Anschlag auf Konzerthalle mit 139 Toten Moskau beharrt auf ukrainischer Verwicklung

Tote und Verletzte bei Schießerei in Moskau: Videos zeigen Brand in Konzerthalle
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Update 29.3., 20.30 Uhr: Trotz mehrerer Bekenntnisse der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu dem Anschlag auf eine Konzerthalle bei Moskau vor einer Woche beharren russische Behörden weiter auf einer angeblichen Verwicklung der Ukraine.

Die Tatverdächtigen hätten ausgesagt, dass sie per Sprachnachrichten auf Telegram Anweisungen von einem Unbekannten erhalten hätten, teilte das russische Ermittlungskomitee mit. Dieser „Koordinator“ habe die Terroristen nach dem Anschlag in Richtung der ukrainischen Grenze gelenkt und ihnen eine Belohnung in Aussicht gestellt, die sie demnach in der ukrainischen Hauptstadt Kiew erhalten sollten, hieß es weiter.

Unabhängige russische Medien wiesen darauf hin, dass die festgenommenen Männer vor einigen Tagen teils schwer verletzt im Gerichtssaal auftauchten und höchstwahrscheinlich von russischen Sicherheitskräften gefoltert worden waren. Auch russische Menschenrechtler haben sich entsetzt gezeigt und darauf hingewiesen, dass unter Folter erzwungene Geständnisse kaum einen Wert hätten.

Die Ukraine weist eine Verwicklung in den Anschlag zurück. Am Donnerstag hatte das zentrale russische Ermittlungskomitee mitgeteilt, dass bei den Verdächtigen angeblich Gerätschaften sichergestellt worden seien, die eine Verbindung zu ukrainischen Nationalisten belegen sollen. Demnach soll gesicherter Datenverkehr zeigen, dass Geld geflossen sei an die Männer.

Festnahmen in Tadschikistan

Update 29.3., 13.55 Uhr: Eine Woche nach dem Terroranschlag auf das Veranstaltungszentrum Crocus City Hall im Nordwesten von Moskau hat es laut russischen Staatsmedien auch in der zentralasiatischen Republik Tadschikistan Festnahmen gegeben. In einem Vorort der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe seien neun Männer festgenommen worden, die Verbindungen zu den in Moskau inhaftierten Terroristen gehabt hätten, meldete die Staatsagentur Ria Nowosti. An der Festnahme waren demnach auch russische Einsatzkräfte beteiligt. Die Agentur berief sich auf eigene Kontakte zu Sicherheitskreisen. Indes erhöhte sich die Zahl der Toten auf 144, die der Verletzten auf 382, wie russische Behörden mitteilten.

Nach dem Anschlag vom Freitag voriger Woche hatten der russische Präsident Wladimir Putin und sein tadschikischer Kollege Emomali Rachmon bei einem Telefonat laut Kreml eine engere Zusammenarbeit im Anti-Terror-Kampf vereinbart. Rachmon verurteilte den Anschlag und sagte, dass Terror keine Nationalität und keine Religion habe. Tadschikistan, das an Afghanistan grenzt, gilt als Rückzugsort für islamistische Terroristen. Bekannt hatte sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu dem Anschlag. Laut russischen Staatsmedien hatten die mutmaßlichen Todesschützen tadschikische Pässe bei sich.

Vier Männer, die in der Crocus City Hall geschossen und Brände gelegt haben sollen, sind nach Angaben russischer Ermittler in Untersuchungshaft. Daneben gab es weitere Festnahmen und Haftbefehle, deren Gesamtzahl bei inzwischen rund 20 liegen dürfte. Putin hatte zwar bestätigt, dass Islamisten den Terroranschlag ausgeführt haben sollen. Er sieht aber eine ukrainische Spur. In der Ukraine seien die Männer nach der Tat erwartet worden, sagte er ohne Vorlegen von Beweisen.

Die Ukraine weist eine Verwicklung in den Anschlag zurück. Am Donnerstag hatte das zentrale russische Ermittlungskomitee mitgeteilt, dass bei den Verdächtigen angeblich Gerätschaften sichergestellt worden seien, die eine Verbindung zu ukrainischen Nationalisten belegen sollen. Demnach soll gesicherter Datenverkehr zeigen, dass Geld geflossen sei an die Männer.

In einem von russischen Staatsmedien gezeigten Videoclip sagte einer der mutmaßlichen Täter, er habe umgerechnet 5000 Euro versprochen bekommen für die Tat. Die Hälfte habe er vorab auf seine Geldkarte überwiesen bekommen, er wisse aber nicht von wem. Die Echtheit des Videos konnte nicht überprüft werden.

