Skandalschlagzeilen in der internationalen Presse, der Spitzenkandidat zwei Wochen vor der Wahl am Boden: Die AfD hat auf europäischer Ebene alles verloren, was sie sich seit ihrer Gründung aufgebaut hat. Nachdem Spitzenkandidat Maximilian Krah die SS verharmlost hatte, zog die rechtsextreme ID-Fraktion die Reißleine und warf alle AfD-Abgeordneten aus der gemeinsamen Fraktion im EU-Parlament. Die Politikerinnen und Politiker sind nun für die letzten Tage der Wahlperiode fraktionslos – wie es dann für die neuen AfDler weitergeht, ist ungewiss. Süffisant kommentierte der ebenfalls fraktionslose Satiriker Martin Sonneborn (Die Partei), man wolle die AfD-Abgeordneten auch nicht bei den Fraktionslosen haben.
Die Europa-AfD liegt am Boden, doch ihr Ende ist es offenbar nicht. Die letzten Umfragen zeigen zwar leichte Verluste, aber den harten Kern ihrer Stammwähler kann die AfD offenbar trotz aller Skandale weiterhin mobilisieren.
Allerdings gehen inzwischen immer mehr verbündete Parteien aus anderen Ländern auf Distanz. Die rechtspopulistische FPÖ aus Österreich, selbst mehrmals im Jahr mit rechtsextremen und neonazistischen Skandalen in den Schlagzeilen, schien bis vor wenigen Tagen noch fest an der Seite der AfD zu stehen. Nun gerät die FPÖ im eigenen Land zunehmend unter Druck, sich von der AfD loszusagen.
Das Fass ist übergelaufen
Marine Le Pens Rassemblement National (RN) hat dies bereits getan und damit den Stein ins Rollen gebracht, der diese Woche zum Rauswurf der AfD aus der gemeinsamen rechtsextremen ID-Fraktion im EU-Parlament führte. Schon lange wollen andere rechte EU-Politiker die ungehobelten Polterer der AfD loswerden. Krahs Verharmlosung der SS in einem Interview brachte das Fass nun zum Überlaufen. Viele Rechte haben verstanden: Wer seriös auftritt, sich zu einer konstruktiven Europapolitik und zu Kompromissen bereit erklärt, kann es auch als Rechtspopulist ganz nach oben schaffen. Le Pen hofft, mit dieser Strategie nächste Präsidentin Frankreichs zu werden, Postfaschistin Giorgia Meloni hat schon die Regierung über Italien übernommen.
Mit 15 bis 20 Abgeordneten wird die AfD in Brüssel vertreten sein, sollten die Umfrage zutreffen – und damit mit deutlich mehr als bisher. „Die zu erwartenden hohen Anzahlen an AfD-Abgeordneten nach der Wahl sind wichtige Anreize für andere Rechtsaußenparteien, trotz der Skandale mit ihr zu kooperieren“, sagt der Politikwissenschaftler Manès Weisskircher von der TU Dresden dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Falls sich Le Pen langfristig abwendet, entsteht für manche potenzielle AfD-Partner jedoch ein strategisches Problem.“ So möchte die FPÖ die Zusammenarbeit mit der antieuropäischen, fremdenfeindlichen Lega in Italien und Le Pens RN fortsetzen, fühlt sich jedoch auch der AfD verbunden. „Im Moment sitzt die Partei zwischen den Stühlen“, sagt der Experte. „Schon lange hört man aus der FPÖ unzufriedene Stimmen über die häufigen Skandale und internen Streitigkeiten der AfD.“
Von einem Rauswurf der AfD aus der gemeinsamen Fraktion profitiert Le Pen wie niemand sonst. Sollten sich die Umfragen bewahrheiten und die Französin 25 statt bisher 16 ihrer Abgeordneten nach Brüssel schicken dürfen, würde sie künftig die ID-Fraktion anführen. Ob sie dann einzelne AfDler wieder aufnehmen würde und Krah draußen lässt, ist alles andere als ausgeschlossen. Schließlich sind auch weite Teile der AfD mit Krah und Bystron hochgradig unzufrieden. „Die beiden könnten eventuell als wilde Abgeordnete im EP enden – ohne Teil der AfD-Delegation im Europäischen Parlament zu sein“, beschreibt Weisskircher ein mögliches Szenario.
Halten die übrigen Verbündeten zusammen?
Ebenso wird in Brüssel diskutiert, ob Le Pens Leute mit anderen Parteien, wie der ungarischen Fidesz oder der polnischen PiS eine neue Fraktion gründen könnten. Für die ID-Fraktion ginge es dann ums Überleben – denn wenn noch mehr Parteien austreten, verliert sie ihren Fraktionsstatus und damit Mitarbeiter und Gelder. Um eine Fraktion zu bilden, sind 25 Abgeordnete nötig, was leicht zu erreichen ist. Allerdings müssen diese aus sieben verschiedenen Ländern kommen. Allein schon für den Fraktionsstatus und um die EU weiterhin zu melken, könnten daher AfD-Verbündete wie die rechtsextreme SPD aus Tschechien oder die AUR aus Rumänien sich für die Wiederaufnahme einzelner AfDler in die Fraktion stark machen. Berührungsängste mit Krah haben diese Parteien in der Vergangenheit nicht gezeigt.
Wenn nach der Europawahl die öffentliche Aufmerksamkeit nachlasse, könnten ID-Mitglieder wieder mit der AfD kooperieren, schätzt Weisskircher. „Darüber hinaus wird es neue Rechtsaußenparteien im Europäischen Parlament geben, beispielsweise die polnische Konfederacja, mit der eine Zusammenarbeit möglich scheint.“ Auch eine Annäherung der französischen Reconquête, die als noch deutlich weiter rechts als Le Pens RN eingestuft wird, hält der Politikwissenschaftler für möglich.
In einer ultrarechten ID-Fraktion ohne RN könnte die AfD am Ende stärkste Partei werden – und Krah gar das Amt des Fraktionschefs übernehmen. Allen Skandalen zum Trotz würde er damit eines seiner großen Ziele erreichen.
RND