Kampf gegen das Krankenhaussterben ist der falsche Weg „Wir brauchen die besten Kliniken, nicht die meisten“

Kliniken fordern mehr Geld fürs Überleben: Dabei wäre ein Krankenhaussterben gut für unserer Gesundheit
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Ulrich Breulmann.

Nächste Woche gibt es bundesweite Demonstrationen „gegen das Krankenhaussterben“. Die Krankenhäuser in Deutschland seien „so gefährdet wie nie zuvor“, schreibt die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Die Kliniken bräuchten mehr Geld, die Versorgung stehe auf dem Spiel. Wirklich? Oder ist es umgekehrt? Brauchen wir vielleicht ein Krankenhaussterben, um unsere Gesundheitsversorgung zu verbessern?

Es ist unstrittig: Ein optimales Gesundheitssystem ist für alle von überragender Bedeutung. Aber in mir regt sich massiver Unwillen, dass sich derzeit wirklich alle gesellschaftlichen Gruppen in einem Punkt einig sind: im Ruf nach mehr Geld. Jetzt also auch die Krankenhäuser.

Dabei ist die wirtschaftliche Lage vieler Krankenhäuser in der Tat mies. Laut Deutschem Krankenhausinstitut haben 43 Prozent aller Kliniken 2021 Verluste eingefahren. Das ist nicht gut, das ist zweifellos richtig. Aber löst mehr Geld das Problem wirklich?

Mehr Patienten, weniger Betten, trotzdem sinkt die Auslastung

Ein Blick in die Fakten, die beim Statistischen Bundesamt Destatis abrufbar sind, könnte bei der Antwortsuche helfen. 1991 gab es in Deutschland 2.411 Krankenhäuser, 2021 nur noch 1.887. Die Zahl der Betten pro 100.000 Einwohner sank zugleich von 832 auf 581, die Verweildauer von 14 auf 7,2 Tage. Aber es gibt mehr Patienten. Ihre Zahl stieg von 14,6 Millionen im Jahr 1991 auf 16,7 Millionen im Jahr 2021.

Mehr Patienten, weniger Betten, weniger Krankenhäuser – und trotzdem ist die Auslastung der Kliniken in den Keller gerauscht: Von 84,1 Prozent im Jahr 1991 auf jetzt 68,2 Prozent. Da liegt der Verdacht nahe, dass es noch immer zu viele Häuser und Betten gibt. Klinik-Lobbyisten halten dagegen, die kürzere Verweildauer habe zu stärkerer Belastung des Krankenhaus-Personals geführt. Außerdem fehlten Fachkräfte – gerade in der Pflege.

Zahlen und Fakten, die Krankenhaus-Lobbyisten nicht gerne hören

Ist das tatsächlich die ganze Wahrheit? Es gibt auch andere Zahlen, die weniger populär sind. So stieg die Stellenzahl der im Krankenhaus tätigen Ärztinnen und Ärzte – umgerechnet auf Vollzeitstellen – von 139.068 im Jahr 2011 auf 173.830 im Jahr 2021. Bei dem übrigen Krankenhauspersonal stieg die Zahl der Vollzeitstellen von 686.127 im Jahr 2011 auf 785.830. Letztere sind vor allem in der Pflege tätig.

Inzwischen gibt Deutschland für die Krankenhäuser 114,8 Milliarden Euro im Jahr aus, für die Gesundheitsversorgung insgesamt 474,4 Milliarden. Das sind 12,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts, also aller in Deutschland erzeugten Waren und Dienstleistungen. Kein anderes Land in Europa steckt so viel Geld in die Gesundheit. Alle anderen kommen mit weniger aus, sind aber nicht unbedingt schlechter.

Das Beispiel Dänemark

Nehmen wir Dänemark als Beispiel: Die Dänen geben nur 10,5 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts für das Gesundheitssystem aus. Dänemark hat 2,52 Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner, Deutschland 7,82.