Suche nach Vermissten eingestellt

Update 26.3., 21.50 Uhr: Die Suche nach Vermissten in der ausgebrannten und teilweise eingestürzten Konzerthalle ist unterdessen eingestellt worden. „Ich kann mitteilen, dass es unter den Trümmern keine Opfer mehr gibt“, meldete der Chef des Katastrophenschutzes im Gebiet Moskau, Sergej Poletykin. „Die Suchhundeführer haben ihre Arbeit beendet, die Retter haben ihre Arbeit beendet.“ 8000 Quadratmeter Fläche seien abgesucht worden, teilte der Gouverneur des Moskauer Umlands, Andrej Worobjow, mit. Etwa 1000 Kräfte des Zivilschutzes seien im Einsatz gewesen, schrieb er auf seinem Telegramkanal.

Update 26.3., 18.30 Uhr: Wenige Tage nach dem Terroranschlag bei Moskau ist ein achter Tatverdächtiger in Untersuchungshaft gekommen. Es handele sich um einen 31 Jahre alten russischen Staatsbürger, der in der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik Kirgistan geboren sei. Das meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf das Moskauer Basmanny-Gericht. Dem Mann werde vorgeworfen, den Terroristen vor der Tat eine Wohnung vermietet zu haben. Vor Gericht soll der Mann allerdings abgestritten haben, dass er von den Anschlagsplänen wusste. Stattdessen habe er sie für normale Mieter gehalten.

Am vergangenen Freitag hatten Terroristen die Konzerthalle Crocus City Hall in der Stadt Krasnogorsk bei Moskau gestürmt und mindestens 139 Menschen getötet. Rund 200 weitere wurden verletzt. Später bekannte sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu dem Anschlag. Westliche Sicherheitsbehörden und Experten vermuten den IS-Ableger Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) dahinter.

Russische Politiker und Propagandisten taten indes die IS-Bekennerschreiben weiterhin ab und behaupteten, die Ukraine stehe hinter dem Anschlag. So sagte der Sekretär von Russlands nationalem Sicherheitsrat, Nikolai Patruschew, für ihn sei „natürlich die Ukraine“ verantwortlich. Wenig später ruderte er zurück und sagte einem russischen Fernsehreporter mit Blick auf eine ukrainische Beteiligung: „Es deutet viel darauf hin.“ Er räumte auch ein, dass die Ermittlungen noch im Gange seien, das Ergebnis bleibe abzuwarten.

Terroranschlag in Moskau: Rückkehr der Todesstrafe?

Zwei der mutmaßlichen Attentäter sind nach Angaben aus türkischen Sicherheitskreisen vor dem Anschlag in der Türkei gewesen. Sie seien zu unterschiedlichen Zeiten eingereist und hätten in Hotels in Istanbul gewohnt, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur. Am 2. März seien sie mit demselben Flug von Istanbul nach Moskau gereist. In der Türkei hätten sie sich frei bewegen können, weil kein Haftbefehl vorgelegen habe. Die beiden hätten sich nur kurz im Land aufgehalten. Man gehe daher nicht davon aus, dass sie sich in der Türkei radikalisiert haben.

Wegen des Terroranschlags ist in Russland die Diskussion über eine Wiederanwendung der Todesstrafe aufgeflammt. Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin hält dies für schnell machbar. „In unserer Verfassung und im Strafrecht hat niemand die Todesstrafe abgeschafft“, sagte er in der Staatsduma. Das Verfassungsgericht könne die Anwendung beschließen. Es seien keine Referenden oder anderen Entscheidungen nötig. Bisher gilt ein Moratorium auf die Anwendung der Todesstrafe in Russland. Das letzte Todesurteil durch Erschießen wurde in Russland 1996 unter Präsidenten Boris Jelzin vollstreckt.

Update 25.3., 19.45 Uhr: Der Terroranschlag bei Moskau ist nach den Worten von Kremlchef Wladimir Putin von Islamisten begangen worden. „Wir wissen, dass das Verbrechen von radikalen Islamisten begangen wurde, deren Ideologie die islamische Welt selbst seit Jahrhunderten bekämpft“, sagte Putin bei der Aufarbeitung des Anschlags vom Freitag, bei dem nach neusten Angaben 139 Menschen ums Leben kamen. Wir wissen nun, wessen Hände dieses Verbrechen gegen Russland und sein Volk verübten, jetzt wollen wir wissen, wer der Auftraggeber ist.

Damit wich Putin von seiner ursprünglichen Linie ab, in der er eine „ukrainische Spur“ hinter der Bluttat vermutet hatte. Dennoch sollte geklärt werden, warum die Terroristen nach der Bluttat in die Ukraine entkommen wollten. „Und wer sie dort erwartet hatte“, fügte er hinzu.

