Bertho Schneider spricht über seine Hautfarbe „Blackfacing ist nicht unbedingt Rassismus“

Bertho Schneider: „Blackfacing ist nicht unbedingt Rassismus“
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In Marls Nachbarstadt Haltern am See war zu Jahresbeginn die Aufregung groß, als sich ein bekannter Bürger der Stadt als Sternsinger für die Darstellung der Heiligen Drei Könige das Gesicht schwärzte. „Blackfacing“ heißt das auf Neudeutsch. Ist das noch Tradition, ist das Gedankenlosigkeit oder schon offener Rassismus? Wie sieht ein farbiger Deutscher solche Vorgänge? Was sagt er zu „Negerküssen“, zum tatsächlichen Rassismus im Land und zum Aufstieg der AfD? Darüber sprachen wir mit Bertho Schneider aus Drewer.

Rassismus - für den 17-jährigen Schüler mit dunkler Hautfarbe ist das zum Glück nicht der Alltag. Auf Haiti geboren, kam der junge Mann schon im Kleinkindalter zu seinen Adoptiveltern nach Deutschland. Der Marler macht im kommenden Jahr sein Abitur am Gymnasium im Loekamp, schwärmt für deutschsprachige Literatur und will sich für sein späteres Studium noch zwischen Medizin, Philosophie und Germanistik entscheiden.

Ein weißer Sternsinger mit schwarzem Gesicht: Sehen Sie in diesem „Blackfacing“ schon eine Form von Rassismus?

Ich finde, man muss auf die Intention schauen. Was will jemand, der sich schwarz färbt, erreichen? Ich glaube: Wer sich als Melchior oder Balthasar schwarz färbt, ehrt eine alte christliche, biblische Tradition. Das ist eher eine Verkleidung, keine Verhöhnung. Die Heiligen Drei Könige stehen doch für etwas Gutes. Sicher muss das in der heutigen Zeit nicht mehr unbedingt sein, aber ein wirkliches Problem habe ich mit dieser Schwarzfärbung nicht.

Welches „Blackfacing“ geht für Sie gar nicht?

Wenn sich jemand im Karneval als Menschenfresser, als Kannibale einen Knochen ins Haar steckt, sich das Gesicht schwarz färbt und die Lippen rot anmalt, bedient er das Klischee vom bösen, gefährlichen, primitiven und einfältigen Schwarzen, das könnte ich nicht akzeptieren, da fängt für mich der Rassismus an.

Darf man zu der bekannten Süßigkeit heute noch „Negerkuss“ sagen?

Ich sage das sicher nicht und wenn in meinem Freundeskreis jemand das Wort benutzt, entgegne ich ihm direkt, dass ich das nicht cool finde. Ein wirkliches Problem habe ich damit aber nicht. Ich würde mir das Wort „Schokokuss“ wünschen, aber wenn jemand etwas anderes sagt, geht davon die Welt nicht unter.

Bertho Schneider interessiert sich sehr für historische Themen. Hier steht der 17-Jährige vor einer Replik der Erstausgabe des "Wochenblatt für de Kreis Recklinghausen", der Keimzelle der Marler Zeitung.
Bertho Schneider interessiert sich sehr für historische Themen. Hier steht der 17-Jährige vor einer Replik der Erstausgabe des "Wochenblatt für den Kreis Recklinghausen" aus dem Jahr 1831, der Keimzelle der Recklinghäuser Zeitung, aus der auch die Marler Zeitung hervorging. © Thomas Brysch

Sie haben eine sehr dunkle Hautfarbe. Möchten Sie als „Schwarzer“ bezeichnet werden?

Das kommt immer auf den Kontext an. Grundsätzlich habe ich kein Problem damit, als „Schwarzer“ bezeichnet zu werden. Besser wäre aus meiner Sicht aber das Wort „farbig“.

Welche Bezeichnung werten Sie als Beleidigung?

Das Wort „Neger“ ist sicher eine Beleidigung, die ich nicht akzeptieren kann. Auch das alte deutsche Wort „Mohr“ ist beleidigend. Dahinter verbirgt sich oft genug das Bild des Schwarzen als Diener. Ein Beispiel ist der Sarotti-Mohr. Das ist ein Stereotyp und heute sicher nicht mehr zeitgemäß.

Der Mohr taucht aber in vielen alten Kindergeschichten auf. Sollten die gestrichen oder umgeschrieben werden?

