Kindergrundsicherung kommt nach langer Diskussion Was Familien wissen müssen

Von Lukas Fortkord, Stella Venohr und Jörg Ratzsch
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Im monatelangen Streit über die Einführung einer Kindergrundsicherung hat sich die Regierungskoalition nach den Worten von Familienministerin Lisa Paus auf das weitere Vorgehen geeinigt. „Jetzt haben wir Klarheit, jetzt gibt es ein Einvernehmen“, sagte die Grünen-Politikerin in den ARD-„Tagesthemen“. „Die Kindergrundsicherung kommt. Am Ende des Sommers wird ein Gesetz im Kabinett beschlossen. Und es wird tatsächlich Leistungsverbesserungen geben“, sagte Paus. Dabei habe sie Kanzler Olaf Scholz (SPD) an ihrer Seite. Es gehe nun in der Koalition nur noch um „kleine Dinge, die miteinander zu klären sind“.

Zu den veranschlagten Kosten, die seit Monaten strittig sind, wollte sich Paus nicht konkret äußern. Die von Finanzminister Christian Lindner (FDP) im Finanzplan für 2025 eingestellten zwei Milliarden Euro seien lediglich ein „Platzhalter“. Am Ende werde es wohl eine Summe zwischen diesen zwei und den von ihr veranschlagten zwölf Milliarden Euro sein.

Paus: „Das ist die Klarheit, die wir brauchen“

Zu der Einigung sagte Paus: „Das ist die Klarheit, die wir brauchen, damit wir effektiv Kinderarmut in Deutschland bekämpfen können.“ Es sei nicht hinzunehmen, dass jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut aufwächst. „Damit müssen wir Schluss machen.“

Nach Paus‘ Angaben werden die Kabinettsmitglieder der Grünen nun dem Bundeshaushalt am Mittwoch zustimmen. Eine Kopplung des Haushalts mit der Kindergrundsicherung sei wichtig gewesen, um Bewegung in diese Diskussion zu bringen, sagte die Grünen-Politikerin in einem RTL/ntv-Interview. „Jetzt habe ich den klaren Auftrag und die klare Aussage, dass die gesamte Regierung hinter der Kindergrundsicherung steht, und auch dahinter, dass es Leistungsverbesserungen geben wird mit der Kindergrundsicherung. Und deswegen: Ja, wir werden morgen dem Haushalt zustimmen.“

Scholz an Paus: Alternativen erarbeiten

Scholz hatte an Paus geschrieben, bis Ende August solle ein innerhalb der Bundesregierung geeinter Entwurf vorliegen. Entlang der Eckpunkte solle das Familienministerium den neuen Gesetzentwurf nun zügig erarbeiten beziehungsweise ergänzen.

Finanzminister Lindner verwies in der „Bild“-Zeitung darauf, dass die Regierung die Förderung von Familien schon massiv ausgebaut habe. „Das setzen wir fort. Aber irgendwann stellt sich die Frage, ob zusätzliches Geld nicht besser an die Schulen gehen sollte statt auf das Konto der Eltern.“

In dem Brief von Scholz heißt es zu möglichen Leistungsverbesserungen, Paus solle Alternativen erarbeiten - darunter eine, die ausschließlich den Kindersofortzuschlag beinhalte, sowie verschiedene weitere, die das „soziokulturelle Existenzminimum“ für Kinder neu berechne. Gleiches gelte für den Pauschalbetrag des Bildungs- und Teilhabepakets. Weiter heißt es, die Ressortabstimmung sollte zeitnah eingeleitet werden - so, dass das Kabinett sich Ende August damit befassen könne.

Kindergrundsicherung: Fragen und Antworten

Die Ampel-Koalition will mit der Einführung einer Kindergrundsicherung die Chancen für alle Kinder verbessern und Armut bekämpfen. Dafür sollen verschiedene staatliche Leistungen für Kinder und Familien mit Kindern gebündelt werden. Sozialverbände, Kinderschutz- und Familienorganisationen fordern das seit langem. Nach der Sommerpause sollen die Details für das Vorhaben nun vorgelegt werden.

Was ist die Kindergrundsicherung?

