„Lasst uns einen Feiertag streichen“, sagt die Wirtschaft Keine gute Idee, sagt der Verstand

„Lasst uns einen Feiertag streichen“, sagt die Wirtschaft: Keine gute Idee, sagt der Verstand
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Ulrich Breulmann

Sobald der Motor der Wirtschaft stottert, kramt jemand dieses Heilmittel aus der Tasche: „Lasst uns einen Feiertag streichen!“ In der aktuellen Flaute erledigte Monika Schnitzer, Chefin der „Wirtschaftsweisen“, diese Aufgabe.

Die Reaktionen? Vorhersehbar. Aus der Wirtschaft Beifall, von den Gewerkschaften Kritik. Eine Einschätzung in sieben Punkten.

1. Der Buß- und Bettag als Vorbild

Zuletzt wurde 1995 ein Feiertag gestrichen, als der Buß- und Bettag – mit Ausnahme von Sachsen – abgeschafft wurde. Mit diesem Extra-Arbeitstag sollten die Beitragssätze für die neue Pflegeversicherung stabilisiert werden. Das hat nicht funktioniert. 1995 lag der Beitragssatz bei 1 Prozent, heute beträgt er 3,6 Prozent.

Der gestrichene Buß- und Bettag hat also nur kurzfristig Linderung verschafft.

Erkauft wurde er mit dem Verlust eines Tages, der auch abseits des religiösen Aspekts in vielen Familien einen besonderen Stellenwert hatte: als Start in die Vorweihnachtszeit mit Plätzchen-Backen, Deko-Ideen und Weihnachts-Planungen. War es das wert, diesen Feiertag zu streichen?

2. Arbeiten die Deutschen weniger als andere

Arbeiten wir zu wenig? Im Schnitt beträgt unsere Jahresarbeitszeit 1.349 Stunden. Das ist im EU-Vergleich in der Tat relativ wenig. Holland (1.417), Österreich (1.442) und Frankreich (1.490) liegen beispielsweise darüber. Zu viele Urlaubstage dürften übrigens nicht die Ursache dafür sein. Da liegt Deutschland in der EU mit 29 Urlaubstagen am Ende der Skala. Die meisten hat Österreich mit 38 Tagen.

Zudem sagt die Zahl geleisteter Arbeitsstunden nichts über die Produktivität aus. Da sieht die Sache schon anders aus. In Deutschland erwirtschaftet ein Mensch im Jahr laut OECD Waren und Dienstleistungen im Wert von 52.493 Dollar, in Frankreich aber nur 49.492 Dollar.

3. Der andere Weg zum Erreichen des Ziels

Der Kerngedanke hinter einem Feiertags-Aus ist einfach: Wenn wir die Zahl der Arbeitstage erhöhen, wird mehr produziert. Die Wertschöpfung steigt. Das hilft den Unternehmen und stärkt ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Grundsätzlich ist die Argumentation schlüssig, aber sie hat einen Haken. Natürlich ist die Streichung eines Feiertages der einfachste Weg, mehr Arbeitszeit zu gewinnen. Aber auch der beste? Wie wäre es, wenn es stattdessen gelänge, mehr Teilzeitbeschäftigte in einen Vollzeit-Job zu bringen?

Im Moment arbeiten in Deutschland 29,2 Prozent aller Erwerbstätigen in Teilzeit, bei den Frauen sogar 48,8 Prozent. Viele von ihnen würden auch Vollzeit arbeiten, wenn die zuverlässige Betreuung ihrer Kinder oder die Pflege ihrer Angehörigen garantiert wäre. Das zu sichern, ist komplexer als die Streichung eines Feiertags, aber auch sinnvoller, denn: Das wäre zugleich ein Mittel gegen den Fachkräftemangel.

4. Hat Deutschland mehr Feiertage als andere Länder in Europa?

Gönnen sich die Deutschen zu viele Feiertage? Zunächst: Es gibt nicht „die“ Deutschen. Bundesweit haben wir 9 gesetzliche Feiertage, was im EU-Vergleich bescheiden ist.

Frankreich hat 11, Österreich 13 und Spanien 14. Allerdings gibt es auch Feiertage, die nur in einigen Bundesländern gelten. Bayern hat mit insgesamt 13 die höchste Zahl an Feiertagen, die anderen Bundesländer haben meist 11 (wie NRW) oder 10 (wie Niedersachen).

5. Der Haken mit den „beweglichen Feiertagen“

Achtung: Ein Feiertag bedeutet längst nicht in jedem Fall einen gestrichenen Arbeitstag. Das liegt an den „beweglichen“ Feiertagen, die mal auf einen Werktag fallen, mal auf einen Samstag oder Sonntag. In NRW geht es um sechs Tage: 1. Januar, 1. Mai, 3. Oktober, 1. November, 1. und 2. Weihnachtstag.

Dass alle diese Tage auf einen Werktag fallen, kommt praktisch nie vor. Dieses Jahr haben Arbeitnehmer Glück: Nur Allerheiligen ist ein Samstag, alle anderen Feiertage liegen zwischen Montag und Freitag. Dafür freuen sich die Arbeitgeber auf 2027, dann fallen der 1. Mai, der 3. Oktober und die beiden Weihnachtstage auf das Wochenende. Das heißt: Auch ein gestrichener Feiertag bringt nicht jedes Jahr einen Vorteil für Arbeitgeber.

Unsere Arbeitgeber können sich glücklich schätzen, nicht in Großbritannien, Irland, Spanien oder Australien zu leben. Fällt da ein Feiertag aufs Wochenende, ist der folgende Montag frei. Fällt in den USA ein Feiertag auf den Samstag, ist der Freitag davor frei, fällt er auf einen Sonntag, ist der folgende Montag frei. Andererseits gehört zur Wahrheit auch dazu, dass es in den USA nur 10 bis 15 Tage Urlaub gibt.

6. Die Meinung der Bevölkerung ist eindeutig

Was sagt die Bevölkerung? Bei einer Forsa-Umfrage für den Stern lehnten im März 65 Prozent die Streichung eines Feiertages ab.

7. Die Qual der Wahl: Welcher Feiertag darf‘s denn sein?

Und dann die Frage aller Fragen: Welcher Feiertag darf’s denn sein? Auch wenn vielen der christliche Ursprung etlicher Feiertage völlig egal ist, dürfte niemand Ostern oder Weihnachten antasten wollen. Welcher wäre denn sonst verzichtbar? Die Diskussion darüber würde ein unschönes gesellschaftliches Gezerre nach sich ziehen, wie wir es 1995 erlebt haben.

Fazit: Wer klug ist, lässt die Finger von den Feiertagen. In unserer schnellen Zeit ist angesichts der Verdichtung der Arbeit das Verschnaufen an Feiertagen wichtiger denn je. Diese kleinen Oasen sollten wir uns weiter gönnen.