Widerstand gegen Grundsteuerreform Ursula Michel fürchtet 250 Prozent Aufschlag

Grundsteuerreform: Ursula Michel fürchtet 250 Prozent Aufschlag
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Ursula Michel hat aufgepasst. Als am 27. März 2023 vom Finanzamt Marl der Bescheid über die Festsetzung des Grundsteuermessbetrags ab dem 1. Januar 2025 eintraf, hat die heute 76-jährige Brasserterin nachgerechnet und umgehend Widerspruch eingelegt. Denn was dort steht, bedeutet in den Augen der Rentnerin nichts anderes als eine drastische Anhebung ihrer Grundsteuerlast um sage und schreibe 250 Prozent.

„Das ist ein Anstieg, den ich so nicht akzeptieren kann“, sagt Ursula Michel heute. Und sie ist sich sicher: „Für viele Marler Hauseigentümer und Mieter wird es durch die aktuelle Grundsteuerreform noch ein böses Erwachen geben.“

Seit vielen Jahren wohnt Ursula Michel in ihrem Anwesen an der Sickingmühler Straße „Meine Großeltern haben das Haus im Jahr 1909 gebaut, seitdem ist es durchgehend in Familienbesitz“, sagt sie. Und sie hat mit ihrer Berufserfahrung aus der Buchhaltung akribisch Aktenordner angelegt. Über Jahrzehnte kann sie die Grundsteuerbescheide der Stadt Marl zurückverfolgen und alle Anschreiben des Finanzamts Marl dazu.

In ihrem schönen Garten steht Ursula Michel vor ihrem Haus aus dem Jahr 1909.
In ihrem schönen Garten steht Ursula Michel vor ihrem Haus aus dem Jahr 1909. Alte Häuser wurden steuerlich bislang eher gering belastet. Doch das wird sich ändern. © Thomas Brysch

Bislang konnte Ursula Michel zufrieden sein: „Ich weiß ja aus vielen Gesprächen, dass Eigentümer von neueren Häusern viel mehr zahlen müssen als ich“, sagt sie und betont: „Eine Annäherung der Steuer wäre schon gerecht.“ Für ihr Anwesen auf 550 Quadratmeter Grund mit 160 Quadratmeter Wohnfläche werden für sie im Jahr 2024 insgesamt nur 158 Euro an Grundsteuer fällig. Vor 2002 waren es sogar nur 187 D-Mark. Aber das ist lange her. Die Stadt hat seitdem mit einer stufenweisen Anhebung des Hebesatzes von damals 480 auf aktuell 790 Prozent dafür gesorgt, dass die Last sich fast verdoppelt hat. Jetzt aber droht auf einen Schlag eine Anhebung um 250 Prozent.

Eigentlich sollte die Grundsteuerreform mehr Steuergerechtigkeit bringen. Der reale Marktwert einer Immobilie sollte stärker berücksichtigt werden, sodass Besitzer älterer Immobilien etwas stärker und Besitzer neuer Immobilien etwas geringer belastet werden. Doch der Schuss ist heftig nach hinten losgegangen. Aktuell warnt die Stadt Marl davor, dass die Reform tatsächlich alle Wohnimmobilien deutlich stärker belastet und nur gewerbliche Immobilien spürbar entlastet werden. Und die Stadt Marl sieht aktuell keinen Weg, diese offensichtliche neue Ungerechtigkeit mit eigenen Mitteln auszugleichen.

So wird die neue Grundsteuer berechnet

Auf völlig marktferne 12.600 D-Mark war das Haus von Ursula Michel im Jahr 1993 laut Einheitswertbescheid taxiert worden. Im Zuge der Reform wurde vom Finanzamt jetzt der Betrag von 228.600 Euro als realer Grundsteuerwert errechnet. Dieser individuelle Grundsteuerwert wird multipliziert mit der einheitlichen Steuermesszahl 0,00031. Der Steuermessbetrag für das Haus steigt somit ab 2025 von bislang 19,97 Euro auf 70,87 Euro. Legt man den Marler Hebesatz von 790 Prozent zugrunde, ergibt sich daraus ein Anstieg der jährlichen Grundsteuerlast von bislang 157 Euro auf künftige 560 Euro.

Ein Hoffnungsschimmer: Die Grundsteuerreform soll für jede Stadt aufkommensneutral sein. Muss der Hebesatz also erstmals seit vielen Jahren wieder gesenkt werden? Ursula Michel mag das nicht glauben: „Die Stadt Marl ist doch völlig überschuldet und braucht jeden Cent“, sagt die Hausbesitzerin: „Ich rechne eher mit einer Anhebung, da wird die Grundsteuer noch höher.“

Etwa 22 Millionen Euro an Grundsteuer B nimmt die Stadt Marl pro Jahr ein. Nach einem Bericht der „Dorstener Zeitung“ wird das NRW-Finanzministerium für alle Städte einen aufkommensneutralen Hebesatz errechnen, der diesen Betrag nicht weiter ansteigen lässt. Fraglich ist, wie Marl mit diesem Angebot umgeht.

Eine Reaktion vom Finanzamt auf ihren Widerspruch hat Ursula Michel bis heute nicht bekommen. Sie ist aber froh, die Frist eingehalten zu haben und sagt: „Wenn im Januar 2025 die Bescheide über Grundbesitzabgaben kommen, wird gerade bei Menschen mit kleinem Einkommen manche Träne fließen.“