Manchmal flammen bei der kleinen Karla Lischka die negativen Gedanken heftig auf. „Warum ist das so, warum kann das nicht anders sein?“, fragt die Sechsjährige dann. Oder: „Warum kann das Christkind mir nicht den Wunsch erfüllen, dass ich laufen kann?“ Einmal hat das Kind auch gefragt: „Hat der liebe Gott mich bestraft?“ Karla Lischka hat Muskelschwund, spinale Muskelatrophie Typ 2.
November 2019: Die Familie erhält die niederschmetternde Diagnose, dass Karla an Muskelschwund erkrankt ist. Es folgt ein langes Ringen um das damals neue und in die Schlagzeilen geratene Medikament Zolgensma. Vor allem die Suche nach einer Klinik, die die knapp zwei Millionen Euro teure Spritze verabreicht, erweist sich als schwierig. Schließlich erhält Karla im September 2020 in der Berliner Charité die Zolgensma-Spritze. Inzwischen kämpft das Mädchen aus Herten zusammen mit seiner Familie seit gut fünf Jahren gegen die Krankheit an.
„Wir sehen kleine Erfolge“
Und wie geht es Karla heute? Ihre Mutter Jaqueline Böckmann zögert einen Moment mit der Antwort. „Für Außenstehende hat sich nicht so viel getan, Karla kann nach wie vor nicht frei laufen. Aber wir sehen kleine Erfolge. Karla krabbelt weniger, läuft mehr am Rollator, sie wird stärker, Gleichgewicht und Kraft haben sich verbessert. Vorher waren die Beine wie Pudding“, erzählt die 42-Jährige – und berichtet von einem Erlebnis, das ihr Hoffnung macht: „Vor Kurzem stand ihr Rollstuhl, den sie für längere Strecken braucht, etwas weit weg vom Auto. Und beim Umsteigen stand Karla plötzlich frei da, etwa zehn Sekunden lang. ,Guck mal, Mama!‘ hat sie glücklich gerufen. Und ich dachte: Das gibt es doch nicht.“

Zweifellos sind die Fortschritte bei Karla auch das Ergebnis regelmäßiger harter Arbeit: Der Alltag der Sechsjährigen und ihrer Mutter wird von zahlreichen Therapien mitbestimmt. 2024 waren die beiden zweimal zwei Wochen bei einer speziellen „Intensiv-Reha“ in der Slowakei, auch 2025 steht dort mindestens ein Aufenthalt auf dem Programm, ebenso wie eine Reha-Behandlung in Köln, die eine Woche lang dauert. Auch mehrere Krankenhaus-Aufenthalte gab es schon, alle vier Monate steht ein Besuch in der Berliner Charité an. Hinzu kommen jede Woche regelmäßige Physiotherapie-Termine mit und ohne Wasser, Übungen auf der Vibrationsplatte, Laufen mit Gehstützen. Auch für Jaqueline Böckmann, die noch 23 Stunden in der Woche arbeitet und zusammen mit ihrem Mann, Karla und zwei weiteren Kindern in Herten lebt, ist das ein heftiger zeitlicher Aufwand. „Das begleitet mich ständig. Aber das ist normales Programm, gehört dazu“, sagt die 42-Jährige.

Bei all den Terminen und Belastungen zeigt sich Karla als „Kämpferin“, wie ihre Mutter betont. „Sie will das, sie will das schaffen. Sie macht alles, was mit Bewegung zu tun hat, gerne, also auch die Therapien. Und sie weiß, dass das wichtig ist, erinnert sogar von sich aus an die Termine.“ Und nach einem Moment des Innehaltens fügt Jaqueline Böckmann hinzu: „Radfahren, Klettern auf dem Spielplatz: Eigentlich ist für Karla alles Training.“
Seit dem Sommer besucht die Sechsjährige die Grundschule Herten-Mitte. „Das läuft super dort, die Schule ist barrierefrei, Karla kommt gut mit, ist beliebt, hat schon Freundinnen gefunden“, berichtet Jaqueline Böckmann. In der Schule bewegt sich Karla mit Hilfe des Rollators, „damit kommt sie vom Auto in die Klasse und von dort aus auf den Schulhof. Karla hatte sich zwar zuerst wegen des Rollators geschämt, aber inzwischen ist das normal. Sie erklärt auch den anderen Kindern ihre Krankheit – dass sie nicht so starke Beine hat.“
Dennoch: „Auch im Schulalltag wird es schwierige Situationen geben“, weiß Jaqueline Böckmann – zum Beispiel mit Blick auf Ballsport und Fangspiele. „Und eine ihrer Freundinnen möchte immer Fußball spielen. Aber das kann Karla nicht, weil der Ball nicht vorne durch den Rollator geht“, berichtet die Hertenerin mit trauriger Stimme.
Zolgensma – „das war die allerbeste Entscheidung“
„Einschränkungen werden uns immer treffen“, sagt Jaqueline Böckmann realistisch – aber sie hat ihren Optimismus nicht verloren. „Wir sehen auch die andere Seite – was sich getan hat, was besser geworden ist.“ Und mit Blick auf die Zolgensma-Spritze ist sie sich sicher: „Das ist der richtige Weg, war die allerbeste Entscheidung. Karla macht weiter leichte Fortschritte und wir hoffen, dass das Ende noch nicht erreicht ist. Dass weitere Erfolge möglich sind, sagen auch die Ärzte in der Charité und die Therapeuten in der Slowakei.“
Jaqueline Böckmann weiß: „Nach der Zolgensma-Spritze gibt es unterschiedliche Entwicklungen, da ist kein Kind mit dem anderen vergleichbar.“ Und so geht es weiter: Mit Therapien und Behandlungen, mit dem Ringen um Fortschritte – in der Hoffnung auf weitere Erfolge.