„Mein erster Gedanke war: Wahnsinn“ Klare Worte der Direktorin im Haus der Wannsee-Konferenz

„Mein erster Gedanke war: Wahnsinn“: Klare Worte der Direktorin im Haus der Wannsee-Konferenz
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Das Gästehaus im historischen Landhaus Adlon liegt am Lehnitzsee in Potsdam. Hier diskutierten AfD-Mitglieder und andere Rechtsextremisten über die Vertreibung von Millionen Menschen mit ausländischen Wurzeln, technokratisch als „Masterplan zur Remigration“ bezeichnet. Diese konspirative Konferenz hatte das Recherchenetzwerk „Correctiv“ aufgedeckt.

Nur wenige Kilometer vom Ort dieser Konferenz entfernt steht eine herrschaftliche Villa am Wannsee, die vom äußeren Erscheinungsbild an das Landhaus Adlon erinnert. Diese Villa war Schauplatz der Wannsee-Konferenz, bei der am 21. Januar 1942 als „Endlösung“ der bereits begonnene Holocaust an Juden organisiert wurde.

Alles nur Zufall? Ist es abwegig, dass einem Gedanken an die abgrundtief böse Wannsee-Konferenz durch den Kopf schießen, wenn man die Berichte über das jetzt bekannt gewordene Geheimtreffen hört und liest?

Wir haben diese Frage Deborah Hartmann (39) gestellt. Sie leitet seit 2020 die Gedenk- und Bildungsstätte im Haus der Wannsee-Konferenz. „Ich finde es überhaupt nicht abwegig. Mein erster Gedanke war auch: Wahnsinn“, sagt sie. „Dieser Plan zur sogenannten Remigration betrifft ja jetzt nicht nur Asylbewerbende oder Leute aus anderen Ländern, er betrifft ja auch Leute mit deutscher Staatsbürgerschaft.“

Der Plan, den Martin Sellner, Gallionsfigur der rechtsextremen Identitären Bewegung, vorgetragen habe, erinnere schon an die 1930er-Jahre, in denen Juden auch ihre Staatsbürgerschaft aberkannt worden sei. „Jetzt sollen Menschen, die man als nicht assimiliert genug interpretiert, zwangsausgewiesen werden“, sagt Deborah Hartmann. „Dass man da bestimmte Assoziationen hat, finde ich sehr nachvollziehbar.“

Im Internet kursiert die Frage: War das jetzt die Wannsee-Konferenz 2.0? Ja, das wisse sie, sagt Deborah Hartmann, aber: „Ich glaube, man muss trotzdem vorsichtig sein. Es ist wichtig, sich anzuschauen, woher kommt denn dieses Denken bei der AfD, bei den Identitären und bei allen anderen, die da anwesend gewesen sind? Was gibt es da auch für Kontinuitätslinien, die natürlich in die NS-Zeit zurückgehen?“

Dieses völkische Denken, da ist sich Deborah Hartmann sicher, sei „eine ganz klare Kontinuitätslinie“. „Dieses Denken gab es natürlich auch vor der NS-Zeit. Gleichzeitig sind wir jetzt natürlich nicht im Jahr 1935, also in einer Situation, dass solche Vorstellungen umgesetzt werden könnten.“

Allerdings sei es erschreckend, dass in Sachsen, Brandenburg oder Thüringen, wenn jetzt gewählt würde, die AfD die stärkste Partei wäre. „Ja, es besteht die Gefahr schleichender Umwandlungsprozesse einer Demokratie in eine autoritäre Staatsform, mit allen Konsequenzen. Natürlich muss uns das beunruhigen.“

Und was ist mit einem Verbot der AfD? „Ich persönlich würde sagen, ja, das wäre eine Option. Aber mir fehlt der juristische Hintergrund. Ich kann das so sagen, aber ich bin keine Juristin und entscheiden kann ich das auch nicht.“

Zudem müsse man bedenken: „Mit einem Verbot der AfD ist dieses Denken nicht weg. Wenn wir uns dieses Treffen anschauen, dann sind da ja Leute dabei gewesen, Unternehmer, Ärzte und was weiß ich, die vielleicht gar keine AfD-Mitglieder sind. Die würde man mit einem Verbot gar nicht treffen.“

„Natürlich wäre es auch mir am liebsten, wenn es diese Partei nicht gäbe, aber ich bin mir bewusst, dass es nach einem Verbot wieder eine neue Partei geben würde.“ Besonders beunruhigend finde sie das Konspirative, „das im Hintergrund agierende Geld-Sammeln, um vielleicht irgendwann doch mal putschen zu können. Es wäre nicht zum ersten Mal, dass das passiert“, sagt Deborah Hartmann.

Man sei an einem Punkt, an dem der Rechtsstaat überlegen müsse, wie er so etwas unterbinden könne, denn: Sie beobachte, dass der gesellschaftliche Rückhalt für rechte Positionen zunehme. „Die Neue Rechte erstarkt ja in Europa insgesamt, nicht nur in Deutschland: Die FPÖ in Österreich oder Wilders in den Niederlanden als Beispiele.“ Der gesellschaftliche Rückhalt und die Akzeptanz für rechte Positionen wachse.

Allerdings müsse man sich auch über eines im Klaren sein: „Nach 1945 war rassistisches oder antisemitisches Denken bei uns vielleicht ein Tabuthema, aber es war ja trotzdem immer da.“ Möglicherweise habe man gesellschaftlich zu spät Initiativen in Gang gesetzt, um sich dem anzunehmen.

Im Übrigen zweifle sie, dass es eine Zeit gegeben habe, in der alle Menschen wirklich gut über das Bescheid wussten, was in der NS-Zeit geschehen ist, und dass dieses Wissen jetzt nur einfach verloren gegangen sei. „Ich bin daher davon überzeugt, dass wir nicht genug in die Frage von Vermittlung investieren können, ob das in der Schule ist oder im außerschulischen Bereich.“

Das „hohe Level an Desinformation“ nicht zuletzt in den Sozialen Medien, beunruhige sie sehr. „Dem kann man leider nur etwas entgegenstellen über Bildung und die Vermittlung von Wissen. Das ist eine große gesellschaftliche Aufgabe. Man darf es nicht nur bei einem neuen Spiegelstrich in einem Schul-Curriculum belassen“, sagt die Leiterin der Gedenk- und Bildungsstätte im Haus der Wannsee-Konferenz.

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