Schlaganfall auf der A2 Politikerin Anna Kavena hatte Todesangst

Anna Kavena erleidet auf Autobahn Schlaganfall: „Ich hatte Todesangst“
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Am 16. April 2024 hat sich Anna Kavenas Leben für immer verändert. Die junge Frau sitzt seit 2022 als direkt gewählte Abgeordnete für Recklinghausen und Oer-Erkenschwick im Landtag. An jenem 16. April fährt sie morgens wie so oft nach Düsseldorf. Fraktionssitzung. „Ich hatte die Kinder um 8 Uhr in die Schule gebracht und mir ging es gut“, erzählt die Sozialdemokratin. Über die Freisprecheinrichtung ihres Autos führt sie mehrere Telefonate. Sie ist auf der A2 unterwegs.

„Dann habe ich gemerkt, dass mir schwindelig wird“, erzählt die Frau aus dem Ortsteil Stuckenbusch. „Da habe ich mir erst nichts bei gedacht, ich hatte auch nicht gefrühstückt. Es war einfach so ein flaues Gefühl.“ Doch dieses Unwohlsein verfliegt nicht, es wird schlimmer. „Das war plötzlich ein richtig schlimmer Drehschwindel“, sagt Anna Kavena. Sie nimmt die nächste Ausfahrt, drückt die Notruftaste ihres Handys und schafft es irgendwie noch, die Handbremse anzuziehen.

„Die Stimme aus der Notrufleitstelle sagte mir, ich solle nicht auflegen. Ich konnte nicht mehr richtig sprechen und merkte, dass mein rechter Arm taub wird.“ Etwas Existenzielles brennt sich in ihr schwindendes Bewusstsein: „Ich hatte Todesangst.“

Anna Kavena sagt, sie habe an diesem Morgen „20.000 Schutzengel gehabt“. Sie habe in Panik die Tür aufgerissen und um Hilfe gerufen. Da seien zwei Frauen zu ihr gekommen und hätten sich um sie gekümmert. Eine nimmt ihre Hand. „Ich wollte diese Hand nicht mehr loslassen.“

Das Martinshorn des Rettungswagens nimmt Anna Kavena noch wahr in einem Dämmerzustand, den sie zwischen Schlafen und Wachsein beschreibt. Als die Rettungskräfte eintreffen, spürt sie Hektik um sich herum. Und dass ihre rechte Gesichtshälfte so taub ist wie ihr rechter Arm. Dass sie sich gerade in Gladbeck befindet, weiß sie nicht. Zusammen mit der Todesangst ist da die Sorge um die acht und neun Jahre alten Kinder. „Ich dachte, die können doch nicht ohne dich aufwachsen.“

Anna Teresa Kavena lächelt in die Kamera. Im Hintergrund sitzen Leute auf einer Bierzeltgarnitur und applaudieren.
Strahlende Siegerin: Anna Kavena am Tag ihres Wahlerfolgs bei der Landtagswahl im Mai 2022. Im Heinrich-Pardon-Haus in Recklinghausen stieg die Wahlparty. © Christian Pozorski

Um 8.55 Uhr spritzen die Ärzte der Recklinghäuserin ein Gerinnungsmittel. Es stellt sich heraus, dass sich ein Blutgerinnsel in ihren Kopf gesetzt hat. Es verstopft ein Blutgefäß im Gehirn. Auf der Stroke Unit der Gladbecker Klinik kommt Anna Kavena zu sich.

„Es war wie in einem Traum“, sagt sie. Nach und nach sickert die Erkenntnis in ihr Bewusstsein, dass ihr etwas Schlimmes passiert ist. Und dass sie großes Glück hatte. „Ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass ich mit 38 Jahren einen Schlaganfall habe. Ich rauche nicht und trinke nicht, mache Sport“, sagt die Frau, die bislang nur eine Richtung im Leben kannte: vorwärts.

Nach Angaben der Deutschen Schlaganfallhilfe erleiden in Deutschland jedes Jahr rund 270.000 Menschen einen Schlaganfall. Die meisten sind wesentlich älter als Anna Teresa Kavena. Jeder Fünfte stirbt innerhalb der ersten Wochen. Von den Überlebenden bleiben über 60 Prozent pflegebedürftig.

„Ich bin nicht Superwoman“

„Das Schlimmste war für mich zu erkennen, dass ich nicht Superwoman bin“, meint die Politikerin. Es ist nicht nur halb im Scherz gemeint. „Meine Devise war immer: nicht jammern, machen“, sagt Anna Kavena. Haushalt, Kinder, Ehefrau sein, die Arbeit als Sozialarbeiterin im Jugendamt, zuletzt im Kreishaus, erste Schritte in der Lokalpolitik, Wahlkampf, Ratsmandat, Stadtverbandsvorsitz, schließlich die Wahl in den Landtag. Schlagfertig sein. Und angriffslustig. Tausend Termine, noch mehr Posts bei Instagram – und dabei immer gut aussehen.

