Frühzeitig hat Hartmut Ganzke verkündet, dass er bei der Kommunalwahl am 14. September nicht mehr für den Kreistag kandidieren wird. Wenige Wochen später schießen erste Spekulationen darüber ins Kraut, wer dem Altvorderen der Sozialdemokraten in der traditionell größten Fraktion nachfolgen könnte.
Ganzke war zwar erst seit 2020 Fraktionsvorsitzender. Mit geballter Erfahrung aus 30 Jahren im Kreistag und mit seinen Kontakten als Landtagsabgeordneter in Düsseldorf war der Unnaer aber sehr lange Zeit so etwas wie ein Trumpfass bei den Sozialdemokraten.
„Kreis-Unna-Partei“ vor Herausforderungen
Inzwischen kursieren schon Überlegungen, wen man geeignet für eine Nachfolge hält, wie aus Kreisen zu erfahren ist, die ganz nah dran sind an der SPD im Kreis Unna: Martin Wiggermann, Norbert Enters und Jens Schmülling lauten die Namen.
In der Politik werden Ämter zumindest öffentlich erst dann an verdiente Leute aus der Partei herangetragen, wenn nach außen hin ein vertretbarer Zeitpunkt für gekommen scheint. Innerhalb der Parteien reifen Überlegungen in der Regel freilich schon deutlich früher – dieses Wahljahr bringt derart viel Ungewissheit mit sich, dass eine zu späte strategische Positionierung in personeller Hinsicht fast schon fahrlässig wäre.
Den Vorsitz der SPD-Fraktion im nächsten Kreistag innezuhaben, könnte mit dem Wissen und den Annahmen von heute ein ungleich unbequemeres Unterfangen sein, als der Job mit der dominierenden Mehrheitsfraktion im Rücken oder zumindest als Vorsitzer der mandatsstärksten Partei im Kreis Unna über viele Jahrzehnte mit sich brachte.

Denn im 50. Jahr des Bestehens des Kreises ist eine durchaus historisch zu nennende Wahlentscheidung im Bereich des Möglichen bis Wahrscheinlichen. CDU-Fraktionsvorsitzender Marco Morten Pufke ist sich zum Beispiel ziemlich sicher, dass die Christdemokraten im September mehr Stimmen und mehr Mandate in den Wahlbezirken holen werden als die SPD.
Das war Ende Oktober – inzwischen sind Kommunalwahl- und Bundestagswahl zeitlich entkoppelt. Ändert das etwas für die SPD?
Als „Kreis-Unna-Partei“ hatte der damals neu gewählte Unterbezirksvorsitzende Maik Luhmann seine SPD noch im Herbst 2022 bezeichnet. Komplett „rot färben“ wolle man den Kreis. Mittlerweile stellen sich Sozialdemokraten die Frage, in welchen Stadt- und Gemeinderäten, den Kreistag eingeschlossen, sie im Herbst 2025 überhaupt noch realistisch eine Mehrheit gewinnen können.
Starke Persönlichkeit in einem zersplitterten Kreistag
Das gilt noch mehr für die Bürgermeisterämter: Die SPD stellt gerade noch in fünf von zehn Rathäusern Verwaltungschef oder -chefin. Dass es nach der Kommunalwahl mehr sein werden, wird in politischen Kreisen heute eher bezweifelt, denn werden Wetten darauf abgeschlossen.
Insofern gilt Hartmut Ganzke, der in Unna gegen CDU-Amtsinhaber Dirk Wigant ins Rennen geht, wohl noch als einer der aussichtsreicheren Sozialdemokraten; zumal die Bewerber bei Landrats- und Bürgermeisterwahl das volle Gewicht ihrer Persönlichkeit in die Waagschale werfen werden.
Nach einer starken Persönlichkeit, so ist zu hören, wird auch für den Fraktionsvorsitz im Kreistag bereits hinter den Kulissen des SPD-Unterbezirks Ausschau gehalten – mit einer gewissen Verdichtung auf einen eingegrenzten Kreis. Ungenannt bleiben insofern übrigens die beiden aktuellen Vizes von Hartmut Ganzke: Renate Schmeltzer-Urban aus Lünen und Jens Krammenschneider-Hunscha aus Schwerte.
Ob als Anführer der stärksten Fraktion oder nicht – leichter wird es, da sind sich Vertreter bald aller Fraktionen im Kreistag einig, im nächsten Kreistag, der voraussichtlich Anfang November seine Arbeit aufnimmt, nicht.
Allgemein wird von einer noch stärkeren Zersplitterung ausgegangen. Als ziemlich sicher nehmen viele aktuelle Mandatsträger den Einzug der AfD ins Kreishaus an. Auch das Bündnis Sahra Wagenknecht hat begonnen, sich im Kreis Unna zu formieren, erste Versuche einer Organisation gab es auch schon bei der konservativen Werteunion.
Wer sich zu früh äußert, ist politisch tot
Die neue Kleinpartei Bündnis Deutschland schickt bereits für die Bundestagswahl einen Direktkandidaten im Wahlkreis Unna I ins Rennen und auch Volt wird zwischen Ruhr und Lippe wieder aktiver. Weil es bei Kommunalwahlen keine 5-Prozent-Hürde gibt, könnte der Kreistag also noch bunter als ohnehin schon werden.
Von schwierigeren Mehrheits- und Kompromissfindungen abgesehen, sind polarisierende Debatten und konfliktträchtigere Anträge da fast schon programmiert. Zutrauen, inmitten eines neuen Kreistages mit vielen Unbekannten die Stimme der SPD auch künftig vernehmbar zu erheben, würden es die Genossinnen und Genossen drei aktuellen Fraktionsmitgliedern.

