Mehr als ein Jahr nach einem Spielabbruch wegen eines Bierbecherwurfs bei einem Heimspiel des VfL Bochum muss sich der mutmaßliche Täter (39) jetzt vor Gericht verantworten. Während der Angeklagte trotz erdrückend anmutender Beweislage schwieg, reiste der damals am Hinterkopf getroffene Schiedsrichter-Assistent Christian Gittelmann (40) mit einer „wichtigen Message“ an.
Über den Täter konnte der Linienrichter keine Angaben machen, weil der Bierbecher ihn am Abend des 18. März 2022 ja schließlich von hinten im Nackenbereich getroffen hat. Das, was ihn in Zusammenhang mit der möglichen Überführung des „Becherwerfers“ bewegt, beschrieb der Linienrichter so: „Ich selbst möchte definitiv keinen Profit aus der Sache schlagen. Sollte ich am Ende ein Schmerzensgeld zugesprochen kriegen (Anm.: Er fordert mindestens 2.000 Euro), würde ich es an den Schiedsrichterfonds beim DFB spenden.“

Besonders wichtig ist Christian Gittelmann aber auch eine Strahlkraft, die ein „Becherwerfer-Urteil für die Schiedsrichter-Kollegen in den unteren Ligen entfalten soll. „Diejenigen, die gegen uns Gewalt zeigen, dürfen nicht anonym bleiben, sollen sich nicht sicher fühlen können“, sagte Gittelmann.
Pulsartig, pochender Schmerz
An den Vorfall erinnerte sich der Linienrichter noch genau. Der VfL Bochum lag im Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach 0:2 hinten, als er in der 68. Spielminuten von einem Bierbecher-Geschoss am Kopf getroffen wurde. „Es hat mich voll erwischt“, sagte Gittelmann.
„Es war ein harter Einschlag. Sofort schmerzhaft, nass, kalt. Später kam es pulsartig pochender Schmerz hinzu.“ Fakt ist: Das Ligaspiel wurde damals abgebrochen und später mit 0:2 gegen den VfL Bochum gewertet. Vom DFB wurde der Club später unter anderem mit einer Geldstrafe in Höhe von 100.000 Euro belegt.
Christian Gittelmann litt nach eigenen Angaben noch einige Tage unter heftigen Kopfschmerzen. Als offizielle Diagnose spricht die Anklage von einer Schädelprellung mit Halswirbelsäulen-Distorsion.

Nach Auswertung von TV-Bildern, Zeugenaussagen und DNA-Untersuchungen an dem Bierbecher hatte die Staatsanwaltschaft Bochum zügig Anklage gegen den jetzt Verdächtigen erhoben.
Zum Prozessauftakt wollte der Bochum-Anhänger am Montag (22.5.) aber kein Wort zu den Vorwürfen sagen. „Er wird von seinem Recht Gebrauch machen, sich schweigend zu verteidigen“, sagte Rechtsanwalt Stefan Witte. Der Verteidiger säte dann seinerseits sofort Zweifel an der Verwertbarkeit der TV-Bilder, die im Zuge der Ermittlungen „bearbeitet“ worden seien und daher „in hohem Maße suggestiv“ wirkten.
Handy im Saal beschlagnahmt
Auf den vor Gericht auf Leinwand projizierten Videos ist erkennbar, dass der mit einem Fanschal bekleidete Becherwerfer aus der ersten Reihe sein Geschoss bogenförmig auf den Linienrichter wirft. „Gezielt“, heißt es dazu in der Anklage.
Als das Spiel daraufhin unterbrochen wurde und Bochum-Spieler mit den Fans in dem Werfer-Block vom Platz aus gestenreich diskutieren, lässt sich der Angeklagte dort erkennbar als einziger Fan ohne Bierbecher ausmachen.
Für Unruhe sorgte beim Prozessauftakt die Aussage eines Fans (40) aus dem Werfer-Block, der auf Nachfrage verneinte, dass er den Angeklagten kennt. In WhatsApp-Gruppen, so der Zeuge, sei später lediglich der Verdacht aufgekommen, dass es der Angeklagte gewesen sein könne.
Staatsanwalt Philipp Rademacher bezweifelte das Nicht-Kennen, kündigte eine Zeugenvereidigung an, beschlagnahmte kurze Zeit später sogar im Saal das Handy des völlig verdutzten Zeugen. Wenig später ließ es Rademacher aber dann doch auf einer Durchsicht der Kontakte und Chatverläufe beruhen.

Anklage lautet auf gefährlich Körperverletzung
Die Anklage lautet auf gefährlich Körperverletzung. Mindeststrafe im Regelfall: sechs Monate Freiheitsstrafe. Für den Prozess sind noch zwei weitere Verhandlungstage bis zum 14. Juni anberaumt.
Schiedsrichter-Assistent Christian Gittelmann tritt im Prozess als Nebenkläger auf. Am Rande des Prozessauftaktes am Amtsgericht Bochum zeigt sich auch der Linienrichter als Fan von stimmungsgeladenen Spielen, vor allem im Ruhrgebiet: „Atmosphäre ist für uns ja auch das Salz in der Suppe. Auch wir sind gerne bei Spielen, wo es abgeht.“ Dass, was an diesem Tag abgegangen sei, müsse aber Konsequenzen haben. Gittelmann: „Es ist im Interesse aller wichtig, dass das nicht unbestraft bleibt.“
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