwerden von Dr. Segbers zur Verfügung. Die hätten an seiner grundsätzlichen Einschätzung aber nichts geändert, antwortete Broemme wenig später der Stadt.

Was die jetzt freigegebenen Dokumente zeigen

Die unter Druck freigegebenen Unterlagen belegen zudem, dass die Stadt bei ihrer Darstellung dessen, was Albrecht Broemme geschrieben hat, durchaus Wesentliches nicht erwähnt hatte. Broemme habe lediglich „Verbesserungspotenzial“ in der Kommunikation gesehen, so hatte die Stadt allgemein erklärt.

Das ist richtig, allerdings hatte Broemme auch ausdrücklich geschrieben, dass der Einsatz zwar „aus hiesiger Sicht nicht zu beanstanden“ sei, aber „unglücklich“ verlaufen sei. Und dann listet Broemme diversen „Optimierungsbedarf“ auf. Dabei nennt er unter anderem:

- „Die Meldewege zwischen Bahn-Leitstelle, Notfallmanagement der Bahn, der Kreisleitstelle und den Einsatzkräften müssen verbessert werden. Vor allem war den Einsatzkräften der Standort des Güterzugs nach der Notbremsung nicht gemeldet worden.“

- „Die Kommunikation zwischen Bundespolizei, Landespolizei und der Feuerwehr muss optimiert werden“. Konkret folgert Broemme daraus: „Die Kommunikation zwischen Feuerwehr/ Rettungsdienst, Polizei, Bahn und Notfallmanagement der Bahn sollte verbessert und geübt werden“.

Das heißt: Auch nach Einschätzung von Albrecht Broemme, die er schon vor der Lektüre der Dienstaufsichtsbeschwerden von Dr. Segbers als „Expertise“ zu Papier gebracht hatte, gab es nach diesem Rettungseinsatz erheblichen Aufarbeitungs- und Korrekturbedarf. Nichts anderes hatte Dr. Segbers von Anfang an gefordert.