Was sinngemäß von diesem Trio entgegnet wird: Wer vorzeitig seinen Namen ins Spiel bringt, ist politisch tot. Insofern winkten Norbert Enters und Jens Schmülling am Mittwoch auf eine entsprechende Frage sofort ab. „Ich bin froh, dass wir ganz viele haben, die das gut könnten“, meinte Enters, im elften Jahr im Kreistag.
Die Entscheidung über den Fraktionsvorsitz werde man ganz am Schluss treffen; er selbst wolle aber in seinem Wahlbezirk in Bönen nochmals um ein Mandat kämpfen, so der Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses.
Leiter von Ganzkes Wahlkreisbüro winkt ab
Auch Jens Schmülling will zwar am 14. September in seinem Wahlbezirk erneut antreten, der Fraktionsvorsitz sei für ihn derzeit aber kein Thema. „Ich freue mich, dass man mir das zutraut“, meinte der Bergkamener. „Es wäre aber vermessen, vor einer Wahl den Anspruch auf solche Ämter zu formulieren“, sagte der Leiter des Landtagswahlkreisbüros von Hartmut Ganzke.
Schmülling will sich in Bergkamen auch um ein Ratsmandat bewerben; zumindest wäre er im doppelten Erfolgsfall dann ehrenamtlich schon stark ausgelastet. Die Vereinbarkeit von Hauptberuf und Ehrenamt war zumindest bei Martin Wiggermann der ausschlaggebende Grund, dass er in der Vergangenheit bereits Ämter in allererster Reihe ablehnte.
Der stellvertretende Landrat und langjährige frühere Fraktions-Vize war 2020 Spitzenkandidat der SPD bei der Kreistagswahl. Allgemein und nicht zuletzt in der SPD war daher davon ausgegangen worden, er werde auch nächster Fraktionsvorsitzender.
Das hatte der Kamener vor der Wahl aber so nie ausdrücklich erklärt. Er habe nach seiner Absage, so Wiggermann im Gespräch mit unserer Redaktion am Mittwoch (8. Januar), dann aber kräftig dabei geholfen, einen Fraktionschef zu finden.
Wiggermann: Fraktionsvorsitz bedeutet Zeitaufwand
Er habe sich damals ein Meinungsbild in der SPD-Fraktion eingeholt, vor allem bei den bisherigen, erfahrenen Kreistagsmitgliedern. Am Ende war es Hartmut Ganzke, der übrig blieb – obwohl der zuvor schon einmal mit Hinweis auf die Doppelbelastung durch sein Landtagsmandat abgewunken hatte.
Blicke er auf den Zeitpunkt der Konstituierung der neuen SPD-Fraktion im nächsten Herbst, müsse er heute sagen: „Zu 99 Prozent werde ich nicht zur Verfügung stehen“, so Wiggermann.

Die Gründe dafür, den Job eines Fraktionsvorsitzenden nicht ausfüllen zu wollen, hätten sich seit 2020 nicht geändert. Damals sei es sein Beruf als Lehrer, heute seine Familie samt drei Enkelkindern, die ihm überhaupt keine Zeit dafür ließen.
„Sie haben dann ganz viele Termine, auch vormittags“, weiß der 68-Jährige. Als Lehrer hätte er sich dafür zwar freistellen lassen können, seine Kollegen an der Schule hätten ihn dann vertreten müssen. „Ich brauche eine angenehme Arbeitsatmosphäre“, sagt Wiggermann – als ehrenamtlicher Lokalpolitiker, der auf der Arbeit ständig fehlt, hätte er sich unwohl gefühlt.
Immerhin werde er sich wohl demnächst von seinem Ortsverein Heeren-Werve wieder für seinen Wahlbezirk aufstellen lassen und bei der Kreistagswahl noch einmal antreten. Ambitionen auf Ämter habe er aber nicht mehr. „Meine Zeiteinteilung sieht das nicht vor“, so Martin Wiggermann.