Bürokratie, Intransparenz, falsche Themen Liebe Politiker, aus dieser Wahl müsst ihr lernen!

Zu viel Bürokratie und die falschen Themen: Liebe Politiker, aus diesem Wahlergebnis müsst ihr lernen!
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Der stellvertretende Chefredakteur des Hellweger-Anzeigers, Matthias Langrock

Von Europawahl-Ergebnissen in Österreich und Frankreich sind wir in Deutschland, sind wir im Kreis Unna weit entfernt. Rechnet man die Stimmen von CDU, SPD, Grünen und FDP zusammen, kommen wir auf eine Zweidrittelmehrheit. Und wenn wir noch eine weitere Beruhigungspille schlucken wollen, dann könnten wir sagen: Vor Wochen gab es noch Umfragen, die der AfD 20 Prozent vorausgesagt haben. Jetzt hat sie nur rund 15.

Doch wer sich zu sehr beruhigt, der ist schläfrig, zu träge, um etwas an den Verhältnissen zu ändern. Und schon deshalb sollten wir uns keine Pillen einwerfen, sondern handeln. Gefragt sind in erster Linie die Politikerinnen und Politiker, die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und ihre Spitzenleute in den Verwaltungen.

Liebe Politiker, machen Sie sich klar: Sie reden zu oft an den Problemen der Menschen vorbei, streiten über Themen, die für die Menschen nicht im Vordergrund stehen. Kürzlich ging es beispielsweise um ein Mietradsystem des Kreises – und die Frage, ob der Kreis 50 Räder weiterhin mit 51.000 Euro fördern soll. Da kritisierte die SPD per Pressemitteilung die CDU, die diese Förderung ablehnt, warf ihr vor, die „Mobilitätswende nicht verstanden“ zu haben. Aber kann das eine entscheidende Frage der Politik sein?

Bände spricht auch, wie der CDU-Kreisvorsitzende das Wahlergebnis analysiert. Das Wichtigste für ihn ist: Die CDU liegt in den allermeisten Städten vor der SPD. Aber den meisten Wählern ist das egal. Für sie ist kaum noch unterscheidbar, wofür die eine und wofür die andere Partei steht.

Interessanter finden Bürgerinnen und Bürger, wo beispielsweise Flüchtlinge untergebracht werden sollen. Das Thema stand kürzlich in einer Stadt des Kreises auf der Tagesordnung eines Ausschusses. Wo die Unterkunft hinsollte, teilte die Bürgermeisterin den Fraktionsvorsitzenden vorher mit. Den Medien und der weiteren Öffentlichkeit aber nicht. Als wir das kritisch beleuchteten, hieß es, man habe kein Wasser auf die Mühlen der Rechten gießen wollen.

Nach dieser Wahl sieht man den Irrsinn dieses Vorgehens: Die Mühlen der Rechten brauchen keine Transparenz der Politik. Sie funktionieren auch so ganz gut – besser jedenfalls als die Mühlen der Verwaltung, wenn jemand zum Beispiel eine Baugenehmigung von einer Stadtverwaltung bekommen möchte. Und warum? Weil alle Regelungen immer bürokratischer, immer komplizierter werden und weil Bürger, die immer mehr auf ihre Rechte pochen und nach Schlupflöchern suchen, so auf eine unterbesetzte und überforderte Verwaltung treffen.

Das Erschreckende an der Europawahl ist doch nicht nur das Ergebnis: Hier gewinnen Parteien 15 Prozent (AfD) oder 4 Prozent (BSW), die kaum Straßenwahlkampf machen, oft gar keine lokalen Vertreterinnen und Vertreter haben. Gegen AfD-Spitzenkandidaten wird sogar ermittelt. Aber den Menschen ist all das offenbar egal, genauso wie die Tatsache, dass die AfD ihnen selbst mit ihrer Politik oft schaden würde – so groß ist ihr Frust.

Bis zur Kommunal- und Bundestagswahl haben Parteien nun Zeit zu lernen, zu begreifen. Dass sie anders Politik machen müssen, die Entbürokratisierung ernst nehmen. Dass sie nicht für immer mehr Frust sorgen dürfen, wie zum Beispiel bei der Cannabis-Legalisierung. Da gibt man die Droge frei, schafft aber gleichzeitig so viele Sonderregeln, dass alle unzufrieden sind: Die einen, weil sie einen legalen Joint generell verteufeln; die anderen, weil es so viele Ausnahmen gibt, dass sie die neue Freiheit nicht nutzen können. Das ist Politik an den Menschen vorbei.

Allerdings sollten wir Medien mit den Fingern nicht nur auf andere zeigen. Zur Politikverdrossenheit tragen, so fürchte ich, auch wir unser Teil bei. Nicht, weil wir über heikle Themen nicht berichten würden, wie uns viele vorwerfen. Dieser Vorwurf hält einer sachlichen Überprüfung nicht stand. Aber wir müssen uns schon überlegen, ob wir nicht oft zu hart, zu besserwisserisch, mit zu harten Worten gegen die Politik angehen. Politiker machen vieles falsch, halten viele Versprechen nicht, Stadtverwaltungen reagieren oft zu langsam. Und wer, wenn nicht wir Medien, sollte den Finger in diese Wunde legen?

Aber nicht jede Entscheidung ist fatal, nicht jedes Gesetz eine Katastrophe – aber oft genug nehmen wir solche Begriffe in den Mund. Auch wir müssen dazulernen.