Jetzt müssten mehrere Fragen geklärt werden. „Wie kommen radikale Islamisten, die sich als gläubige Muslime ausgeben und sich zum sogenannten reinen Islam bekennen, dazu, während des heiligen Monats Ramadan, der allen Muslimen heilig ist, schwere Gräueltaten und Verbrechen zu begehen?“, wurde Putin bei dem Treffen mit Vertretern verschiedener Behörden zitiert. Es bleibe auch abzuwarten, „ob radikale und terroristische islamische Organisationen wirklich daran interessiert sind, Russland anzugreifen, das heute für eine gerechte Lösung des eskalierenden Nahostkonflikts steht“.

Unterdessen stieg die Zahl der Toten des Anschlags auf 139. Von den über 180 Verletzten seien mehr als 50 bereits in häusliche Pflege entlassen worden, teilte Vize-Regierungschefin Tatjana Golikowa mit. 93 Menschen, unter ihnen fünf Kinder, würden noch stationär behandelt. Mittlerweile seien 75 Tote identifiziert worden.

Update 25.3., 17.36 Uhr: Mehrere Tage nach dem Terroranschlag bei Moskau mit mehr als 130 Toten richtet sich der Blick in Russland vor allem auf vier mittlerweile inhaftierte Tatverdächtige. Kremlsprecher Dmitri Peskow wollte sich zunächst nicht zu den schweren Verletzungen der Männer äußern, die auf Folter durch russische Sicherheitskräfte hindeuten. Stattdessen kündigte er für den Abend ein Treffen von Präsident Wladimir Putin mit Vertretern verschiedener staatlicher Strukturen an, bei dem weitere Maßnahmen als Reaktion auf den Anschlag diskutiert werden sollen.

Als die mutmaßlichen Täter von Polizisten und Geheimdienstlern ins Moskauer Basmanny-Gericht gebracht wurden, fielen sofort ihre schweren Verletzungen auf. Mehrere der Männer, die am vergangenen Freitag in der Konzerthalle Crocus City Hall um sich geschossen haben sollen, wiesen stark geschwollene Gesichter, Platzwunden und Blutergüsse auf. Einer hatte einen großen Verband am Ohr.

Ein Tatverdächtiger des Terroranschlags auf die Konzerthalle Crocus City Hall sitzt in einem Glaskäfig im Bezirksgericht Basmanny. Er hat deutliche Verletzungsspuren.
Ein Tatverdächtiger des Terroranschlags auf die Konzerthalle Crocus City Hall sitzt in einem Glaskäfig im Bezirksgericht Basmanny. Er hat deutliche Verletzungsspuren. © picture alliance/dpa/AP

Ein anderer konnte nicht mehr selbst laufen und verlor Berichten zufolge zwischenzeitlich das Bewusstsein. Er wurde auf einer Krankenliege in den Gerichtssaal gefahren, wo die Haftbefehle erlassen wurden. Zuvor waren in sozialen Netzwerken Videos aufgetaucht, die zeigen sollen, dass die mutmaßlichen Attentäter gefoltert wurden und einem von ihnen gar ein Ohr abgeschnitten wurde.

Ein Tatverdächtiger ist an einen Stuhl geschnallt.
Ein Tatverdächtiger ist an einen Stuhl geschnallt. © picture alliance/dpa/AP

Folter der Moskau-Attentäter?

Zu einem Journalisten, der auf die im Gerichtssaal sichtbaren Verletzungen und auf die Foltervideos hinwies, sagte Kremlsprecher Peskow lediglich: „Ich lasse diese Frage unbeantwortet.“

Leonid Wolkow, ein Vertrauter des kürzlich im Straflager gestorbenen Kremlgegners Alexej Nawalny, zeigte sich hingegen überzeugt davon, dass die Aufnahmen die Öffentlichkeit auf Anweisung von ganz oben erreicht hätten. Dass der Machtapparat seine eigene Grausamkeit so demonstrativ zur Schau stelle, sei neu, schrieb Wolkow im Nachrichtendienst Telegram. So solle wohl abgelenkt werden vom „Versagen der russischen Geheimdienste“ vor dem Anschlag, zeigte er sich überzeugt.

Vor Ort hielten in der zerstörten Crocus City Hall die Aufräumarbeiten an; es ist nicht ausgeschlossen, dass in den Trümmern der ausgebrannten Konzerthalle noch weitere Leichen gefunden werden.

