Prof. Dr. Anders Levermann (50) zählt zu den renommiertesten Klimafolgenforschern in Deutschland. Er hat am UN-Klimabericht mitgeschrieben, für den der Weltklimarat 2007 den Friedensnobelpreis erhielt. Auf Einladung der Sparkasse Unna-Kamen kam Levermann am Donnerstag (26.1.) nach Fröndenberg in den Kreis Unna. Im Interview spricht er über den Klimawandel als Bedrohung für unsere Demokratie, über naheliegende und verrückt klingende Wege aus der Krise – und über seine Sicht der ewigen Tempolimit-Debatte.
Herr Levermann, seit ich Familie habe, sehe ich viele Dinge anders. Oder anders ausgedrückt: Früher habe ich mir weniger Sorgen gemacht. Heute frage ich mich oft: Wird die Welt für meine Kinder in 20, 30, 40 Jahren noch so lebenswert sein, wie sie für uns heute ist. Welche Antwort haben Sie darauf?
Wichtig zu wissen ist: Das, was in den nächsten 20 Jahren in Bezug auf den Klimawandel passiert ist, haben wir schon verursacht. Das heißt, das können wir gar nicht mehr verändern. Das bedeutet aber für Ihre Kinder natürlich, wenn sie in ihr Erwachsenenleben starten, dann beginnt das wichtig zu werden, was wir jetzt entscheiden. Beim Klimawandel – und das wird häufig falsch dargestellt – geht es nicht um das Überleben der Menschheit, sondern meine größte Sorge in Bezug auf den Klimawandel ist, dass wir irgendwann keine Demokratie mehr in Deutschland haben.
Inwiefern bedroht der Klimawandel unsere Demokratie?
Der Klimawandel entfacht insgesamt Druck auf unsere Gesellschaft, vor allen Dingen über die Wetterextreme. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, wir hätten in den USA Hurrikan Katrina und Hurrikan Sandy im gleichen Jahr gehabt wie die große Schneekatastrophe von New York bis Chicago und dann auch noch die Dürre im Mittleren Westen. Und dann die Trump-Regierung. Dann fangen Sie an sich zu fragen: Wo schicke ich die Hilfslieferung hin? Und dann fängt die Gesellschaft an sich gegenseitig auseinander zu nehmen. Oder übertragen auf Deutschland das Jahrhundert-Hochwasser an der Elbe und gleichzeitig eine Sturmflut an der Nordseeküste und dann das gleich im nächsten Jahr nochmal. Und wir schaffen es nicht mehr, zwischen den Katastrophen aufzuräumen. Das ist das Szenario, das uns erwartet, wenn wir den Klimawandel einfach weiter laufen lassen.

Also ist der Klimawandel eine Bedrohung für unsere Wirtschaft, für unseren Wohlstand und letztlich auch für das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft durch diese massiven Schäden, die er verursacht?
Ganz genau. Migration wird in diesem Zusammenhang auch ein noch größeres Thema werden. Wir hatten in Syrien zum Beispiel drei Jahre in Folge eine Dürre und dann ist die Syrienkrise ausgebrochen. Ich kann natürlich nicht vorhersagen, wo wir in diesem Jahr eine Dürre erleben. Aber ich kann Ihnen versprechen, dass diese Wetterextreme immer stärker und immer häufiger vorkommen werden.
Wir wissen seit Langem um die Gefahren des Klimawandels und mittlerweile nimmt das Thema zumindest in Deutschland auch breiten Raum in den Medien und politischen Debatten ein. Trotzdem kommt vieles kaum oder nur langsam voran, zum Beispiel der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Wie sehr nervt Sie das?
Na ja, wir müssen uns bewusst machen, dass Klimaschutz nicht kompliziert ist. Es geht darum, Öl, Gas und Kohle nicht mehr zu verbrennen. Fertig. Das ist natürlich nicht mal so eben zu machen. Aber es bedeutet einfach, dass wir unsere Energieversorgung umstellen müssen. Das ist alles, was wir machen müssen. Und wir haben dafür 20 Jahre Zeit.
Das Problem ist groß und es ist weltweit. Deswegen ist das so existenziell, dass wir das jetzt anfangen. Wenn wir es vor zehn Jahren angefangen hätten, wäre es billiger gewesen. Aber jetzt müssen wir es jetzt anfangen. In 20 Jahren müssen wir alle unsere Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen. Das Wichtigste, was jeder Einzelne nach meiner Auffassung tun muss, ist zu sagen: Eine Partei, die nicht alles dafür tut, dass wir in 20 Jahren klimaneutral sind, die wähle ich nicht mehr.
Ich sehe ein, dass wir in einer demokratischen Gesellschaft lange Zeit brauchen, um das Problem zu lösen. Aber jetzt muss es langsam angekommen sein. Was wir nicht machen dürfen – und das wird immer gemacht von Leuten, die wollen, dass alles so bleibt wie es ist –, ist, das Problem zu verkomplizieren. Das Problem ist nicht kompliziert: Wir müssen aufhören, Öl, Gas und Kohle zu verbrennen.
