Dass Vorfreude die schönste Freude ist, heißt es nicht nur einfach so. An der alten Redensart ist auch eine Menge dran. Denn in der Regel ist die Vorfreude ungetrübt. Bezieht sie sich doch auf etwas, das Menschen sich erdenken, in all seiner Perfektion. Wenn das entsprechende Ereignis dann eintritt, ist es vielleicht gar nicht so toll, wie man es sich vorgestellt hat. Das trifft nicht selten auch auf die lang ersehnte Beziehung zu, weiß Paartherapeutin Jennifer Angersbach aus Unna.
Ist es die Intimität, die man sich vielleicht anders vorgestellt hat, das Leben in einer Beziehung an sich oder das Leben konkret mit dem jeweiligen Partner? Was sind die häufigsten Probleme mit falschen Erwartungen, die Menschen an dich herantragen?
Ja, es ist häufig das Leben mit allem, was dazu gehört (Sexualität, Alltag, Familienleben, Unterstützung, …), dass sich Menschen anders vorgestellt haben. Das Problem sind weniger die „falschen“ Erwartungen, vielmehr der Mangel an transparenter Kommunikation.
Ein Beispiel aus meiner Praxis: Der erste Hochzeitstag und das Kind schläft bei den Großeltern. Er plant mit seiner Frau „einen schönen Abend“. Sie dachte, der Mann habe einen Tisch reserviert, um sie auszuführen und zu verwöhnen. Er dachte, sie haben heute endlich mal wieder Sex. Weder das eine, noch das andere trat ein, stattdessen stritten sie die ganze Nacht und landeten schließlich bei mir.
Sollte man es dem Partner/der Partnerin mitteilen, wenn man „enttäuscht“ ist?
In jedem Fall! Am besten schon bevor es so weit ist, nämlich indem man klar benennt, welche Vorstellungen, Wünsche, Ansprüche und Erwartungen man an das Gegenüber, den Abend, den Urlaub oder eben auch an das Leben hat bzw. stellt.
Vorab kann es deutlich besser zu „Verhandlungen“ kommen, weil es noch keine Enttäuschung gab, aus der dann auch Vorwürfe und weitere Verletzungen entstehen können.
Dennoch lassen sich Enttäuschungen nicht gänzlich vermeiden und sollten im Idealfall unmittelbar angesprochen werden, bevor sich aus „dem Ende der (Selbst-) Täuschung“ eine Kränkung manifestiert. Wir beziehen das Verhalten des Gegenübers viel zu oft auf uns und erst dadurch tut es dann so weh.
„Ich bin traurig, ich hatte mir den Abend anders vorgestellt. Es fühlt sich so an, als sei ich dir nicht wichtig. Es klang so, als würdest du was Tolles planen.“
Die Verletzung ist da, kann aber direkt versorgt und korrigiert werden: „Und ich sehne mich so sehr nach deiner Nähe, dass ich keine Zeit im Restaurant verschwenden wollte, aber ich kann jetzt verstehen, dass du enttäuscht bist.“
Ist es sinnvoll, sich zu trennen, seine Erwartungen zurückzuschrauben, oder wie können Menschen/Paare am besten an dieser Problematik arbeiten? Im Vorfeld und in einer Beziehung.
Wer Schwierigkeiten hat, Wünsche und Bedürfnisse klar auszusprechen, geht meist – aus purer Not – davon aus, dass gewisse Dinge doch „klar“ sein müssen. Der Wunsch des Gedankenlesens ist so nachvollziehbar, gleichzeitig eine der Ursachen für Enttäuschungen.
Andersrum haben viele „gelernt“, andere nicht zu enttäuschen: „Sei ein braver Junge/braves Mädchen.“ Einer der Gründe, warum es so schwer fällt, Grenzen zu setzen und auch mal „Nein“ zu sagen oder eben Dinge einzufordern.
Dabei ist es unumgänglich, Menschen zu enttäuschen, wenn ich gut auf mich achten möchte:
- „Nein, ich schaffe es nicht, dir beim Umzug zu helfen.“
- „Ich bin zu müde, ich gehe jetzt schlafen.“
- „Ich mag Actionfilme so gar nicht, sorry!“
Wer also klar kommuniziert und eine „Enttäuschung“ langfristig eher als „Korrektur der Erwartung“ repräsentiert, muss sich weder trennen, noch muss man per se genügsamer werden.
Einsam und Dauersingle: Für Partnerlose hat Jennifer Angersbach einen simplen Tipp
Tipps von Jennifer Angersbach: Streiten Paare um Geld, geht’s auch um Wertschätzung und Macht
Neue Kolumne „Beziehungsweise“: Drei Paartherapeuten erklären uns die Liebe