Auf diesem, von einem russischen Untersuchungsausschuss herausgegebenen Foto, arbeiten Rettungskräfte des russischen Katastrophenschutzministeriums nach dem Anschlag im Inneren der Veranstaltungshalle Crocus City Hall.
Auf diesem, von einem russischen Untersuchungsausschuss herausgegebenen Foto, arbeiten Rettungskräfte des russischen Katastrophenschutzministeriums nach dem Anschlag im Inneren der Veranstaltungshalle Crocus City Hall. © picture alliance/dpa/Investigative Committee of Russia/AP

Update 25.3., 6.20 Uhr: Gezeichnet von üblen Gesichtsverletzungen sind die vier mutmaßlichen Attentäter des jüngsten Terroranschlags nahe Moskau dem Haftrichter vorgeführt worden. Die Angeklagten wurden am Sonntag von vermummten Sicherheitskräften ins Basmanny-Gericht in der russischen Hauptstadt gebracht und mit deutlich sichtbaren Blutergüssen, Schwellungen, Schürf- und Platzwunden in Glaskäfigen platziert. Einer von ihnen war offensichtlich nicht mehr in der Lage zu laufen und lag mit geschlossenen Augen festgeschnallt in einem Krankenstuhl. Ein anderer hatte einen wenig fachmännisch wirkenden Verband am rechten Ohr.

Vor dem Gerichtstermin waren Videoaufnahmen im Netz verbreitet worden, die zeigen sollen, dass die festgenommenen Männer gefoltert wurden und einem von ihnen gar ein Ohr abgeschnitten wurde. Ob die Aufnahmen authentisch sind, ließ sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Die eigentliche Anhörung fand hinter geschlossenen Türen statt, wie die russische Staatsagentur Tass berichtete. Der Terrorverdächtige auf dem Krankenstuhl, der den Anschlag gefilmt haben soll, hatte demnach „Schwierigkeiten zu sprechen“. Das Ermittlungskomitee wirft ihm und seinen drei mutmaßlichen Komplizen einen gemeinschaftlich verübten tödlichen Terroranschlag vor.

Haftbefehle gegen mutmaßliche Terroristen erlassen

Nach der Tat in einem Veranstaltungszentrum nahe Moskau, bei der am Freitag 137 Menschen getötet und nach neuen Angaben der Gesundheitsbehörden 182 weitere verletzt wurden, gab es insgesamt elf Festnahmen. Vier der Verdächtigen gelten als die eigentlichen Todesschützen - sie sind diejenigen, die nun dem Haftrichter vorgeführt wurden. Die Haftbefehle wurden laut Tass am Sonntagabend erlassen. Die vier Männer waren am Wochenende im russischen Grenzgebiet Brjansk festgenommen und nach Moskau gebracht worden.

Menschenrechtler berichten immer wieder von Demütigungen, Misshandlungen und brutalen Foltermethoden im russischen Strafvollzug. Öffentlich inszenierte Schauprozesse dienen demnach der staatlichen Machtdemonstration und Abschreckung.

Zu dem Anschlag hat sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) öffentlich bekannt. Dennoch will Russlands Staatsführung eine Verwicklung der Ukraine sehen, gegen die Russland seit mehr als zwei Jahren einen Angriffskrieg führt. Nach Angaben des russischen Präsidenten Wladimir Putin wollten die Täter in die Ukraine flüchten, Beweise dafür legte er aber nicht vor. Kiew weist jede Beteiligung an der Tat zurück.

Update 24.3., 15.53 Uhr: Die Terrormiliz Islamischer Staat hat ein Video der Bluttat veröffentlicht. Der Propagandakanal Amak publizierte ein fast 90 Sekunden langes Video, das die Attentäter am Anschlagsort zeigen soll. In arabischen Untertiteln heißt es, Amak zeige „exklusive Szenen“ der „blutigen Angriffe auf Christen“.

Zu Beginn ist zu sehen, wie ein schwer bewaffneter Mann mit einem Sturmgewehr in einen Gang feuert, wo bereits viele leblose Körper auf dem Boden liegen. Die Kamera schwenkt daraufhin zu einem der mutmaßlichen Terroristen, der mit einem Messer auf eine Person am Boden einsticht. Daraufhin durchqueren vier Männer einen verlassenen Bereich der Crocus City Hall. Die Stimmen der mutmaßlichen Täter sind verzerrt. Laut arabischen Untertiteln sagt eine Person: „Töte sie ohne Gnade“ und „Wir sind angetreten für die Sache Gottes“.

Die Zahl der Toten ist mittlerweile auf 137 gestiegen.