Ist es tatsächlich so einfach, dass wir „nur“ die fossilen Energieträger durch den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien ersetzen müssen? Sie scheinen nicht zu denjenigen zu gehören, die sagen: Wir müssen uns jetzt wahnsinnig einschränken und vieles verbieten, was schädlich fürs Klima ist…
Ich bin gegen Mikromanagement. Viele assoziieren mit Umweltfragen Regulation. Also dass jemand den Menschen sagt, was sie machen dürfen, und das lehnen viele ab. Ich glaube, man sollte nur das verbieten, was man tatsächlich nicht mehr will. Das heißt zum Beispiel: Sie verbieten nicht das Fliegen, sondern Sie verbieten, CO2 auszustoßen. Also das, was tatsächlich das Problem ist, und nicht das, was indirekt damit zu tun hat. Wenn Leute es schaffen zu fliegen ohne CO2 auszustoßen, sollen sie fliegen. Das Reisen von A nach B ist nicht das Problem, es kommt auf die Energieform an.

Gefühlt wöchentlich wird in Deutschland über die Einführung eines Tempolimits auf den Autobahnen diskutiert. In dieser Woche hat das Umweltbundesamt eine neue Studie veröffentlicht, wonach sich Einsparmöglichkeiten von 6,7 Millionen Tonnen CO2 im Jahr durch ein Tempolimit ergeben würden. Wie stehen Sie dazu?
Prinzipiell würde ich gerne nur die Dinge verbieten, die tatsächlich das Problem sind. Beim Tempolimit ist es so: Ich finde, man sollte ein Tempolimit einführen, weil es gefährlich ist, schnell zu fahren. Das wäre für mich der Hauptgrund. Es ist aber auch so, dass ein Tempolimit direkt den CO2-Ausstoß verringert.
Wenn man schnell den CO2-Ausstoß verringern möchte, kann man ein Tempolimit einführen. Ich finde, das ist keine Härte für Leute, etwas langsamer zu fahren. Aber ich würde gerne dahin kommen, dass wir das eigentliche Problem als Begründung nehmen, wenn wir etwas verbieten. Beim Tempolimit ist es das schnelle Fahren. Ich kann auch mit einem Elektroauto schnell fahren, verursache in dem Moment aber keine Emissionen.
Eines der großen Probleme infolge der Erderwärmung ist der globale Anstieg des Meeresspiegels. Sie haben vor einigen Jahren untersucht, ob sich der Anstieg stoppen ließe, indem man Wasser auf die unbewohnte Antarktis pumpt. Das klingt ziemlich verrückt. Könnte man das umsetzen?
Ich glaube, man kann das umsetzen. Die Frage ist, ob man das will. Die Situation ist wie folgt: Wir haben in den letzten 100 Jahren 20 Zentimeter Meeresspiegelanstieg beobachtet. Wir kriegen in diesem Jahrhundert ungefähr einen Meter. Auf lange Sicht kriegen wir fünf Meter Meeresspiegelanstieg. Das bedroht Hamburg, New York, Shanghai, Kalkutta… Sie können jede Region der Welt nehmen und finden eine Millionen-Stadt, die vom Meeresspiegelanstieg bedroht ist.
Das Erste ist, der Gesellschaft klar zu machen, dass wir gerade unser Kulturerbe aufgeben. Noch ein anderes Beispiel dazu: Wenn wir drei Grad globale Erwärmung bekommen, dann verliert die USA 10 Prozent ihres Landes an den Meeresspiegel. Man muss sich nur mal vorstellen, was los wäre, wenn irgendein anderes Land käme und den USA sagen würde: Wir nehmen euch jetzt 10 Prozent von eurem Land weg, dann wäre die Hölle los.
Aber das ist einfache Physik: Der Ozean dehnt sich aus, wenn es wärmer wird und das Eis schmilzt. Wir wissen, dass das passiert. Darauf aufbauend, stellt sich die Frage: Wie kann man diesen Meeresspiegel- Anstieg stoppen? Und das kann man, indem man das Wasser wegbewegt. Die Antarktis ist ein Kontinent, fundamental anders als der Nordpol. Es ist ein Kontinent, der so groß ist wie Nordamerika. Dort ist es sehr kalt. Das Eis ist dort vor Hunderttausenden Jahren drauf geschneit. Das heißt, wenn wir da was drauf pumpen, dann bleibt es da für eine Weile.
Weil es dann sofort gefriert und eine neue große, dicke Eismasse bildet.
Genau, aber das ist zugleich auch das größte Problem, das bei minus 50 Grad technisch zu machen. Was wir (am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Anm. d. Red.) in unserem Antarktismodell herausgefunden haben, ist, dass wir das Wasser 700 Kilometer ins Innere des Kontinents pumpen müssten, damit es 1000 Jahre wegbleibt. Wenn wir es an die Küste kippen würden, wäre es innerhalb von zehn Jahren wieder im Ozean.
