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Kaum Tageslicht und harte Arbeit - in den Zechen schufteten auch zehntausende Grubenpferde
Abschied vom Bergbau
Sie gehören zum Ruhrgebiet wie Kohle und Stahl - die Grubenpferde malochten in den Zechen an der Seite der Bergleute. Trotzdem sind sie fast in Vergessenheit geraten.
Stark, schlau, gutmütig und unerschrocken mussten sie sein und sie trugen Namen wie Erich, Seppel, Tobias und Nurmi – rund 100 Jahre lang haben zehntausende Grubenpferde einen schnellen Arbeitsablauf in den Zechen und eine starke Produktivität im Ruhrbergbau ermöglicht. Bereits am Anfang ihrer „Karriere“ um 1882 ersetzten 2200 Grubenpferde allein im Ruhrbergbau rund 15.000 Förderleute. Ihren ersten Einsatz hatten die Vierbeiner in den Essener Zechen Helene Amalie und Victoria Mathias.
Wie stark ihre Bedeutung für die Region war, unterstreicht Dr. Ulrike Gilhaus, Leiterin des LWL-Museumsamtes für Westfalen: „Ohne sie wäre der Anschluss an die Industrialisierung nicht möglich gewesen.“ In anderen Ländern habe man schon früher damit begonnen, Pferde in den Zechen einzusetzen. „Um konkurrenzfähig zu bleiben, hat man schließlich die gleichen Mechanismen genutzt.“
In Tiefbauzechen blieben Pferde oft in unterirdischen Stallungen
Die Tiere hatten viele Aufgaben: Sie brachten abgebaute Kohle zum Schacht und nahmen Steine in die andere Richtung mit, um damit Hohlräume zu füllen. Ebenso brachten sie Holz oder später auch Maschinen an den Ort des Einsatzes.

Dr. Ulrike Gilhaus, Leiterin des LWL-Museumsamtes für Westfalen, hat mit ihrem Buch „Kumpel auf vier Beinen – Grubenpferde im Ruhrbergbau“ die wohl umfangreichste populärwissenschaftliche Arbeit zu diesem Thema verfasst. © LWL-Industriemuseum
Beim herkömmlichen Stollenbetrieb mit horizontaler Erschließung konnten die Pferde täglich wieder ans Tageslicht gebracht werden. Bei den Tiefbauzechen mussten die Pferde mit viel Einfühlungsvermögen vom Pferdeführer auf den Korb gebracht werden und fuhren wie die Bergleute ein, allerdings langsamer. Schließlich blieben die Pferde in den unterirdischen Stallungen. Doch trotz der artfremden Haltung und der widrigen Bedingungen unter Tage bestätigen Aufzeichnungen von Veterinären einen zumeist guten Zustand der vierbeinigen Kumpel.
Doch das war nicht immer so. „Bis um 1920 waren die Tiere immer wieder schrecklichen Misshandlungen und äußerster Brutalität ausgesetzt, auch wenn dies die Arbeitsordnung untersagte und bei Verstoß schwerwiegende Strafen drohten“, so Gilhaus, die mit ihrem Buch „Kumpel auf vier Beinen – Grubenpferde im Ruhrbergbau“ die wohl umfangreichste populärwissenschaftliche Arbeit zu diesem Thema verfasst hat.
„Die Bergleute wurden selbst lange Zeit schlecht behandelt und das Pferd stand ganz unten in der Hierarchie.“ Man habe das Tier schlicht nicht als Lebewesen, sondern als Maschine gesehen und „maßlos drangsaliert“.
Mit dem Einzug einer Sozialpolitik auf den Zechen nach zahlreichen Ausständen, änderte sich auch die Einstellung zu den Grubenpferden. Man habe erkannt, dass das Menschenwohl und das Tierwohl miteinander zusammenhängen. „Sind die Bedingungen für die Arbeiter gut, werden sie auch die Tiere besser behandeln.“
Erste Forderungen, das Grubenpferd auch aus ethischen Gesichtspunkten abzuschaffen, blieben bei internationalen Tierschutzkongressen in Wien und Florenz ohne Durchschlagskraft. Die erste Tierschutzverordnung, die 1933 in Kraft trat, verbesserte die Situation der Tiere jedoch maßgeblich.