IS-Terrorismus in Moskau

Update 24.3., 12.50 Uhr: Nach einem der schwersten Terroranschläge in der russischen Geschichte dauerten Spekulationen über die Hintergründe der Tat weiter an. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hatte den Anschlag bereits in der Nacht zu Samstag für sich reklamiert, doch der russische Präsident Wladimir Putin deutete eine ukrainische Spur hinter dem Angriff an - ohne jedoch Beweise dafür anzuführen. Demnach sollen die Täter in Richtung Ukraine geflüchtet sein.

Kiew wies jede Beteiligung an der Tat mit 133 Toten vom Freitagabend zurück. Die Geheimdienste der USA und anderer westlicher Länder hatten bereits Anfang März vor einem drohenden Anschlag gewarnt. Putin tat die Warnungen jedoch als westliche Provokation ab.

Nationaler Trauertag

Unterdessen beging Russland am Sonntag einen nationalen Trauertag. Im Ausland schlossen sich Serbien und Nicaragua mit eigenen Trauertagen dem Gedenken an. Viele der bei dem Anschlag 152 Verletzten seien weiter in kritischer Verfassung, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Tass am Sonntagmorgen unter Berufung auf das Katastrophenschutzministerium für die Region Moskau. Unter den Verletzten sind demnach auch fünf Kinder.

In dem Veranstaltungszentrum Crocus City Hall bei Moskau mit Tausenden Plätzen hatten am Freitag Täter wahllos auf Besucher geschossen. Zudem gab es Explosionen in dem Gebäude und einen Großbrand.

Forensiker setzten unterdessen die Identifizierung der Opfer fort. Bis Samstagabend seien bereits 50 Opfer identifiziert worden, teilte Gouverneur Andrej Worobjow mit. Viele Menschen in der Konzerthalle seien bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, hieß es. Knapp 4000 Menschen spendeten bis zum Abend Blut, um die ärztliche Behandlung der Verletzten zu erleichtern.

In der Nacht räumten schwere Maschinen Schutt von dem Gelände der Crocus City Hall. Es war befürchtet worden, dass weitere Opfer noch unter den Trümmern der schwer beschädigten Konzerthalle in Krasnogorsk nordwestlich von Moskau gefunden werden könnten. Dies war jedoch zunächst nicht der Fall. Die Aufräum- und Bergungsarbeiten sollten nach Behördenangaben mindestens bis Sonntagabend andauern.

Selenskyj: Immer schiebt Moskau Schuld auf andere

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wies unterdessen die Versuche Putins, mit unbelegten Schuldzuweisungen der Ukraine eine Mitverantwortung für den Anschlag zuzuschieben, in der Nacht kategorisch zurück. „Nach dem, was gestern in Moskau passiert ist, versuchen Putin und die anderen Bastarde natürlich nur, jemand anderem die Schuld in die Schuhe zu schieben“, sagte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache. Nach den Ereignissen in der Konzerthalle habe „dieser absolute Niemand Putin“ einen Tag lang geschwiegen, anstatt sich um seine russischen Bürger zu kümmern. Vielmehr habe Putin darüber nachgedacht, „wie er das in die Ukraine bringen kann“.

Putin hatte in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede am Samstagnachmittag von einer angeblichen Verwicklung der Ukraine in den Terroranschlag gesprochen. Mit Blick auf die festgenommenen Männer sagte er: „Sie haben versucht, sich zu verstecken und haben sich in Richtung Ukraine bewegt, wo für sie ein Fenster für einen Grenzübertritt vorbereitet worden war.“ Der ukrainische Militärgeheimdienst konterte Putin und wies darauf hin, dass die Grenze seit Langem vermint sei.

Faeser: Terror-Ableger des IS wohl verantwortlich

Bundesinnenminister Nancy Faeser (SPD) hält nach derzeitigem Stand Islamisten für den schweren Anschlag verantwortlich. „Nach allem, was bisher bekannt ist, ist davon auszugehen, dass die Terrorgruppe „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISPK) den mörderischen Terroranschlag in der Nähe von Moskau zu verantworten hat“, sagte sie der „Süddeutschen Zeitung“. Von dieser Gruppe gehe derzeit auch in Deutschland die größte islamistische Bedrohung aus, sagte Faeser. „Die Gefahr durch islamistischen Terrorismus bleibt akut.“ Khorasan steht für eine historische Region in Zentralasien, die Teile von Afghanistan, Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan und vom Iran umfasste. Die ISPK-Terrorgruppe hatte ihren Ursprung in Afghanistan.