Unsere Studie hat vor allem gezeigt, welche wahnwitzige Dimension der Meeresspiegelanstieg jetzt schon hat. Wir haben jetzt gerade fünf Millimeter Meeresspiegelanstieg pro Jahr. Als wir die Studie gemacht haben, hatten wir dreieinhalb Millimeter. Wenn Sie diese dreieinhalb Millimeter Meeresspiegelanstieg pro Jahr wegpumpen wollen, dann brauchen Sie dafür ein Fünftel der Weltenergieproduktion, die sie neu schaffen müssten in der Antarktis, nur um das Wasser vier Kilometer hoch auf den Eisschild zu pumpen. Und damit haben sie das Wasser noch gar nicht warmgehalten und ins Landesinnere gebracht.
Das demonstriert, wie monströs dieser Meeresspiegelanstieg jetzt schon ist, auch wenn wir ihn kaum spüren. Aber es ist eine riesige Masse, weil der Weltozean einfach so groß ist. Wir haben da etwas in Gang gesetzt, das wir nicht mehr gestoppt kriegen. Und je höher wir die Temperatur steigen lassen, desto schlimmer wird es.

Auch im Kreis Unna haben die Menschen in den vergangenen Jahren extreme Wetterereignisse erlebt. Nicht nur im Ahrtal, sondern auch hier in Fröndenberg sind im Juli 2021 viele Häuser buchstäblich „abgesoffen“. Im vergangenen Jahr wüteten im Raum Paderborn/Lippstadt Tornados. Erleben wir derart heftige Unwetter nun jedes Jahr?
Ich kann keine Wettervorhersage für die nächsten Jahre machen. Aber wir wissen, dass eine wärmere Atmosphäre im allgemeinen mehr Wasserdampf enthält, und deshalb wissen wir auch, dass die starken Niederschlagsereignisse zunehmen werden.
Neben den Klima-Veränderungen, denen wir ein Stück weit ausgeliefert sind, geht es auch darum, unser Wohnumfeld anzupassen an Starkregen-Ereignisse oder länger anhaltende Hitzeperioden. Was raten Sie den Verantwortlichen in den Rathäusern: Wie bekommen wir unsere Städte klimafit?
Wir müssen uns auf Unvorhersehbarkeit anpassen. Wir werden mehr Hitzetage haben, aber auch mehr plötzliche Kälteeinbrüche. Wenn Häuser gut gedämmt sind, ist das für beide Szenarien gut. Mit Blick auf die Städte gilt es sich auf Starkregen, aber auch Dürren einzustellen. Da ist die Idee der Schwammstadt interessant. Also das Wasser nicht möglichst schnell über Kanäle abzuleiten, sondern vom Boden gesichert aufzusaugen wie ein Schwamm, damit es dann in der Dürreperiode wieder zur Verfügung stehen kann.
Wenn man sich täglich mit den Klimaveränderungen beschäftigt, die sehr bedrohlich wirken und auch Ängste auslösen können, wie schafft man es, trotzdem positiv zu bleiben und nicht zu verzweifeln?
Ich bin theoretischer Physiker und liebe es, Dinge herauszufinden. Das macht mir wahnsinnig Spaß. Es gibt mir einen Kick, etwas herauszufinden, was sonst noch keiner weiß. Außerdem bin ich aufgewachsen mit der Bedrohung durch einen Atomkrieg, der die gesamte Menschheit ausrotten könnte.
Der Klimawandel ist eine enorme Bedrohung aber er wird nicht die gesamte Menschheit ausrotten. Jede Generation hat ihr Problem, das gelöst werden muss. Unseres ist das Klimaproblem. Es muss unbedingt gelöst werden und ich glaube, dass wir die Klimakrise lösen können, wenn wir nur nicht nachlassen.
Also wenn wir es schaffen, die CO2-Emissionen auf null zu bringen, keine Kohle, kein Gas, kein Öl mehr zu verbrennen, dann lösen wir die Klimakrise?
Ja, dann ist sie gelöst… Und dann gehen wir das nächste Problem an.
- Dr. Anders Levermann ist Professor für die Dynamik des Klimasystems am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und am Physikalischen Institut der Universität Potsdam. Zudem ist er seit 2015 Wissenschaftler an der Columbia University in New York.
- Levermann forscht sowohl zu physikalischen Kippprozessen im Klimasystem als auch zu den ökonomischen Folgen von Wetterextremen und deren Veränderung durch den Klimawandel. Er ist einer der führenden Experten zu Meeresspiegelveränderungen. Seit 2004 trägt er zu den Berichten des Weltklimarates bei.
- Levermann studierte Physik in Marburg, Kiel und Berlin und promovierte am Weizmann Institute in Israel. Er hat bis heute über 130 Fachpublikationen veröffentlicht.