Da könnte man vermuten, dass es den Dänen dann auch schlechter gehen muss, aber nichts da: Die Lebenserwartung beträgt in Dänemark 81,5 Jahre, in Deutschland 80,8 Jahre. In Dänemark sterben jedes Jahr 9,45 von 1.000 Menschen, in Deutschland 12,1. Von 10.000 lebend geborenen Babys sterben innerhalb des ersten Jahres in Deutschland 3,32 Babys, in Dänemark 3,16 Babys. Bei 10.000 Lebendgeburten sterben in Deutschland 7 Mütter, in Dänemark nur 4.

Dänemark hat die Zahl der Krankenhäuser drastisch reduziert auf ein Krankenhaus für 270.000 Einwohner. In Deutschland leisten wir uns eine Klinik für 60.000 Einwohner. Nach dänischen Maßstäben bräuchte Deutschland nur 330 Kliniken, mehr als 1.000 weniger als jetzt, hat Krankenhaus-Experte Prof. Reinhard Busse von der TU Berlin ausgerechnet.

In Dänemark haben die ambulante Versorgung und der Rettungsdienst einen viel höheren Stellenwert als bei uns. Viele OPs wie am Blinddarm oder Leistenbruch erfolgen dort in der Regel ambulant. Dänemark hat heute weniger, dafür aber personell und technisch viel besser ausgestattete Kliniken als früher.

Deutschlands geplante Reform: Gut, aber...

Deutschland plant ja auch eine große Reform. Künftig soll es drei Arten von Kliniken geben – Grund-, Schwerpunkt- und Maximalversorgung. Und bei der Finanzierung soll sich auch einiges ändern. Es wird nicht länger nur nach Fällen abgerechnet, sondern auch nach sogenannten Vorhaltekosten.

So hoffnungsvoll diese Entwicklung auch ist, ich fürchte, dass die Zuständigkeit der Länder für das Gesundheits- und Krankenhauswesen wieder mal zum Bremsklotz wird. Spätestens, wenn es um die Schließung eines konkreten Krankenhauses geht, sind die Proteste so sicher wie die Maß auf dem Oktoberfest: „Ja, die Reform muss sein, aber unser Krankenhaus muss bleiben.“ Weltuntergangsszenarien werden Hochkonjunktur feiern, Landtagsabgeordnete für das Haus in ihrem Wahlkreis in den Kampf ziehen.

Im Zweifel sucht man sich das beste, nicht das nächste Haus aus

Mein Eindruck: Das Krankenhaus im eigenen Ort ist für Menschen immer dann unverzichtbar, wenn es geschlossen werden soll. Wenn dieselben Menschen aber einen Klinikplatz benötigen, ist nicht das Haus am Ort ihre erste Wahl, sondern das mit der höchsten Kompetenz für einen Eingriff.

Und das ist im Prinzip ja richtig so, sagt Krankenhausforscher Busse: „Es nützt nichts, wenn Menschen in der Stadt einen kurzen Weg haben, aber im falschen Krankenhaus behandelt werden.“

Wir brauchen Mut, nicht länger in Kirchtürmen zu denken

Es wird Zeit, Abschied zu nehmen von unserem Mantra, dass eine Stadt ohne Krankenhaus keine richtige Stadt und es lebensgefährlich ist, dort zu leben. Wir brauchen eine optimierte ambulante Versorgung, einen funktionierenden Rettungsdienst, klare Klinik-Profile, weniger, dafür aber top-ausgestattete Krankenhäuser. Und wir brauchen Mut, nicht länger in Kirchtürmen zu denken. Wir brauchen die besten Kliniken, nicht die meisten.

Deshalb ist es unsinnig, einfach noch mehr Geld in ein veraltetes System zu pumpen. Statt nächste Woche zur Demo sollten die Klinik-Chefs besser nach Dänemark fahren. Dort könnten sie lernen, wie man es besser macht.

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