Der IS-Propagandakanal Amak veröffentlichte am Samstag ein Bild mit vier Personen, deren Gesichter unkenntlich gemacht worden waren. Die Kämpfer hätten bewaffnet mit Sturmgewehren, Pistolen und Bomben Russland einen „schweren Schlag“ versetzt, hieß es in der Mitteilung. Der Angriff habe „Tausenden Christen in einer Musikhalle“ gegolten. Der IS bekämpft Anhänger des Christentums und betrachtet sie als Ungläubige.

Ursprungsmeldung: Nach einem der schwersten Terroranschläge der russischen Geschichte mit mehr als 130 Toten sind weiter viele Fragen nach Tätern, Hintermännern und Motiven offen. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) veröffentlichte verpixelte Fotos der angeblichen Attentäter, nachdem sie bereits am Freitagabend den Angriff auf die Konzerthalle Crocus City Hall für sich reklamiert hatte.

Kremlchef Wladimir Putin hingegen behauptete nach der Festnahme mehrerer Männer, es gebe eine Spur, die in die Ukraine führe. Auch russische Propagandisten sparten nicht mit unbelegten Schuldzuweisungen in Richtung Ukraine, gegen die Russland seit mehr als zwei Jahren einen brutalen Angriffskrieg führt. Kiew wiederum hat eine Beteiligung klar zurückgewiesen.

Die vier Hauptverdächtigen sind am Abend zum Verhör in die russische Hauptstadt gebracht worden. Wie die Staatsagentur Tass weiter berichtete, waren die vier Männer in einer streng abgesicherten Wagenkolonne aus der Region Brjansk im Süden des Landes, wo sie festgenommen worden waren, zum sogenannten Ermittlungsausschuss gefahren worden. In den kommenden Tagen solle vor Gericht ein Antrag auf Haftbefehl gestellt werden. Ihnen allen drohe eine lebenslange Haftstrafe, hieß es bei Tass weiter.

Die Zahl der Toten bei dem Anschlag stieg unterdessen auf über 130, darunter sind mindestens 3 Kinder. Beim Wegräumen der Trümmer in der Konzerthalle des Zentrums hätten Einsatzkräfte weitere Leichen gefunden, teilte das Moskauer Ermittlungskomitee bei Telegram mit. Außerdem gingen die Behörden von mehr als 100 Verletzten aus. Nach Angaben des russischen Gesundheitsministeriums sind darunter 44 Schwerverletzte. Weltweit reagierten Politikerinnen und Politiker schockiert auf den Angriff.

IS veröffentlicht Fotos angeblicher Moskau-Attentäter

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat nach dem Anschlag verpixelte Fotos der angeblichen Attentäter veröffentlicht. Der IS-Propagandakanal Amak veröffentlichte dazu ein Bild mit vier Personen, deren Gesichter unkenntlich gemacht worden waren.

Die Kämpfer hätten bewaffnet mit Sturmgewehren, Pistolen und Bomben Russland einen „schweren Schlag“ versetzt, hieß es in der Mitteilung. Der Angriff habe „Tausenden Christen in einer Musikhalle“ gegolten. Der IS bekämpft Anhänger des Christentums und betrachtet sie als Ungläubige.

Ein massiver Brand ist über dem Krokus-City Veranstaltungshalle am westlichen Rand von Moskau zu sehen. Nach dem Angriff auf eine Veranstaltungshalle in der Region Moskau hat der russische Inlandsgeheimdienst FSB laut Agentur Interfax Tote und Verletzte bestätigt. Konkrete Zahlen zu dem mutmaßlichen Terroranschlag wurden am Freitagabend zunächst nicht genannt. Nach Behördenangaben wurden nach Schüssen und einem Brand weitere Explosionen gemeldet.
Ein massiver Brand ist über dem Krokus-City Veranstaltungshalle am westlichen Rand von Moskau zu sehen. Nach dem Angriff auf eine Veranstaltungshalle in der Region Moskau hat der russische Inlandsgeheimdienst FSB laut Agentur Interfax Tote und Verletzte bestätigt. Konkrete Zahlen zu dem mutmaßlichen Terroranschlag wurden am Freitagabend zunächst nicht genannt. Nach Behördenangaben wurden nach Schüssen und einem Brand weitere Explosionen gemeldet. © picture alliance/dpa/Moscow News Agency/AP

Trauer am Tatort

Der Tag nach dem grausamen Verbrechen in der Stadt Krasnogorsk nordwestlich von Moskau ist grau und trübe. Vor der Konzerthalle, die bis vor kurzem ein beliebter Veranstaltungsort für russische Hauptstädter war, patrouillieren schwer bewaffnete Sicherheitskräfte. Immer wieder fällt leichter Nieselregen. Mehrere Überlebende sind zur Crocus City Hall zurückgekehrt, um zu trauern und Blumen abzulegen. Auf Leuchttafeln flackert anstelle von Werbung die Aufnahme einer Kerze und darunter die Aufschrift: „Wir trauern. 22.03.2024.“

