Ein Schild mit dem Text "There Is No Planet B" ist bei einer Demonstration von Fridays for Future zu sehen.

Klimakrise, Coronavirus, Ukraine-Krieg - immer mehr Krisen kommen zusammen und sind auch für die Menschen in Deutschland deutlich spürbar. © picture alliance/dpa

„Nie mehr wie früher“ - Wie krisenfest ist Deutschland?

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In den 73 Jahren ihres Bestehens hat die Bundesrepublik schon so einiges durchgestanden. Was sich jetzt zusammenbraut, könnte allerdings doch eine neue Dimension haben.

von Christoph Driessen

Berlin/Bonn

, 27.07.2022, 04:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Kürzer duschen, Pulli tragen, beim Essen sparen - wenn über den nächsten Winter gesprochen wird, dann klingt das, als würde Oma vom Krieg erzählen. Aktuell stöhnen zwar noch alle unter der Hitze, doch in fünf Monaten ist Weihnachten. Und diesmal könnte das Fest nicht froh, sondern frostig werden.

„Wir können auch einmal frieren für die Freiheit. Und wir können auch einmal ein paar Jahre ertragen, dass wir weniger an Lebensglück und Lebensfreude haben“, sagte Altbundespräsident Joachim Gauck nach der russischen Invasion in der Ukraine - und löste damit eine Welle der Entrüstung aus.

„Das ist für mich eine zynische Äußerung“, kritisierte der Armutsforscher Christoph Butterwegge im WDR. Gauck mit seinen hohen Bezügen habe leicht reden. „Andere Menschen trifft jede Preissteigerung hart, und von denen zu erwarten, dass sie für die Freiheit in einer idealistischen Vorstellung Opfer bringen, das halte ich für sehr vermessen.“

Wenn man sich fragt, wann die Deutschen zum letzten Mal richtig gefroren haben, dann muss man schon sehr weit zurückgehen. Von November 1946 bis März 1947 war das in Trümmern liegende Land im Griff eines Extremwinters mit Temperaturen von minus 20 Grad. In vielen Wohnungen waren selbst die Bettdecken mit einer Eisschicht überzogen.

Auch wenn Putin alle Hähne zudreht: So schlimm wie damals wird es nicht im Entferntesten werden. Schwere Wirtschaftskrisen hat die Bundesrepublik immer wieder durchgestanden, zum Beispiel 1973. Damals drosselten mehrere arabische Länder ihren Erdölexport, um westliche Staaten wegen ihrer Hilfe für Israel im Jom-Kippur-Krieg unter Druck zu setzen.

Wirtschaftskrisen haben oft politische Gründe

Ebenso wie heute hatte die Wirtschaftskrise also politische Gründe. Die Folgen dieses „Ölpreisschocks“ waren dramatisch: In Großbritannien etwa bekamen Unternehmen nur noch an drei Tagen in der Woche Strom. In den Büros der Londoner City flackerten Kerzen, Behörden und Ministerien schlossen bei Einbruch der Dunkelheit. In Deutschland verhängte die Bundesregierung an vier Sonntagen ein Fahrverbot, so dass man auf der Autobahn spazieren gehen konnte.

„Praktisch gebracht hat das kaum was, aber es war ein wichtiges Symbol“, erläutert Hans Walter Hütter, der ehemalige Präsident des Hauses der Geschichte in Bonn und derzeitige Vorsitzende des Präsidiums Haus der Geschichte NRW. „Ich kann mich noch heute an die leer gefegten Autobahnen erinnern, das vergisst man nicht mehr. Der Bevölkerung wurde dadurch klargemacht, dass sich etwas Entscheidendes verändert hatte.“

Ohne Wenn und Aber verkündete Außenminister Hans-Dietrich Genscher 1974 vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen: „Wir müssen den Gürtel enger schnallen!“ Ob das ein FDP-Politiker heute auch noch so sagen würde? Noch drastischer formulierte es der niederländische Ministerpräsident Joop den Uyl mit der Vorhersage: „Es wird nie mehr wie früher!“

Im Rückblick war das maßlos übertrieben. Es wurde nicht nur wieder wie früher, es wurde sogar noch viel besser: Nach einigen Jahren war die Krise überwunden, und der Lebensstandard in Westeuropa stieg weiter. Wein zum Abendessen, wöchentliche Restaurantbesuche und ein Zweiturlaub - all das wurde erst lange danach Normalität.

