Liebe Leserin, lieber Leser, fühlen Sie sich frei, Ihre Meinung zu sagen? Jeder vierte Deutsche hat da Hemmungen. Laut Umfragen. Ein bemerkenswertes Ergebnis für eine freie Gesellschaft im Jahr 2023. Niemand wird eingesperrt, der die Regierung kritisiert. Jeder darf sagen, was er denkt, auch wenn sich andere empören. Niemand bekommt eine Strafe, der ein Zigeunerschnitzel bestellt oder von Asylanten statt von Asylbewerbern spricht.
Es gibt auch keine Pflicht, ein Gendersternchen zu benutzen. Jeder darf sich frei äußern. Etwa wer an die These glaubt, es gebe nur Frauen und Männer und nichts dazwischen. Oder wer findet, die DDR sei ein Rechtsstaat gewesen. Man darf auch kritisch sehen, dass die modernen Ausgaben von Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ jetzt vom „Südseekönig“ statt wie ursprünglich vom „Negerkönig“ berichten. Niemand in Deutschland muss für seine Meinung staatliche Sanktionen fürchten.
Was also steckt hinter dem Gefühl bei so vielen Menschen, vieles nicht mehr sagen zu dürfen? Und welche Rolle spielen dabei gesellschaftliche Mechanismen? Der „Shitstorm“ in den Sozialen Medien für die junge Mutter etwa, die nach zwei Monaten ihren Säugling abstillt. Oder der Punktabzug für einen Studenten, der im Hörsaal nicht gendern will.
Wie verhält es sich mit dem russischen Dirigenten, der sich nicht von Wladimir Putin distanziert und seinen Job bei den Münchner Philharmonikern verliert? Zuletzt haben Bedrohungen durch Aktivisten Tagesschau-Sprecher Constantin Schreiber so sehr eingeschüchtert, dass er sich öffentlich nicht mehr zum Islam äußern will.
Sind diese Beispiele Ausnahmen oder entwickelt sich unsere Gesellschaft tatsächlich zu mehr Unfreiheit? Führt Political Correctness dazu, dass man allenfalls nur noch theoretisch sagen darf, was man denkt?
Die Redaktion hat heftig gestritten
Diesen Fragen wird sich unsere Redaktion widmen. Mit besonderem Blick auf gesellschaftliche Themen, die Sprengstoff besitzen: Political Correctness, Klima, Gendern, Zuwanderung, Sexismus. Uns ist bewusst: Das sind Themen, die auch Populisten für ihre Zwecke nutzen.
In der Redaktion haben wir deshalb heftig über ihre Auswahl gestritten. Am Ende sind wir uns einig: Gerade diese Themen brauchen dringend eine Versachlichung. Und weil sie so sensibel sind, nehmen wir uns ab November sechs Monate Zeit, sie zu ergründen. Wir sprechen mit Experten, beleuchten alle Perspektiven, legen die Streitpunkte offen, ordnen ein, zeigen Beispiele aus der Region und nennen auch – ja, es muss sein – Fakten, die wehtun. Denn wir sagen, was ist – und so heißt auch unsere Serie „Alles sagen! Der Streit um die freie Meinung“.
Polarisierende Themen, zu denen uns Ihre Meinung interessiert, liebe Leserinnen und Leser. Innerhalb der sechs Monate haben wir deshalb insgesamt drei Fragebögen zu den oben genannten Themen vorbereitet. Der erste Teil der Umfrage ist bereits abgeschlossen. Die Ergebnisse werden in unsere Berichterstattung einfließen.
Ich sage Danke für Ihre Unterstützung und lade Sie herzlich ein, unsere Serie zu verfolgen. Sie startet am Samstag, 11. November.
Jens Ostrowski, Chefredakteur
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