Deutschland hat zu wenig Lehrer, da sind sich Gewerkschaften, Lehrerverbände und Bildungspolitiker einig. Wie alle Branchen trifft auch das Bildungssystem die Pensionierungswelle der Babyboomer. Hinzu kommt, dass immer weniger Menschen Lehrer werden wollen: Es fangen weniger junge Menschen ein Lehramtsstudium an, noch weniger bringen es auch zu Ende. Um dem Mangel beizukommen, gehen einige Bundesländer ungewöhnliche Wege.
Doch wie viele Lehrer fehlen der Bundesrepublik genau? Auf Nachfrage des Redaktionsnetzwerk Deutschlands (RND) meldeten die 16 deutschen Kultusministerien insgesamt 12.341 unbesetzte Lehrerstellen. Während das Saarland, Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Bayern laut der Umfrage keinen Mangel haben und Hessen sogar von einem Überangebot spricht, fehlen in NRW mehr als 8000, in Sachsen-Anhalt und Berlin mehr als 800, in Sachsen, Baden-Württemberg und Niedersachsen mehr als 400 und in Schleswig-Holstein knapp 200 Lehrkräfte.
Lehrerpräsident: Bundesländer schönen die Statistik
Wie kann die Lage in den Bundesländern so unterschiedlich sein? Der Präsident des Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, hat eine einfache Antwort: Die Zahlen stimmten nicht. In vielen Bundesländern würden die Stunden am Anfang des Schuljahres je nach Lehrermangel gestrichen, sodass der Bedarf nur auf dem Papier gedeckt sei. In manchen Bundesländern würden auch Eltern oder andere Nichtpädagogen als sogenannte Schulhelfer eingesetzt und in der Statistik als Lehrkräfte verrechnet. „Das ist eine Milchmädchenrechnung. Da wird enorm geschönt und getrickst“, befindet Meidinger. Laut Lehrerverband liegt die wirkliche Zahl der unbesetzten Lehrerstellen in Deutschland irgendwo zwischen 32.000 und 40.000.
Diese Not macht offenbar erfinderisch. Die Länder versuchen mit verschiedensten Maßnahmen, dem Lehrermangel entgegenzuwirken. In Sachsen-Anhalt wurde kurzerhand eine Headhunting-Agentur beauftragt, die nicht nur in Deutschland, sondern auch im EU-Ausland nach passenden Anwärtern fahndet. Tatsächlich heißt es aus dem Ministerium, auf diese Weise seien bereits 90 Personen unter Vertrag genommen worden – von 800 potenziellen Kandidaten. Daher wolle das Ministerium das Projekt weiterführen und künftig sogar weltweit suchen.
In Baden-Württemberg will man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und mithilfe eines Freiwilligen Pädagogischen Jahrs Schulen entlasten und künftige Lehrkräfte gewinnen. Und Bayern kündigte erst kürzlich eine neue Kampagne an, um Lehrerinnen und Lehrer aus anderen Ländern abzuwerben, und erntete dafür einige Kritik aus mehreren Ländern.
Ruheständler, Quereinsteiger, Gymnasiallehrer an Grundschulen
Zahlreiche Bundesländer – darunter Baden-Württemberg, Sachsen, NRW, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Berlin – sind dazu übergegangen, pensionierte Lehrerinnen und Lehrer auf freiwilliger Basis wieder an die Schulen zu holen – oder sie zahlen Prämien, wenn Lehrkräfte bleiben, statt in Rente zu gehen. Andernorts – in Baden-Württemberg, Reinland-Pfalz, NRW, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein – sollen Gymnasiallehrer künftig unkomplizierter an Grundschulen eingesetzt werden.
In zwölf von 16 Bundesländern sollen außerdem Quer- und Seiteneinsteiger einfacher in den Beruf finden. Anforderungen werden herabgesetzt, bürokratische Verfahren verkürzt. In Bremen können Interessierte sich mithilfe eines zweiwöchigen Kompaktkurses für eine Tätigkeit als Lehrer qualifizieren, an den sich eine anderthalbjährige berufsbegleitende Qualifizierung anschließt. Brandenburg verspricht Quereinsteigern auch dann die Verbeamtung, wenn sie lediglich einen Bachelor vorweisen können. Lehrerpräsident Meidinger sieht diese Maßnahmen kritisch: „An einer vermehrten Anwerbung von Quereinsteigern führt kein Weg vorbei. Aber man muss sie ordentlich nachqualifizieren und nicht direkt in die Klasse werfen. Ohne drei bis sechs Monate Vorphase geht gar nichts.“
Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Berlin wollen zusätzliches Personal einstellen, um die Lehrkräfte zu entlasten – also etwa IT- und Verwaltungskräfte oder sogenannte Alltagshelfer. Diese Maßnahme ist auch Teil eines 15-Punkte-Plans, den die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aufgestellt hat. Darin fordert sie unter anderem bessere Arbeits- und Studienbedingungen.
RND
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