Notfall-Plan für Notarzt-Versorgung Neuer Vertrag fehlt, schon 14.630 Euro Extra-Kosten

Notarzt-Versorgung: Neuer Vertrag fehlt, schon 14.630 Euro Extra-Kosten
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Die Verhandlungen über die notärztliche Versorgung in Recklinghausen sind ins Stocken geraten. Am Freitag (31. Mai) endet der bisherige Vertrag zwischen der Stadt sowie den drei Krankenhäusern in Recklinghausen: Prosper-Hospital sowie Elisabeth- und Knappschafts-Krankenhaus. Bisher gibt es keine Einigung auf einen neuen Vertrag.

Das bestätigte Stadtpressesprecher Hermann Böckmann auf Anfrage unserer Redaktion. Um Zeit für die Verhandlungen zu gewinnen, hätten die drei Krankenhäuser und die Stadt „zunächst – übergangsweise – vereinbart, die bisherige Vereinbarung über die Regelung des Notarzteinsatzes kurzzeitig befristet bis zum 30.06.2024 zu verlängern“. Ein Notfallplan also, damit die Stadt ab Samstag nicht ohne Notarztversorgung dasteht.

Nach dem Zugunglück in Recklinghausen stellten trauernde Menschen Blumen und Kerzen am Unglücksort auf.
Nach dem Zugunglück in Recklinghausen stellten trauernde Menschen Blumen und Kerzen am Unglücksort auf. Die Nachwehen des Unfalls belasten die Verhandlungen über einen neuen Vertrag zur Notarztversorgung. © David Young/dpa

Dabei spielen Differenzen über die Kosten offenbar keine Rolle, denn: Das von den drei Krankenhäusern vor Wochen vorgelegte Angebot zur Vertragsverlängerung sei in einem gemeinsamen Gespräch zwischen Kliniken, Stadt und Krankenassen als Kostenträger einvernehmlich akzeptiert worden, so Böckmann.

Der Haken, an dem es stockt: Man plane, die „bisherige Vereinbarung über die Regelung des Notarzteinsatzes insgesamt inhaltlich zu überarbeiten und zu aktualisieren“, so Böckmann. Worum es dabei genau geht, dazu äußert sich Böckmann nur nebulös mit Verweis auf Anforderungen des Rettungsgesetzes NRW sowie den neuen Rettungsdienstbedarfsplan für den Kreis Recklinghausen.

Denen werde der bisherige Vertrag „nicht (mehr) vollumfänglich gerecht“. Böckmann verweist dazu auf Paragraph 7, Absatz 3 des Rettungsdienstgesetzes NRW, in dem es heißt: „Der Rettungsdienst ist in medizinischen Belangen und Angelegenheiten des Qualitätsmanagements von einer Ärztlichen Leitung Rettungsdienst zu leiten und zu überwachen.“ Das habe „durch den Träger des Rettungsdienstes“ zu erfolgen. Die Stadt ist Träger, aber die Ärztliche Leitung hat der Kreis.

Die bislang eingesetzten Notärzte sind Angestellte der drei Krankenhäuser. Ihre Vorgesetzten sind die Leitungen der Hospitäler. Auf unsere Nachfrage, ob es das Ziel der Stadt sei, genau dieses zu ändern, antwortete Böckmann, nein, das wolle man nicht. Allerdings könnten die Notärzte auch Weisungen vom Leitenden Notarzt in medizinischen Fragen und vom Einsatzleiter der Feuerwehr, allerdings nur während des Einsatzes in einsatztaktischen Belangen „erhalten und müssen diese umsetzen“. Ansonsten gelte: Weder die Stadt noch die Feuerwehr könne den Notärzten Anweisungen erteilen.

Die drei Krankenhäuser wollten sich auf Anfrage unserer Redaktion wegen der laufenden Verhandlungen nicht äußern. Zu Detailfragen zu Verträgen äußere man sich ohnehin nicht.

Ute Böhm, Referentin im Landesverband der Ersatzkassen, sagte, dass man den Vertragsentwurf der Krankenhäuser aus Recklinghausen „geprüft und für angemessen befunden habe“. Details zum Inhalt, die sich aus dem neuen Krankenhausbedarfsplan ergäben, würden noch besprochen.

Die bisherige Notfallversorgung habe die gesetzlichen Vorgaben erfüllt. Ziel sei es jetzt, einen unbefristeten Vertrag zu schließen. Als Kostenträger sei man allerdings nicht Vertragspartner, sondern begleite den Prozess nur.

Die Diskussion um den neuen Vertrag für die Notarztversorgung ist spätestens seit dem 2. Februar 2023 von erheblicher Brisanz. Seinerzeit war bei einem Zugunglück in Recklinghausen ein zehnjähriger Junge getötet und ein Neunjähriger lebensgefährlich verletzt worden. Die beiden Jungen waren erst 90 Minuten nach der Alarmierung überhaupt und das auch nur durch einen kaum zu glaubenden Zufall gefunden worden.

Im Nachgang hatte der am Unglücksort eingesetzte Notarzt Dr. Elmar Segbers massive Kritik am Rettungseinsatz geübt und auf eine Aufarbeitung der Fehler gedrängt. Als die nicht erfolgte, erstattete er Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Chef der Feuerwehr Recklinghausen, Thorsten Schild, den Ersten Beigeordneten Ekkehard Grunwald und Oliver Weber, den Ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes im Kreis Recklinghausen. Über die Dienstaufsichtsbeschwerde ist noch nicht entschieden.

In der Folge ergriffen Schild und Weber Maßnahmen, um Dr. Segbers von Notarzt-Einsätzen bei Bränden, Unfällen und Katastrophen auszuschließen. Notfalls, so ordneten sie an, solle ein zweiter Notarzt zur Unglücksstelle geschickt werden, um Segbers abzulösen.

Das aber hatte Folgen: Am 24. Januar 2024 hatte ein 57-jähriger Mann im Einkaufszentrum Palais Vest einen schweren internistischen Zusammenbruch erlitten. Ein Notarzt musste eigens aus Marl kommen, da neben Dr. Segbers der zweite Notarzt von Recklinghausen zum selben Einsatz beordert worden war. Das dauerte lange, der Mann starb. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Bochum ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, um zu klären: Musste der Mann sterben, weil ein Notarzt zu spät vor Ort war? Wenn ja, wer war dafür verantwortlich?

„Körperverletzung im Amt“?

Anfang April reagierte die Stadt mit einer radikalen Lösung, um solche Vorfälle künftig zu vermeiden. Sie schloss Dr. Segbers gänzlich von Notarzt-Diensten aus und verpflichtete als Ersatz Honorarkräfte. Die Kosten dafür muss die Stadt tragen. Bis 17. Mai sind dafür 14.630 Euro aufgebracht worden, teilte Stadtsprecher Böckmann auf Anfrage mit.

Offen ist unterdessen auch noch eine Strafanzeige, die die Eltern des überlebenden Kindes gegen den Leiter des missglückten Rettungseinsatzes und dessen Vorgesetzen, Feuerwehr-Chef Thorsten Schild, wegen „Körperverletzung im Amt“ erstattet hatten.