Die Rad-WM im schottischen Glasgow wurde am 6. August von Klimaprotesten überschattet. Das Rennen musste für fast eine Stunde unterbrochen werden, weil sich Demonstranten der Klimabewegung „This is Rigged“ (Deutsch: „Das ist manipuliert“) auf der Strecke festgeklebt hatten.
Für die deutsche Nationalmannschaft fuhr mit Michel Heßmann auch ein Ex-Fahrer des RSV Unna bei der WM mit. Der 22-Jährige bekam die Protestaktion aus erster Hand mit und erinnert sich an den Moment, als das Rennen unterbrochen werden musste.
„Ich war etwas weiter hinten im Feld und habe von Weitem gesehen, dass es vorne plötzlich nicht mehr weiterging“, erzählt der Radprofi. Zunächst sei allen unklar gewesen, was passiert sei – „erst habe ich gedacht, dass die Schienen blockiert waren“, so Heßmann.
Nach einiger Zeit habe sich dann herumgesprochen, dass sich Klimaaktivisten auf der Strecke festgeklebt hätten. „Erst haben wir mit zehn Minuten Unterbrechung gerechnet, am Ende war das Rennen dann fast eine Stunde lang pausiert“, erzählt Heßmann weiter.
Eine schwierige Situation für die Radprofis, deren Kreislauf und Stoffwechsel sich an die plötzliche Pause erst einmal gewöhnen mussten. „Du musst schauen, dass du in so einer Situation den Fokus behältst und nicht unterzuckerst“, sagt Michel Heßmann.
Außerdem habe er stark darauf achten müssen, seine Position nicht zu verlieren. „Der ein oder andere macht sich einen Scherz daraus, in der Pause an Leuten vorbeizugehen und sich so vorzudrängeln. Das macht jeder so ein bisschen, da muss man sehr wachsam sein“, erklärt der frühere Fahrer des RSV Unna.
Ärger bei den Radprofis
Im Fahrerfeld habe es während der Pause große Aufregung über die Klimaaktivisten gegeben. „Viele haben sich extrem echauffiert, und das kann ich irgendwo auch verstehen“, sagt Michel Heßmann.
„Wenn es einen aus dem Rhythmus bringt oder sogar einen Nachteil fürs weitere Rennen verschafft, kann ich natürlich verstehen, dass man erst einmal sauer über so eine Aktion ist“, erklärt der Profi.
Zuspruch für die Aktivisten
Doch Heßmann selbst hat vorrangig Zuspruch für die Aktion der Klimabewegung übrig. „Wir Profisportler sind die Letzten, die sich über so etwas beschweren dürfen“, findet der 22-Jährige. „Wir tun alles, um unsere persönlichen Ziele zu erreichen und uns selbst darzustellen, egal, was das für Auswirkungen auf die Gesellschaft hat“, so der Radsportler.
Und Heßmann geht sogar noch einen Schritt weiter. „Wir müssen uns fragen, ob es noch zeitgemäß ist, einen Sport so von der Gesellschaft tragen zu lassen“, findet der Profi.

Zwar sei der CO2-Abdruck des Profiradsports deutlich harmloser als der vieler anderer Sportarten. Der Ressourcenaufwand sei dennoch enorm. „Es fließen viele Gelder, es werden viele Materialien für unsere Ausstattung verwendet. Und wir Profisportler fliegen auch deutlich mehr als eine durchschnittliche Person“, zählt Heßmann auf.
„Nicht den kleinen Mann treffen“
Doch ist ein solcher Klimaprotest ausgerechnet bei einer Rad-WM nötig, deren Ressourcenverbrauch im Vergleich zu anderen Sportevents fast verschwindend gering erscheint? Heßmann hat auch dazu eine klare Meinung.
„Ich finde es gut, wenn solche Protestaktionen bei Sportevents vollzogen werden, wo es eine große Bühne gibt. Gerade auch international, wo diese Proteste bis jetzt noch nicht so häufig passieren wie in Deutschland“, sagt der deutsche Fahrer.

Klimaproteste sollten nicht „den kleinen Mann treffen“, sondern dort stattfinden, wo eine große mediale Aufmerksamkeit generiert werden könne, so Heßmann.
„Wenn sich jemand an irgendeiner zufälligen Berliner Straße festklebt und der ganz normale Handwerker deswegen nicht zur Arbeit kommt, kann man das hinterfragen“, findet der 22-Jährige. „Man muss sich dann die Frage stellen, ob man damit zu viele Leute unwiderruflich abstößt und ob es eventuell Stellen geben könne, bei denen man besser mit Protest ansetzen sollte“, so Heßmann weiter.
Helfen die Klimaproteste weiter?
Doch die bereits bekannte Frage bleibt: Tragen derartige Klimaproteste wie bei der Rad-WM dazu bei, das Bewusstsein für den Klimaschutz in der Gesellschaft zu stärken? Oder führen sie sogar eher zu einer gegenteiligen Reaktion?
„Die Leute, die sowieso schon nicht viel von Klimaschutz halten, verstärken ihre negative Einstellung durch solche Aktionen wahrscheinlich noch mehr“, findet Michel Heßmann. „Mein Eindruck ist aber auch, dass sich bei dem ein oder anderen, der sich mit dem Thema noch nicht so viel beschäftigt hat, durch die Aktionen ein gewisses Bewusstsein und ein Verständnis für den Klimaschutz entwickelt“, so der Radprofi weiter.
Bereits bei Tour de France Proteste
Das Festkleben bei der WM in Schottland war übrigens nicht die erste Protestaktion von Klimaaktivisten im Radsport. Bereits im vergangenen Jahr hatte die deutsche Klimabewegung „Letzte Generation“ die Tour de France gestört.
„Wenn so etwas bei einem meiner Rennen nochmal passiert, hoffe ich, dass mir mein rationales Ich während des Rennens sagt: ‚Hallo, es gibt größere Probleme auf der Welt als diese Unterbrechung‘“, sagt Michel Heßman.