Anna Kavena schien viele Jahre über ein geheimes, unerschöpfliches Energiereservoir zu verfügen. Dann kam der 16. April 2024.

Anna Teresa Kavena spricht mit dem Betreiber des Ökotech-Kraftwerks in Recklinghausen, Bernhard Sundermann-Peters.
Wahlkämpferin: Im Mai 2022, kurz vor der Landtagswahl, besucht Anna Teresa Kavena das Ökotech-Kraftwerk von Bernhard Sundermann-Peters (l.). © Jörg Gutzeit (Archiv)

Das Gespräch, das zu diesem Text führt, findet im Obergeschoss des „italian“ am Recklinghäuser Altstadtmarkt statt. Anna Kavena ist schon da. Telefoniert. Natürlich. Sie sieht auf den ersten Blick unverändert aus. Und klingt auch so. Eine selbstbewusste, attraktive Frau in den besten Jahren. Dabei hätte es schon viele Gerüchte gegeben, auch um ihr Aussehen nach dem Schlaganfall. Auch in der eigenen Partei. Es habe geheißen, sie sitze im Rollstuhl.

Der Weg zurück ins Berufsleben sei lang und steinig, räumt Kavena ein. Einer ihrer ersten Termine: Ein Vortrag über Sicherheit und Enkeltricks in einem Seniorenheim in Oer-Erkenschwick. „Danach habe ich mich sofort ins Bett gelegt.“ Sie sei noch lange nicht die Alte, räumt Anna Kavena ein. Und wird es wohl auch nie wieder sein. Denn ihren inneren Kompass richte sie nun neu aus. „Mein Leben“, sagt sie, bestand daraus, anderen Menschen bei ihren Problemen zu helfen.“ Sich selbst habe sie dabei oft vergessen.

Die meisten Termine seien derzeit noch Arzttermine. Frustrierend sei es, wenn der Termin beim Facharzt monatelang auf sich warten lasse. Sieben Wochen habe sie kein Auto fahren dürfen, sei zu Fuß gegangen oder mit Bus und Bahn gefahren. Immerhin könne sie jetzt Menschen, die Probleme mit dem ÖPNV haben, besser verstehen.

„Ich muss auf mich aufpassen“

In den Wochen nach dem Schlaganfall habe ihr die Politik gefehlt. Die Kraft sei noch nicht wieder da, die Leidenschaft schon. „Ich möchte auf jeden Fall im Landtag weitermachen.“ Als Mitglied des Innenausschusses beackert Anna Teresa Kavena ein klassisches CDU-Thema: innere Sicherheit. Für sie steht fest: „Der Schlüssel zu innerer Sicherheit liegt in der Sozialpolitik.“ Eine bessere Sozialpolitik, etwa im Bereich Integration, würde viele Probleme, die heute in deutschen Städten sichtbar seien, gar nicht erst entstehen lassen. Sie ist wieder in ihrem Element.

Aber das andere Thema, jenes, das sie selbst betrifft, werde sie an jedem Tag ihres Lebens begleiten. Anna Kavena sagt: „Ich muss auf mich aufpassen.“ Auch sei da die ständige Angst, dass sie wieder einen Schlaganfall bekommen könnte. Noch sei keine Ursache gefunden, warum sich das Blutgerinnsel in ihrem Körper gebildet hatte.

Anna Teresa Kavena steht auf einem abgedeckten Dach und hält Dachziegel in der Hand.
Zupackend: Für einen Tag betätigte sich die Politikerin Anna Teresa Kavena als Dachdeckerin. Ihre Botschaft: Auch Frauen können das. © privat (Archiv)

Anna Kavena scheint Glück gehabt zu haben. Die Chancen, dass sie vollständig gesund wird, stehen gut, sagt sie. Die Taubheitsgefühle hätten sich deutlich verflüchtigt. Die Recklinghäuserin will mit ihrem Schicksal offen umgehen. Das tut sie auch in den Sozialen Netzwerken. „Wir Politiker“, sagt sie, „sind doch auch ganz normale Menschen.“ Zugleich wisse sie: „Viele Politiker sind ernsthaft erkrankt, halten aber ihre Fassade aufrecht.“ Das Zeigen von Schwäche gelte in der Politik noch oft als Tabu.

Auch sie, sagt Anna Kavena, sei meist sieben Tage in der Woche unterwegs gewesen, hetzte von Termin zu Termin. Künftig soll ihr und vor allem ihrer Familie zumindest der Sonntag heilig sein. Das scheint bislang zu funktionieren. Auf die Frage, was die denn am Tag der Europawahl gemacht habe, entgegnet sie: „Nichts.“