Als die bewaffneten Angreifer den Konzertsaal stürmten, habe sie gerade mit ihrem Mann auf einer der oberen Besuchertribünen gestanden, erzählte die 30 Jahre alte Margarita. „Wir wollten ein Erinnerungsfoto machen.“ Im ersten Moment habe sie die Explosionsgeräusche für lauten Begrüßungsapplaus für die Künstler gehalten, erinnerte sie sich. „Aber es knallte weiter. Da habe ich sofort verstanden, dass etwas nicht stimmt.“

Die Zahl der Toten bei dem Anschlag steigt auf mindestens 133, unter ihnen mindestens 3 Kinder. Beim Wegräumen der Trümmer in der Konzerthalle des Zentrums hätten Einsatzkräfte weitere Leichen gefunden, teilte das Moskauer Ermittlungskomitee mit. Außerdem gingen die Behörden von mehr als 100 Verletzten aus.

Die Suche nach möglichen weiteren Opfern dauere an, heißt es. Elf Verdächtige wurden festgenommen, mindestens vier von ihnen seien direkt an dem Angriff auf das Veranstaltungszentrum beteiligt gewesen, sagte FSB-Chef Alexander Bortnikow.

Eine Frau trauert um die Opfer des Anschlags auf die Crocus City Hall während einer Gedenkveranstaltung. Am Tag nach dem Terroranschlag nahe Moskau mit vielen Toten sind mehrere Überlebende zum Ort des Verbrechens zurückgekehrt, um zu trauern und Blumen abzulegen.
Eine Frau trauert um die Opfer des Anschlags auf die Crocus City Hall während einer Gedenkveranstaltung. Am Tag nach dem Terroranschlag nahe Moskau mit vielen Toten sind mehrere Überlebende zum Ort des Verbrechens zurückgekehrt, um zu trauern und Blumen abzulegen. © picture alliance/dpa/AP

Putin: Grenzübertritt der Täter in Ukraine vorbereitet

Russlands Präsident Wladimir Putin sprach in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede von einer angeblichen Verwicklung der Ukraine in den Terroranschlag. Mit Blick auf vier der festgenommenen Männer sagte er: „Sie haben versucht, sich zu verstecken und haben sich in Richtung Ukraine bewegt, wo für sie ein Fenster für einen Grenzübertritt vorbereitet worden war.“ Zuvor hatte Russlands Inlandsgeheimdienst FSB bereits über Festnahmen in der Grenzregion Brjansk berichtet.

Die Ukraine, gegen die Russland seit mehr als zwei Jahren einen brutalen Angriffskrieg führt, hat Gerüchte über eine Beteiligung deutlich zurückgewiesen. Der ukrainische Militärgeheimdienst konterte Putin und wies darauf hin, dass die Grenze seit langem vermint sei.

Weiterhin gibt es ein Bekennerschreiben der Terrormiliz Islamischer Staat, das von mehreren Experten bereits als echt eingestuft wurde. Trotzdem sind weiter viele Fragen offen. Russische Propagandisten wiederum behaupteten recht schnell, dass hinter dem blutigen Verbrechen die Ukraine stecke. Beweise dafür legten sie nicht vor.

Warnung vor einem Anschlag

Die Geheimdienste der USA und anderer westlicher Länder hatten bereits Anfang März vor einem drohenden Anschlag gewarnt. Die US-Botschaft in Moskau schrieb am 7. März, sie verfolge Berichte, wonach Extremisten unmittelbar bevorstehende Pläne haben, große Versammlungen in Moskau anzugreifen, darunter auch Konzerte. Sie forderte Landsleute auf, Menschenmengen zu vermeiden und sich auch sonst achtsam zu verhalten.

Putin tat die Warnungen als westliche Provokation ab. Ziel solcher Warnungen des Westens sei es, die Lage in Russland zu destabilisieren, behauptete er Anfang der Woche bei einer Rede beim FSB.

Viele Fragen noch offen

Der IS-Propagandakanal Amak veröffentlichte ein Bild mit vier Personen, deren Gesichter unkenntlich gemacht worden waren. Die Kämpfer hätten bewaffnet mit Sturmgewehren, Pistolen und Bomben Russland einen „schweren Schlag“ versetzt, hieß es in der Mitteilung. Der Angriff habe „Tausenden Christen in einer Musikhalle“ gegolten. Der IS bekämpft Anhänger des Christentums und betrachtet sie als Ungläubige.