In den Geschichten von Pippi Langstumpf kommen die Worte „Negerkönig“ und „Negerprinzessin“ vor. Ich finde, all das ist Literatur, das sind Bücher, die in ihrer Zeit ihre Berechtigung hatten und bleiben sollten, wies sie sind. Aber heute gibt es sicher bessere moralische Wege, um dem Rassismus zu begegnen.

Erleben Sie in ihrem Alltag Rassismus, etwa in der Schule?

Insgesamt habe ich noch keine großen Erfahrungen mit echtem Rassismus gemacht. Ich wurde noch nie körperlich angegangen. Hier in Marl, in der Schule ist das für mich absolut entspannt, hier gibt es keinen Rassismus. Ich habe weißhäutige Freunde und solche mit Migrationshintergrund.

Gibt es keine negativen Erlebnisse?

Ja, verbal schon. Im Supermarkt wurde ich mal als „Affe“ bezeichnet, das war nicht schön. Aber ich habe noch keine Situation erlebt, in der es für mich irgendwie gefährlich wurde. Allerdings möchte ich betonen: Andere Farbige in diesem Land können ganz andere, viel negativere Erfahrungen gemacht haben.

Gibt es bei uns den unterschwelligen Rassismus?

Ja, vielleicht schon. Wenn mir beim Schulsport jemand sagt, dass ich so schnell laufen kann, weil ich ein Schwarzer bin, fällt das wohl in diese Kategorie.

Mit seiner dunklen Hautfarbe hat Bertho Schneider in Schule und Freundeskreis keine negativen Erfahrungen gemacht.
Mit seiner dunklen Hautfarbe hat Bertho Schneider in Schule und Freundeskreis keine negativen Erfahrungen gemacht. © Thomas Brysch

Was sagen Sie als Farbiger zum Aufstieg der AfD?

Das ist für mich eine beunruhigende Entwicklung. Die AfD steht für eine negative Grundstimmung. Das Treffen von Potsdam zeigt die Gefahren, die von dieser Partei für unsere multikulturelle Gesellschaft ausgehen.

Wie wirken die radikalen Remigrationspläne auf Sie?

Ich finde, man muss diese rechtsradikalen Deportationspläne sehr ernst nehmen. Ich habe einen deutschen Pass, aber es ist klar, dass diese Pläne auch eine Gefahr für mich sein könnten. Jeder, der irgendwie ausländisch wirkt, ist durch diese Pläne gefährdet. Die Frage ist: Wie weit wird sich die AfD noch radikalisieren?

Wie kann man dagegenhalten?

Wichtig ist: wählen gehen und sich für eine demokratische Partei entscheiden. Ich bin erst 17 und konnte leider noch nicht wählen. Aber ich finde es gut, dass auch in Marl sich bei der Demonstration so viele Menschen gegen die AfD ausgesprochen haben.

Sie selbst sind in Deutschland aufgewachsen. Wie sehen Sie das Thema Zuwanderung?

In Deutschland herrscht Fachkräftemangel, also brauchen wir doch eine Zuwanderung. Vor allem: Menschen, die unter unerträglichen Verhältnissen leben, haben das Recht zu flüchten und dorthin zu gehen, wo sie die Chance auf ein glückliches Leben haben. Das ist meine feste Überzeugung als Humanist.

Was ist für Sie deutsch? Fühlen Sie sich als Deutscher?

„Deutsch“ zu definieren, ist sehr schwer. Das ist mehr als der deutsche Pass. Das ist auch mehr als Gartenzwerg, Lederhose und Pünktlichkeit. Was ich sagen kann: Ich fühle mich als Deutscher und ich fühle mich wohl in diesem Land. Das spüre ich besonders intensiv in der Schule und im Freundeskreis. Ich bin mit deutschen Märchen aufgewachsen und mag deutschsprachige Literatur, vor allem Franz Kafka.

Gibt es auch Schattenseiten?

Zu unserem Land gehört die schmerzhafte Erinnerung an den Nationalsozialismus. Der millionenfache Mord an den Juden war schrecklich. Aber heute lebe ich in einem anderen Deutschland. Es geht in die richtige Richtung. Die Jugend ist ganz klar gegen Rassismus.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass es gelingt, den Rassismus endgültig aus unserer Gesellschaft zu verbannen.

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