Mutter wollte mit Baby auf A43 sterben „Ich hatte Angst, dass ich das alles nicht schaffe“

Mutter wollte mit Baby sterben: „Ich hatte Angst“
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Wer die Frau aus Oer-Erkenschwick vor Gericht erlebt, kann kaum glauben, was vor knapp sechs Monaten auf der A43 bei Marl passiert ist. Damals ist die 32-Jährige mit Selbstmordabsicht in eine Baustelle gerast. Ihr sechs Tage altes Baby lag im Fußraum hinter dem Fahrersitz. Seit Freitag beschäftigt das Drama das Essener Schwurgericht. Der Vorwurf: Mordversuch. Doch um Bestrafung geht es nicht.

Es war der 31. Mai 2022, als sich die OP-Assistentin hinter das Steuer ihres SUVs setzte und in Richtung Münster auf die Autobahn fuhr. In der Baustelle bei Marl-Sinsen soll sie ihren Wagen plötzlich auf mindestens 150 km/h beschleunigt und ungebremst auf ein vor ihr fahrendes Auto aufgefahren sein.

Bilderbuch-Schwangerschaft

„Ich wollte mich und meinen Sohn umbringen“, sagte die 32-Jährige den Richtern. „Ich hatte Angst, dass ich das alles nicht schaffe.“ Vorausgegangen waren Tage voller Selbstzweifel und Nächte ohne Schlaf. Im Prozess ist von einer schweren postpartalen Depression die Rede. Geordnetes Denken war offenbar nicht mehr möglich. Dabei hatte alles so schön begonnen.

„Ich hatte eine Bilderbuch-Schwangerschaft“, so die 32-Jährige. Ihr Sohn sei ein absolutes Wunschkind gewesen. Doch schon die Geburt verlief nicht wie erwartet. Das Baby kam zwölf Tage zu früh, die Schmerzen waren offenbar extrem. Danach klappte das Stillen nicht, und auch ein Hörtest fiel nicht gut aus.

Keinen anderen Ausweg gesehen

„Das hat mich alles verunsichert“, so die Erkenschwickerin, die vor Gericht wie die liebste Person der Welt erscheint. „Ich hatte immer Angst, dass ich etwas falsch mache – sogar beim Baden und beim Anziehen.“ Als ihr Sohn in den ersten Tagen nach der Geburt dann auch noch an Gewicht verloren habe, sei sie völlig betroffen gewesen. Dabei war alles noch im Rahmen.

Am Tag des Dramas muss sich die 32-Jährige komplett in einem „Tunnel“ befunden haben. Als ihr Lebensgefährte zum Standesamt fuhr, um die Geburtsurkunde abzuholen, sah sie selbst offenbar keinen anderen Ausweg mehr als aus dem Leben zu scheiden.

Keine Lebensgefahr

„Ich weiß gar nicht, warum ich meinen Sohn mitgenommen habe“, so die Erkenschwickerin. „Eigentlich wollte ja nur ich sterben.“ Auch an den eigentlichen Unfall habe sie keine Erinnerung.

Zwei weitere Autos waren den Zusammenprall verwickelt. Dass ihr Baby überlebt hat, gleicht einem Wunder. Der Säugling wurde unter den Fahrersitz geschleudert, erlitt ein Schädelhirn-Trauma. Es bestand jedoch keine Lebensgefahr. Auch die anderen Unfallbeteiligten kamen glimpflich davon.

Vor Gericht droht der 32-Jährigen die unbefristete Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie – auch zum Schutz ihres Sohnes. Bestraft werden kann sie nicht: schuldunfähig.

Ein Rettungshubschrauber ist auf der Autobahn gelandet.
Der Unfall auf der A43 in Marl sorgte Ende Mai für einen kilometerlangen Stau bis in die Abendstunden. © Patrick Köllner

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