Kein Job, keine Schule, keine Ausbildung 630.000 junge Leute lungern herum - unfassbar

Kein Job, keine Schule, keine Ausbildung: 630.000 junge Leute lungern nur herum - unfassbar
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Ulrich Breulmann

Wissen Sie, was „NEETS“ sind? Ich wusste es bis gestern nicht, aber hinter dieser Abkürzung verbirgt sich eine Bankrotterklärung für das Bildungssystem in unserem Land. „NEETS“ ist die Abkürzung für das englische „Not in Employment, Education oder Training“. Frei übersetzt handelt es sich also um Menschen, die weder einen Job haben, noch sich in einer schulischen oder beruflichen Ausbildung befinden.

Von diesen NEETS gibt es in Deutschland (Stand 2022) 630.000 junge Menschen in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen. Sie haben keinen Job, besuchen keine Schule oder Uni und absolvieren keine Ausbildung, 630.000 NEETS also, noch einmal 38.000 mehr als im Jahr 2019.

Diese Zahlen stehen in einer Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, die in diesen Tagen veröffentlicht wurde. Es sind schockierende Zahlen. Erleben wir nicht gerade in wirklich allen Sparten unserer Wirtschaft einen eklatanten Fachkräftemangel? In Kitas, Krankenhäusern und Pflegeheimen, bei Installateuren, Dachdeckern und Maurern, in der Gastronomie und Hotellerie – überall werden Fachkräfte händeringend gesucht. Und dann das: 630.000 NEETS.

Das Märchen vom „Akademikerwahn“

Oft ist zu hören, dass eine Ursache für den Mangel an Fachkräften die fehlende Bereitschaft von Abiturientinnen und Abiturienten sei, eine Ausbildung zu beginnen. Die drängten lieber an die Hochschulen. In Handwerk und Industrie kursiert das böse Wort vom „deutschen Akademikerwahn.“

Mit Fakten hat der angebliche „Akademikerwahn“ allerdings nichts zu tun, denn exakt das Gegenteil ist der Fall. Das belegt die neue Bertelsmann-Studie ebenfalls. Starteten im Jahr 2011 noch 35 Prozent aller Abiturientinnen und Abiturienten eine Ausbildung, kletterte dieser Anteil bis zum Jahr 2021 auf 47,5 Prozent.

2,3 Millionen Menschen zwischen 20 und 35 gelten als „ungelernt“

Die Zahl der Auszubildenden mit Abi in der Tasche steigt also. Und warum fehlen dann trotzdem so viele Fachkräfte, während gleichzeitig 630.000 junge Leute ohne Job, Schule oder Ausbildung dastehen?

Die Antwort darauf wirft ein erschreckendes Licht auf unser Bildungssystem. Die neue Studie zitiert auf dem Weg zu einer Antwort den Berufsbildungsbericht des Bundes aus dem Jahr 2020. Danach haben 15,5 Prozent der 20- bis 35-Jährigen in Deutschland – das sind 2,3 Millionen Menschen – keine abgeschlossene Berufsausbildung. Sie gelten als „ungelernt“.

Zwei Drittel der Jugendlichen, die keinen Schulabschluss haben, haben auch keine Ausbildung. Selbst von den Jugendlichen mit einem Hauptschulabschluss haben ein Drittel keine Ausbildung absolviert. Und das liegt nicht daran, so ist der Studie zu entnehmen, dass es keine Ausbildungsplätze gäbe.

Auch hier ist das Gegenteil der Fall. Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze steigt, weil es zu wenig qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber für sie gibt. So kommt es, dass 2021 mit 706.000 rund 77.000 Ausbildungsverträge weniger unterzeichnet wurden als zehn Jahre zuvor, 2011.

Bildungs-Debakel ist ein gesellschaftliches Desaster

Diese Studie lässt nur einen Schluss zu: Unser Bildungssystem schafft es nicht, leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler so fit zu machen, dass sie eine Ausbildung erfolgreich absolvieren könnten. Das ist nicht nur für die Betroffenen selbst eine Katastrophe, da sie schon in jungen Jahren auf einen Hilfsarbeiter-Job im Niedriglohnsektor festgetackert werden.

Das ist auch ein gesellschaftliches Desaster, weil wir eben in allen Bereichen der Gesellschaft auf Nachwuchs angewiesen sind. Wir können es uns schlichtweg nicht leisten, Millionen junger Menschen als „ungelernt“ und „nicht in den qualifizierten Arbeitsmarkt integrierbar“ abzuschreiben.

16faches Herumdoktern mit ideologischem Gezänk

Was zu tun ist? Ich weiß es nicht, aber eines scheint mir sonnenklar zu sein: Seit Jahren fahren die deutschen Schulen immer wieder schlechte Noten ein. Seit Jahren doktern Bildungs-Experten und -Politiker in 16 Bundesländern 16mal an denselben Problemen herum, suchen 16mal Antworten auf dieselben Fragen. Und beharken sich dabei noch gegenseitig mit ideologischem Gezänk. Was soll das?

Warum bündelt man nicht die Kräfte und konzentriert sich zusammen auf ein gemeinsames Ziel: Wie schaffen wir es, dass unsere Schulen unsere Kinder so fit machen, dass möglichst viele und deutlich mehr als bisher von ihnen keine Probleme haben, eine Ausbildung erfolgreich abzuschließen?

Wenn wir diese Frage nicht rasch und überzeugend beantworten, steuert unsere ganze Gesellschaft auf schlimme Zeiten zu. Und das gilt für alle Bereiche.

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