Edip Altinsöz sitzt am Donnerstagvormittag (18.1.) im Wohnzimmer seines Bruders Veysi in Datteln. Auf dem Schoß kuschelt Lena, seine zweijährige, behinderte Tochter, die am „Frank-ter-Haar-Syndrom“ leidet. Seine Frau Emel hat Depressionen, wiegt die zwei Monate alte Vera im Arm. „Durch den Brand in dem Haus am 30. Dezember sind die Panikattacken meiner Frau noch einmal schlimmer geworden“, schildert der 45-Jährige besorgt. Edip Altinsöz ist Türke, der seit 1990 in Deutschland lebt - und seit drei Jahren mit seiner Familie an der Riphausstraße in Waltrop.
„Ich hatte zuerst noch einen Großeinkauf gemacht, hatte für Silvester alles eingekauft. Als ich zurückkam, haben wir zu Mittag gegessen“, blickt Edip Altinsöz zurück. Mit stockender Stimme schildert er: „Die Pfanne mit dem Reis und dem Fleisch steht dort heute noch auf dem Herd.“
„Zuerst dachten wir an eine Schlägerei“
„Plötzlich wurde es laut. Sehr laut im Treppenhaus. Wir wussten überhaupt nicht, was los war. Vielleicht eine Schlägerei vor der Kneipe, die unten im Haus ist? Aber um diese Zeit um kurz vor vier Uhr am Nachmittag?“
Dann wurde mit aller Wucht an die Wohnungstür geschlagen. „‘Unsere Wohnung brennt, kommt sofort raus‘, haben sie gerufen. Es waren die Nachbarn von oben“, wie sich später aufklärte.

Was war der erste Gedanke des Familienvaters? „Dass ich meine Kinder und meine Frau rette.“ Und, dass er den immer bereitstehenden Koffer mitnehmen musste, in dem Medikamente, die Spritzen für Lenas Sonde, die flüssige Nahrung und Pampers drin sind. „Ich hatte Lena auf dem Arm, meine Frau das Baby. Wie gut, dass wir beide eine Decke geschnappt hatten. Als wir ins Treppenhaus traten, war dort dieser beißende Geruch. Wir haben die Decken über die Köpfe der Mädchen gelegt und sind runter- und rausgelaufen.“

„Meine Frau hatte nur einen Pyjama an. Wir sind dann auf die andere Straßenseite gelaufen und haben uns auf die Treppen der Marienkirche gesetzt. Als ich dann sah, wie die Flammen aus der Wohnung über unserer herausschlugen, konnte ich es nicht glauben. Ich war völlig geschockt. Meine Frau hat geweint. Sie hat sowieso Asthma und hatte eine starke Panikattacke.“ Liebevoll blickt er bei diesen Worten seine drei Mädels an. Sein Blick verrät: „Das Wichtigste ist, dass wir da heil rausgekommen sind.“
Welch ein Glück, dass Edip Altinsöz sein Handy in der Hosentasche hatte. „Und ich habe mir im allerletzten Moment noch die Jacke vom Haken neben der Wohnungstür genommen.“ Denn sein Bruder Feyzi holte Emel, Lena und Vera umgehend ab. „Ich bin da geblieben. Denn da fiel mir auf, dass ich nicht alles für Lena dabei hatte. Sie bekommt die Flüssignahrung viermal am Tag, im Koffer war aber nur ein Fläschchen.“
Zugang zur Wohnung in Begleitung eines Feuerwehrmanns
Als das Feuer dann gelöscht war, durfte er in Begleitung eines Feuerwehrmannes die Wohnung betreten. „Die wichtigen Augentropfen, weitere Nahrung und Spritzen musste ich unbedingt haben.“ Wie es in der Wohnung aussah? „Vom Löschwasser waren die Decken und die Wände nass, der Ruß und der Brandgeruch waren richtig schlimm.“
Der besorgte Familienpapa war durcheinander. Später fiel ihm auf, dass er die immens wichtigen Augentropfen erneut vergessen hatte. „Ich habe dann mit Polizisten gesprochen, ich durfte dann noch einmal rein“, schildert der 45-Jährige mit erschöpftem Blick.

In der Nacht hatte sein Bruder Emel und die zwei Monate alte Vera in die Kinderklinik gebracht. „Die Kleine hatte sich davor schon einen Virus eingefangen. Letztlich mussten beide acht Tage stationär bleiben.“
Edip war für drei Tage mit Lena bei seinem Bruder Feyzi in Waltrop, dann fand er mit seinem kleinen Sonnenschein bei Veysi, seinem anderen Bruder in Datteln, Unterschlupf. Sie sind unendlich dankbar für das Dach über dem Kopf. Aber Veysi und Ehefrau Hadra haben auch drei Kinder. Sie baut jeden Abend ein Matratzenlager im Wohnzimmer für ihre Verwandten auf.

„Aber wir alle sind durcheinander. Vera weint nachts viel. Dadurch wachen auf jeden Fall die Erwachsenen und größeren Kinder auf. Deshalb hoffen wir jetzt so sehr, dass wir eine Wohnung finden“, sagt Edip Altinsöz.
Er selbst hatte bislang kein Glück, hofft nun durch den Gang in die Öffentlichkeit auf ein Angebot. „Am liebsten hätten wir eine Drei-Zimmer-Wohnung. Aber selbst wenn wir nur ein Zimmer haben sollten, wir würden alles nehmen. Damit wir alle wieder ein Dach über dem Kopf haben und zur Ruhe kommen können.“
„Da können wir nicht mehr hin“
Sicher, eine Rückkehr in die einstige Wohnung sei irgendwann möglich. „Aber da können wir nicht mehr hin. Meine Frau hat solche Angst, sie sagt, dass sie diese Wohnung nach dieser Erfahrung nicht mehr betreten kann. Zudem hat sie Asthma, die Wände sind nass. Wir haben eine behinderte Tochter und ein zwei Monate altes Baby. Daher möchten wir ein neues Zuhause haben. In Datteln oder Waltrop. Weiter weg geht nicht, da Lena viele Arzttermine in der Kinderklinik hat und regelmäßig zur Logopädie und Physiotherapie muss.“
Als Edip Altinsöz das sagt, scheinen seine Augen einerseits müde. Andererseits aber auch hoffnungsvoll, dass seine kleine, vom Schicksal gebeutelte Familie ein neues Zuhause findet.
Etwaige Vermieter, Sach- oder Geldspender können sich direkt bei Edip Altinsöz melden: 0157 / 74 91 62 01.
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