Die Inflation war das Schreckgespenst der BRD

Daraus kann man vielleicht lernen, dass man sich nicht verrückt machen sollte. Auf magere Jahre folgen auch wieder fette. Die Inflation, die derzeit ungeahnte Höhen erreicht hat, hätte den Bundesbürgern früher noch viel mehr Angst eingejagt. „Die Inflation war das Schreckgespenst der jungen Bundesrepublik“, sagt Hütter. Denn damals erinnerten sich noch viele an die Hyperinflation des Jahres 1923, als eine Fahrt mit der Berliner Straßenbahn 50 Milliarden Mark kostete.

Die Geldentwertung - eine Spätfolge des Ersten Weltkriegs - vernichtete die Vermögen des deutschen Mittelstands und führte zu einer nachhaltigen Traumatisierung. Die Finanzpolitik der Bundesbank war deshalb von Anfang an ganz auf Inflationsbekämpfung ausgerichtet.

Steigende Arbeitslosenzahlen wiederum riefen in den 70er Jahren böse Erinnerungen an die Weltwirtschaftskrise wach, die von 1929 an den Nährboden für die Machtübernahme der Nazis bereitet hatte.

Mittlerweile hat Deutschland bewiesen, dass seine Demokratie gefestigt genug ist, um den einen oder anderen Sturm durchzustehen. Das Selbstbewusstsein ist heute ein ganz anderes als zur Zeit von Willy Brandt und Helmut Schmidt.

Die derzeitige Situation ist nach Einschätzung Hütters allerdings ohne Beispiel in der 73-jährigen Geschichte der Bundesrepublik. Schließlich kämen hier gleich mehrere krisenhafte Entwicklungen zusammen: die Corona-Pandemie mit den Spätfolgen der monatelangen Lockdowns, der unter anderem dadurch ausgelöste Mangel an Arbeitskräften in vielen Branchen, die Unterbrechung der Lieferketten, die Inflation und die durch den Ukrainekrieg verursachte Energieknappheit. „Das hat es in dieser Kombination noch nie gegeben.“

Krisen können auch Gutes hervorbringen

Ist es der „perfekte Sturm“? Grund zur Sorge besteht allemal. Der britische „Economist“ zeigte Europa kürzlich als winziges Rotkäppchen in einem finsteren Wald voller horizontaler zugedrehter Gasleitungen, verfolgt von einem riesigen russischen Bären mit blitzenden roten Augen.

Mut schöpfen kann man vielleicht daraus, dass eine Krise auch Gutes hervorbringen kann. So hatte die weltweite Ausbreitung des Coronavirus zur Folge, dass die Menschheit in Rekordzeit Impfstoffe entwickelte. „Ich finde, dass das auch in den Medien noch viel stärker herausgestellt werden müsste“, sagt Hütter. „Das ist eine gewaltige Leistung von Biontech, die man vorher für unmöglich gehalten hätte.“

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Die russische Invasion in der Ukraine hat als Nebeneffekt bereits zu einem Schub für alternative Energien geführt. „So furchtbar dieser Krieg auch ist, Krisen erzeugen immer eine neue Dynamik“, gibt Hütter zu bedenken. „Und das kann dann unter Umständen dazu führen, dass sich notwendige Veränderungen, die vorher nicht recht vom Fleck kamen, plötzlich enorm beschleunigen.“

dpa

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