Die russischen Ermittler haben sich dazu allerdings nicht geäußert. Nicht gesichert sind Berichte, dass es sich bei den mutmaßlichen Tätern um Staatsbürger der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik Tadschikistan handeln soll. Die in ihrem Fluchtauto gefundenen Pässe könnten gefälscht sein. Tadschikistan, das an Afghanistan grenzt, ist bekannt als ein Rückzugsort islamistischer Terroristen.

Bisher waren schwere IS-Anschläge auf russische Ziele selten. Seit einigen Jahren haben die Islamisten jedoch auch Moskaus Politik auf dem Radar. Vor allem Russlands Militäreinsatz in Syrien ist der Gruppe laut Experten ein Dorn im Auge. Putin zählt als wichtigster Verbündeter des syrischen Herrschers Baschar al-Assad. Nach Ausbruch des Bürgerkriegs hatte der IS zwischen 2014 und 2017 weite Teile im Osten Syriens und Nordirak beherrscht. Ein regionaler Ableger der Terrormiliz ist zudem im Kaukasus aktiv, in Russland vor allem in den mehrheitlich muslimischen Republiken Dagestan und Tschetschenien. Global hat der IS seine Sympathisanten immer wieder zum Kampf gegen Nichtmuslime aufgerufen.

Immer wieder schwere Terroranschläge

In Russland ist es in der Vergangenheit immer wieder zu schweren Terroranschlägen gekommen. Im September 2004 endete ein Geiseldrama in einer Schule in Beslan (Nordossetien) mit 360 Toten. Tschetschenische Rebellen hatten außerdem im Oktober 2002 in einem Moskauer Musicaltheater mehr als 800 Geiseln genommen. Bei der Befreiungsaktion starben 129 Geiseln und rund 40 Terroristen. Im Herbst 1999 wurden bei mehreren tschetschenischen Bombenanschlägen auf Wohnhäuser in Dagestan mehr als 300 Menschen getötet.

Der Anschlag nun auf die Crocus City Hall wurde international verurteilt. Der französische Präsident Emmanuel Macron schrieb auf Twitter, Frankreich verurteile den Terroranschlag aufs Schärfste. Er bekundete seine Solidarität „mit den Familien der Opfer, den Verletzten und dem russischen Volk.“ Auch die Bundesregierung verurteilte „den schrecklichen Terrorangriff auf unschuldige Konzertbesucher in Moskau. Unsere Gedanken sind mit den Angehörigen der Opfer und allen Verletzten“, schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Plattform X.

Die überlebende Margarita wirkte gefasst, aber auch sichtlich mitgenommen, als sie noch weitere Details von dem Anschlag erzählte. Nachdem sie und ihr Mann nach einem Spießrutenlauf durch Korridore und unter Gewehrfeuer in einem unteren Geschoss in einem dunklen Raum angekommen seien, womöglich einem Lager, hätten sie ein Schild mit der Aufschrift „Ausgang“ entdeckt - und sich ins Freie retten können. Putin hat nach dem Terroranschlag für diesen Sonntag einen nationalen Trauertag für Russland angesetzt.

Ukraine dementiert jede Verwicklung

Das ukrainische Außenministerium wies nach dem Anschlag den Verdacht einer Verwicklung Kiews zurück. Die USA mahnten in einer ersten Reaktion ebenfalls an, keinen Zusammenhang mit der Ukraine herzustellen. „Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Ukraine oder Ukrainer mit den Schüssen zu tun hatten“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, in Washington.

Man könne bisher nicht viel zu den Details mitteilen, rate aber zu diesem frühen Zeitpunkt eindringlich von der Annahme ab, dass es eine Verbindung zur Ukraine gebe. Das US-Außenministerium empfahl amerikanischen Staatsbürgern vor Ort, große Menschenansammlungen zu meiden.

Veranstaltungen werden abgesagt

Als Konsequenz des Anschlags bleiben am Wochenende alle Theater, Kinos und Museen in Moskau geschlossen, darunter das weltberühmte das Puschkin-Museum. Zuvor hatte der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin gesagt, dass alle Großveranstaltungen in Europas größter Stadt abgesagt seien. Auch im Moskauer Umland sagten die Behörden Massenveranstaltungen ab.

2002 hatten tschetschenische Bewaffnete 850 Menschen in einem Musical-Theater in ihre Gewalt gebracht. Am vierten Tag betäubte der Inlandsgeheimdienst die Geiselnehmer und die Geiseln mit einem Gas. Die Terroristen wurden erschossen. 135 Geiseln kamen ums Leben, die meisten von ihnen durch unzureichende medizinische Versorgung.

dpa/seh