Mit SS-Runen durchs Schwimmbad und keiner sagt was Die große, gefährliche Gleichgültigkeit

Mit SS-Runen durchs Schwimbad und keiner sagt was: Gleichgültigkeit als tödlichste Gefahr
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Ulrich Breulmann.

Dieser Start ins neue Jahr hat mich sehr, sehr nachdenklich gemacht. Dabei versprach der Familienausflug ins Freizeitbad des Eifel-Städtchens Kreuzau vergnügte Stunden für drei Generationen. Mit dem Vergnügen war es allerdings vorbei, als ein über und über tätowierter Mann schwer zu schätzenden Alters an mir vorbeilief.

Über die ganze Breite der Brust beleidigte der Mann mit einem riesigen Tattoo alle Polizisten („F... Cops). An seiner rechten Schläfe zwei zehn, zwölf Zentimeter große SS-Siegrunen, das Kennzeichnen der SS-Terrortruppe. Und mit diesem zur Schau gestellten, verbotenen NS-Logo tummelt sich ein offensichtlicher Neonazi ungeniert in einem Familien- und Freizeitbad. Skandalös.

Empört wandte ich mich an die drei Schwimmmeister in der Aufsichtskabine. Das sei nicht ihr Ding, so die dreifach achselzuckende Antwort. Ich könne ja den Chef ansprechen.

Gesagt, getan, doch die identische Reaktion: Da könne er nichts tun. Meinen Einwand, doch könne er, er habe das Hausrecht und könne die Polizei rufen, wischte der Schwimmbad-Chef weg: Das werde er mit Sicherheit nicht tun, dann wisse der Tattoo-Mann ja, wo er arbeite. Meine Frage: „Na und?“ Seine Antwort: „Ich habe Angst, was dann passiert.“

Ist es wieder soweit? Können Nazis braune Propaganda zur Schau stellen und niemand stoppt sie? Ist es wirklich Angst, die da Zivilcourage tötet, oder die große Gleichgültigkeit à la „Was geht mich das an?“

„Rechtsextremisten werten Schweigen und Wegsehen als Zustimmung“

Das Bundesamt für Verfassungsschutz schreibt: „Viele Rechtsextremisten werten Schweigen und Wegsehen als Zustimmung und fühlen sich dadurch zu weiteren und häufig folgenschweren Angriffen auf Schwache und Minderheiten herausgefordert. Für eine wirkungsvolle Bekämpfung des Rechtsextremismus bedarf es daher der Aufmerksamkeit und des Engagements der Bevölkerung.“

Doch die Bevölkerung hat offenbar andere Prioritäten, als sich um Nazis und wuchernden Rechtsextremismus zu kümmern. Dabei schreien die aktuellen Daten geradezu nach Aufstand gegen Rechts.

Im Schwimmbad-Fall geht es etwa um die mit bis zu drei Jahren Gefängnis sanktionierte Straftat des Verwendens verfassungsfeindlicher Kennzeichen. Auf Anfrage teilte das Bundeskriminalamt mit, dass die Zahl dieser Delikte zwischen 2013 und 2022 von 13.046 auf 16.257 gestiegen ist.

Die Gesamtzahl politisch motivierter Straftaten ist geradezu explodiert: von 31.645 (2013) auf 58.916 (2022). Wenn das nicht Grund genug ist, aus der Lethargie zu erwachen, was dann?

Politische Wegbereitung für rechte Propaganda und rechte Straftaten

Und dann ist da die Frage vom Huhn und dem Ei. Was kam zuerst? Die politische Wegbereitung für rechte Propaganda oder die Zunahme rechter Straftaten?

Braunes Denken breitet sich aktuell in einem nicht mehr für möglich gehaltenen Ausmaß aus.

Der Verfassungsschutz stuft die AfD-Landesverbände Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt als „gesichert rechtsextremistisch“ ein. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen wird im Herbst gewählt. In allen drei Ländern liegt die AfD vorn. In Sachsen käme sie derzeit auf 37 Prozent. Die Ampel-Parteien kämen gerade noch auf (zusammen!) 11 Prozent, SPD und FDP wären raus. Bundesweit liegt die AfD aktuell als zweitstärkste Kraft bei 22 Prozent. Und wie reagieren die Menschen in Deutschland?

Die Antwort auf diese Frage, die eine Studie des Kölner Rheingold-Instituts vom Juli 2023 gibt, macht mir Angst. Als Reaktion auf die Krisen dieser Welt ziehen sich demnach die Menschen resigniert mehr und mehr ins Private zurück. Nur noch 39 Prozent informieren sich regelmäßig über das Weltgeschehen.

Von Politik und Gesellschaft erwarten laut Studie nur 23 Prozent etwas Gutes, im Privaten sind 73 Prozent optimistisch. Als ob es zwei Parallelwelten gäbe. Als ob die heimische Wohlfühl-Oase unangetastet bliebe, sollte eines Tages tatsächlich eine Partei wie die AfD regieren und unser freiheitliches Leben, unseren Zusammenhalt in Europa und unseren Wohlstand ins Wanken bringen. Ein ganzes Land gehe „vor der Wirklichkeit in Deckung“, heißt es in der Studie.

Die Deutsche Presseagentur fasste die Studie so zusammen: „Insgesamt führen die Krisenverdrängung und die Hinwendung zum Privaten dazu, dass eine Mehrheit eine passiv resignative Haltung entwickelt und für den übergreifenden Wandel überhaupt nicht mehr ansprechbar ist.“ Das achselzuckende Verhalten des Schwimmmeisters in Kreuzau ist ein Beispiel für diese „Mir-doch-egal-Haltung“.

Elie Wiesel und das Gegenteil von Glaube, Hoffnung und Liebe

Elie Wiesel (1928 bis 2016), der 1986 den Friedensnobelpreis erhielt, hat seinerzeit dafür Worte gefunden, die so klingen, als wären sie eigens für uns heute gesprochen worden: „Ich habe immer daran geglaubt, dass das Gegenteil von Liebe nicht Hass ist, sondern Gleichgültigkeit. Das Gegenteil von Glaube ist nicht Überheblichkeit, sondern Gleichgültigkeit. Das Gegenteil von Hoffnung ist nicht Verzweiflung, es ist Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit ist nicht der Anfang eines Prozesses, es ist das Ende eines Prozesses.“

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