Das Universum ist ein ziemlich finsterer Ort. Umso dankbarer sollte man den Wissenschaftlern von der Purdue University in Indiana für diesen hellen Tupfer sein, den sie dem Planeten Erde geschenkt haben. Sie haben eine Farbe entwickelt, gegen die der Amtssitz der US-Präsidenten wie ein trüber Klotz wirkt und ein bayerischer Küchenklassiker wie Grauwurst: das weißeste Weiß der Welt. Wofür es gut ist? Sieht halt freundlicher aus. Und kann die Menschheit retten. Aber dazu gleich mehr.
Die Farbe ist eine Schöpfung des Teams um Maschinenbauprofessor Xiulin Ruan, dem Weißmacher aus West Lafayette. Bereits 2020 schufen sie einen Weißton, der 95 Prozent des Lichts reflektiert. Aber da ging noch mehr, und so legten Ruan und Kollegen nach. Ihr neues Weiß, das weißer als jedes Weiß vor ihm ist, gibt 98 Prozent der Lichtstrahlung, die auf seine Oberfläche einfällt, wieder ab. „Ihre Eigenschaften“, schrieb die „New York Times“ kürzlich über die Farbe aller Farben, „sind geradezu superheldenhaft.“
Ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft
Der weiße Riese hat es mit seinen Superheldenfähigkeiten bereits ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft. Rekorde sind sicherlich eine schöne Sache, vor allem ein überzeugendes Argument bei der Beschaffung von Drittmitteln für die Forschung. Aber das ist natürlich nicht das Ziel, das hinter der Entwicklung des weißesten Weiß steht. Es geht um seinen Nutzen für die Menschheit. Um den kühlenden Effekt. Und etwas Abkühlung hat unser köchelnder Planet durchaus nötig.
Folgt man jedenfalls den Experten von der Purdue University, kann das Weltmeisterweiß, in großem Stil aufgetragen, erstaunliche Temperatursenkungen bewirken. Oberflächen, die mit der neuen Farbe angepinselt sind, seien demnach in der Mittagssonne bis zu vier Grad Celsius kühler als die Luft, die sie umgibt, in den Abendstunden können es bis zu zehn Grad sein. Trägt man das neuartige Weiß also auf Dächer oder Fassaden auf, purzelt die Temperatur in den Gebäuden – und das senkt den Klimatisierungsbedarf von Innenräumen um bis zu 40 Prozent.
Farbe kann Alltag erträglicher machen
Hat die Menschheit da also plötzlich ein Wundermittel in der Hand und muss es nur verstreichen? Ganz neu ist die Erkenntnis nicht, eigentlich ist es nur der Wirkungsgrad der ultraweißen Laborzüchtung aus Indiana, der die große Innovation ist. Denn der Effekt, dass Weiß mehr Strahlung reflektiert als dunklere Töne und dadurch kühlt, sollte jedem bekannt sein, der mal in einem schwarzen T‑Shirt in der sengenden Sonne dahinschmorte. Gerade im mediterranen Raum setzt man seit jeher auf helle Farben, die berühmten weißen Häuschen auf der griechischen Insel Santorin sehen nicht nur so aus, weil sie ein gutes Postkartenmotiv abgeben, sondern weil sie den Menschen den Alltag in der Hitze erträglicher machen. Und in Italien wird man aus guten Gründen schräg angeguckt, wenn man als Urlauberin oder Urlauber im schwarzen Kombi über den Brenner geschossen kommt. Was weiß ist, ist eine Oase im Glutofen.

Weil es auch in Deutschland immer heißer wird, gewinnt die Sache auch hier zunehmend Bedeutung. In der Stadtplanung etwa wird es in Zukunft auf mehr Weiß ankommen, um den urbanen Wärmeinseln etwas entgegenzusetzen. Ob dann alles mit der Superfarbe, die in etwa einem Jahr Marktreife erlangen soll, angestrichen wird, mag man bezweifeln. Klar ist aber: Der Mensch muss das optisch wie klimatisch problematische Dunkel aufbrechen und mit helleren, reflektierenden Tönen fluten. In Los Angeles etwa läuft seit einigen Jahren ein Pilotprojekt mit dem Ziel, die Straßen der Millionenstadt an der US-Westküste weiß zu streichen. Auch Athen oder Wien tun etwas gegen den schwarzen Belag, der sich wie ein Netz glühender Hitzeadern durch die Städte zieht.
