In Nordrhein-Westfalen gelten nach einer neuen Berechnung des sogenannten schulscharfen Sozialindexes deutlich mehr Schulen als sozial besonders belastet als bisher angegeben. Durch den aktualisierten Index würden ab dem Schuljahr 2024/25 nun 948 Schulen in die höchsten Stufen 6 bis 9 eingeordnet, teilte das Schulministerium am Mittwoch im Schulausschuss des Landtags mit. Das seien fast dreimal so viel wie bisher. Derzeit werden 338 Schulen in die höchsten Stufen eingruppiert.
In NRW gibt es insgesamt rund 5400 Schulen, davon sind mehr als 90 Prozent allgemeinbildende Schulen. Berufsschulen und Förderschulen werden nicht im Schulsozialindex erfasst.
Für die Schulen ist eine höhere Eingruppierung sogar eine gute Nachricht: Denn mit dem Schulsozialindex wird die Zuweisung von zusätzlichen Lehrerstellen an besonders belastete Schulen gesteuert. Schulen mit einem hohem Wert können mit mehr zusätzlichen Stellen rechnen.
Schulsozialindex seit 2021
Die gestiegene Zahl der Schulen in den höheren Indexstufen bedeute aber nicht, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse an den Schulen verschlechtert hätten, sagte Schulministerin Dorothee Feller (CDU) im Ausschuss. Der aktualisierte und neu berechnete Sozialindex bilde lediglich die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft im Schulvergleich besser ab.
Eingeführt worden war der Schulsozialindex 2021 noch unter der damaligen FDP-Schulministerin Yvonne Gebauer. Die Zuordnung jeder Schule erfolgt nach vier Indikatoren: Kinder- und Jugendarmut im Einzugsgebiet der Schule, Anteil der Schüler mit nichtdeutscher Familiensprache, Anteil der Schüler mit Zuzug aus dem Ausland sowie Anteil der Schüler mit Lernentwicklungsstörungen.
CDU und Grüne hatten in ihrem Koalitionsvertrag eine Evaluation und Weiterentwicklung des Konzepts angekündigt. Nun wurde der Index mit neuesten Schuldaten aktualisiert und die statistische Berechnung geändert. So sind die Indexstufen nicht mehr gleich groß, sondern künftig werden fünf Prozent der Schulen vorab in die höchste Stufe 9 eingruppiert.
Zusammensetzung der Sekundarstufe I und II
Außerdem wird bei weiterführenden Schulen künftig nur noch die Sekundarstufe I für die Berechnung herangezogen. Grund ist, dass die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft in der Sekundarstufe I und II sich sehr unterscheidet. In der Oberstufe an Gymnasien und Gesamtschulen gelten die Schülerschaften zumeist als homogener. Dies hatte zu Verzerrungen der Statistik geführt.
Mit der neuen Berechnung soll der allgemeinen Wahrnehmung Rechnung getragen werden, wonach eigentlich mehr Schulen sozial belastet sind als durch die bisherige Skalierung erkennbar war. Für die nun höher eingestuften Schulen bedeutet das nicht nur, dass sie mit zusätzlichen Lehrkräften rechnen können. Auch könnten sie zum Beispiel künftig an Programmen der Landesregierung wie dem kostenlosen Frühstück an Grundschulen („Brotzeit“) teilnehmen.
Zusätzliche Stellen schrittweise
Die Zuteilung zusätzlicher Stellen nach dem neuen Sozialindex soll nach Angaben des Schulministeriums schrittweise und behutsam erfolgen. Das könnte auch eine Umverteilung von Stellen bedeuten. Der Grundbedarf an Lehrerstellen jeder Schule ist davon aber nicht betroffen, sondern wird gesichert. Ein Problem stellt der Lehrkräftemangel dar. Rund 6700 Stellen an den Schulen in NRW sind aktuell nicht besetzt.
Die neuen Sozialindex-Werte für die Schulen in NRW sollen im Internet veröffentlicht werden. Zunächst werden die Bezirksregierungen und kommunalen Spitzenverbände informiert. Der schulscharfe Sozialindex soll auch Kriterium dafür sein, welche Schule in NRW künftig vom Startchancen-Programm profitiert, das die Bundesregierung plant. Bundesweit sollen damit 4000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler speziell gefördert werden.
Die SPD-Opposition bezeichnete den Schulsozialindex als „Papiertiger“. Die schulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Dilek Engin, sagte: „Er beschreibt nur die Probleme, löst sie aber nicht.“ Eine tatsächliche Verteilung der Mittel nach Bedarf finde noch nicht richtig statt. Immerhin habe die Ministerin jetzt erkannt, dass weitaus mehr Schulen in herausfordernden Lagen seien, als sie bisher habe wahrhaben wollen.
dpa
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