Bisher gibt es verschiedene Leistungen für Familien mit Kindern. Beispielsweise das monatliche Kindergeld oder den Kinderzuschlag für Menschen mit geringen Einkommen. Die Leistungen müssen aber teilweise bei verschiedenen Behörden auf unterschiedlichen Wegen beantragt werden - oft ist Familien gar nicht bewusst, dass sie einen Anspruch haben.

Nach Schätzungen des Bundesfamilienministeriums erreicht der Kinderzuschlag nur etwa jedes dritte anspruchsberechtigte Kind. Rechnerisch gehen demnach etwa 1,5 Millionen Kinder leer aus. Die neue Kindergrundsicherung soll dieses Chaos bündeln - und die staatlichen Leistungen für Kinder und Familien einfacher und übersichtlicher machen.

Und warum ist sich die Regierung bei dem Projekt nicht einig?

Wenn alle berechtigten Familien ihnen zustehende Leistungen auch erhalten, wird das mehr Geld kosten. Das ist weitgehend unstrittig. Darüber hinaus wollen aber vor allem die Grünen in der Ampel durchsetzen, dass Leistungen auch erhöht werden, um mehr gegen Kinderarmut im Land zu tun. Finanzminister Christian Lindner (FDP) pocht dagegen darauf, nach den teuren Corona- und Inflations-Entlastungspaketen die Staatsausgaben wieder stärker zu begrenzen und verweist auf bereits erfolgte Erhöhungen bei Bürgergeld, Kindergeld und Kinderzuschlag.

Unabhängig vom Finanzstreit - wie soll die Kindergrundsicherung aussehen?

Die Kindergrundsicherung soll zwei Bestandteile haben. Einen Garantiebetrag, der für alle Kinder gleich ist, unabhängig davon, wie viel die Eltern verdienen. Er soll mindestens die Höhe des jetzigen Kindergelds, also 250 Euro, betragen. Angedacht ist, dass Kinder, die erwachsen sind, aber noch studieren oder in der Ausbildung sind, diesen Garantiebetrag direkt bekommen. Der zweite Teil richtet sich dann nach dem Elterneinkommen und ist ein Zusatzbeitrag. Je weniger die Eltern verdienen, desto höher soll er ausfallen.

Wie setzt sich der Zusatzbeitrag zusammen?

Der soll das bisherige Kinder-Bürgergeld ersetzen, also das, was Familien im Bürgergeldbezug monatlich für ihre Kinder bekommen. Auch der heutige Kinderzuschlag von maximal 250 Euro, der an Familien geht, die zwar kein Bürgergeld bekommen, aber nur sehr wenig Einkommen haben, soll in diesem Zusatzbeitrag aufgehen. Das gilt auch für Teile des sogenannten Bildungs- und Teilhabepakets. Damit werden Kinder aus ärmeren Familien finanziell bei Musikunterricht, Sportverein oder Klassenfahrten unterstützt. Mit der Kindergrundsicherung soll möglichst eine Anlaufstelle künftig dafür zuständig sein, dass Familien ihnen zustehende Leistungen unbürokratisch erhalten.

Was heißt das praktisch?

Nach den bisherigen Plänen von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) soll dafür ein digitales Kindergrundsicherungsportal entstehen - also eine Seite, auf der alle Leistungen beantragt werden können. Über einen „Kindergrundsicherungs-Check“ sollen Familien außerdem aktiv darauf hingewiesen werden, dass sie möglicherweise Ansprüche auf weitere Zahlungen haben. Aus der bisherigen Holschuld der Bürger solle eine Bringschuld des Staates werden, so das Familienministerium. Die genaue Höhe der Zahlungen steht - siehe Finanzstreit - noch nicht fest.

Und wann kommt die Kindergrundsicherung?

Die Einführung ist für 2025 geplant. Im Bundeskabinett soll das entsprechende Gesetz nach den Sommerferien auf den Weg gebracht werden. Dann wird klarer, wie das Projekt konkret ausgestaltet wird. Aber auch das ist nicht das letzte Wort. Wie bei jedem Gesetz wird auch darüber anschließend im Bundestag noch über weitere Details verhandelt, bevor es beschlossen wird.

dpa