Kleinste Änderungen der Albedo können gravierende Folgen haben
Der Aufwand ist erheblich, aber die Rechnung ist simpel: mehr Strahlung, die die Oberfläche direkt wieder verlässt, gleich weniger Wärme. Die physikalische Größe dahinter ist die Albedo, das Maß für das Reflexionsvermögen, vom Lateinischen „albus“, weiß, heute findet sich der Wortstamm unter anderem noch im Begriff Albino. Die höchstmögliche Albedo hat also reines Weiß, das 100 Prozent der Lichtstrahlung reflektiert. Den niedrigsten Albedowert, null, hat pures, sämtliche Strahlung absorbierendes Schwarz.
Was nach grauer (und damit demnach mäßige Albedo aufweisender) Theorie klingt, ist in der Praxis von existenzieller Bedeutung für die Menschheit. Denn weil jeder Körper Strahlung reflektiert oder absorbiert, gilt das eben nicht nur für das Auto oder das Einfamilienhaus, sondern im planetaren Maßstab für die gesamte Erde. Und schon kleinste Änderungen der planetaren Albedo können Folgen fürs Klima haben. Mehr Weiß sorgt für eine Abkühlung der Erde, weil mehr kurzwellige, die Atmosphäre durchdringende Strahlung zurück ins Weltall gegeben wird. Weniger Weiß bedeutet: Es wird wärmer.

Weiß ist also nicht weniger als die Schicksalsfarbe allen Lebens auf der Erde. Und die Bedingungen für das Leben sind durch die Erdzeitalter hindurch immer wieder durch sie erschüttert worden. Die Wissenschaft kennt dafür den Begriff der Eis-Albedo-Rückkopplung: Wird es, zum Beispiel durch Veränderungen in der Zusammensetzung der Atmosphäre, kälter, dehnt sich auf der Erde die Eisfläche aus. Eis hat eine hohe Albedo, es wird also noch kälter, wodurch sich die vereiste Fläche weiter ausbreitet. Ein sich selbst verstärkender Prozess wird in Gang gesetzt, mehrfach hat er die Erde in einen kompletten Schneeball verwandelt.
Für den umgekehrten Prozess braucht es Einflüsse wie Vulkanausbrüche, Verschiebungen der Erdachse – oder das Aufkommen einer mehr oder weniger intelligenten Lebensform, die Unmengen gebundener Klimagase in die Atmosphäre bläst. In dieser Phase befinden wir uns, der Rückgang der Gletscher reduziert die globale Albedo gerade zusehends, was nach gängiger Forschungsmeinung die Erderwärmung noch weiter beschleunigen wird. Es wird also Zeit für einen erneuten Umschwung, für mehr Weiß, zumindest ein bisschen.
Eine halbe angemalte Sahara würde die Erderwärmung stoppen
Und damit zurück zur Superfarbe von der Purdue University. Würde man sie – oder vergleichbare Weißtöne – auf einem bis zwei Prozent der Erdoberfläche aufbringen, heißt es in einer 2019 in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Joule“ publizierten Studie der University of California, würde die Erderwärmung augenblicklich stoppen. Man müsste, so die Berechnungen, nur mal eben etwas mehr als die Hälfte der Sahara mit dem weißesten Weiß der Welt anpinseln. Es kann so einfach sein.
Natürlich ist das nur eine Spielerei, niemand wird das wagen, die Folgen für die Natur wären auch kaum absehbar, vermutlich wären sie desaströs. Klar ist aber, dass etwas mehr Weiß der Welt guttun würde, zumindest punktuell. Auch wenn das die Menschheit nicht aus der Verantwortung entlässt, ihre Emissionen weiter zu senken und nach Klimaneutralität zu streben.
Wie in Armageddon, nur ohne Bombe
Das weißeste Weiß wird nicht allein der berüchtigte Gamechanger sein. Trotzdem macht es sich im Instrumentenkasten der Weltrettung ganz gut: Falls vielleicht mal ein Asteroid auf Kollisionskurs ist – diese Idee gibt es in der Wissenschaft tatsächlich –, könnte man ihm durch den interplanetaren Raum entgegenfliegen und ihn auf einer Seite weiß anmalen. Der Druck, der von der reflektierten Sonnenstrahlung ausgeht, stößt ihn dann aus der Bahn.
Wie im Hollywoodstreifen Armageddon, nur ohne Bombe. Es braucht nicht mehr als Bruce Willis und einen Eimer mit der mächtigsten Farbe der Welt: Weiß.
RND
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