Kopfschutz für die Vierbeiner
Um das Risiko von Verletzungen zu senken, wurde ihnen beispielsweise fortan ein Kopfschutz angelegt und engmaschige Kontrollen von niedergelassenen Tierärzten dokumentierten den Gesundheitszustand. Auch wurde die Versorgung der Pferde festgeschrieben und Weideurlaub „genehmigt“. Mit dem „Bergmannsfreund“, einem Ratgeber zur Bekämpfung von Unfallgefahren im Steinkohlebergbau, wurde außerdem der gute Umgang mit den Pferden unter Tage gelehrt.
Trotzdem kam es häufig zu Verletzungen und auch Notschlachtungen. Eingesetzt wurden Tiere verschiedener Rassen und Größen, eingekauft wurden sie aus ganz Europa. Besonders gefragt waren wegen ihrer Gutmütigkeit, Kraft und Genügsamkeit die Pferde aus Island. „Die isländischen Ponys sind stärker und kräftiger als die Shetland-Ponys, besitzen alle guten Eigenschaften derselben noch in erhöhtem Maße und sind deshalb unter allen Umständen vorzuziehen“, heißt es in einem Schreiben eines Bonner Ingenieur-Büros an die Einkaufsabteilung der Firma Hoesch.
In den engen und niedrigen Nebenstrecken kamen hauptsächlich Shetland-Ponys zum Einsatz. Da sie nur schwer hinunter und heraufzubringen waren, verblieben sie oft bis zu ihrem Tod in der Grube.
Landwirte und Verleihfirmen stellten die Tiere bereit
Die Tiere gehörten übrigens meistens nicht den Zechen. Sie wurden zunächst von Landwirten und später von Verleihfirmen zu Verfügung gestellt. Im Ruhrgebiet teilten sich drei große Firmen das Geschäft mit den Grubenpferden. Dabei galt die Firma W. Bischoff in Gelsenkirchen mit rund 13.000 Grubenpferden als wohl „größter Pferdestall der Welt“.
Die Gebrüder Van Eupen aus Essen besaßen 2500 Tiere, gefolgt von der Dortmunder Firma Franz Wiechers mit 1000 Pferden, die ihren Standort unweit der Westfalenhallen gehabt haben soll. Die Unternehmen stellten das nötige Zubehör wie Geschirre und Decken und die Zechen kümmerten sich um Verpflegung sowie das nötige Personal.
Eines der letzten Grubenpferd im Revier: Tobias
Der Preis eines Tieres richtete sich nach seiner Transportleistung
In den Verträgen zwischen Zechen und Firmen ist genau festgehalten, in welchem Zustand sich die Tiere befinden, wie alt sie sind sowie wer bei Unfällen und Krankheiten für den Schaden und die Versorgung aufkommen muss. Der Preis eines Tieres richtete sich nach seiner Transportleistung, die im Durchschnitt mit 35 bis 50 Tonnenkilometern angegeben wurde. Diese wird nach der transportierten Masse und der dabei zurückgelegten Strecke bemessen. Auch die Anzahl der Schichten pro Pferd waren geregelt – auch wenn es meistens vorkam, dass die Tiere mehr Schichten arbeiteten, als festgelegt.
Die Zeche entschädigte die Verleiher für kranke, verletzte, arbeitsunfähige Tiere, aber auch im Falle einer Tötung kam sie für den Verlust auf. Die Einsatzzeit der Grubenpferde lag im Schnitt bei vier bis sechs Jahren.
Ab den 50er-Jahren seien sie schließlich zum Freund und zu etwas Besonderem für die Bergleute geworden, erzählt Ulrike Gilhaus. „Es ist ein Thema und Mythos, der die Menschen auch heute emotional packt.“
Einer, der sich mit den Geschichten rund um das Grubenpferd auskennt, ist Horst Höfer. Er begann 1947 seine Ausbildung auf der Zeche Caroline in Holzwickede und arbeitete aufgrund seiner Erfahrung in der Landwirtschaft als Pferdejunge unter Tage.
Bergmänner und Grubenpferde schufteten Seite an Seite
„Von Liebe kann ich nicht sprechen, aber die Tiere wurden doch zu Arbeitskollegen, die genauso mit den Bedingungen zu kämpfen hatten wie wir“, so der heute 87-Jährige, der in Unna ein kleines Stollenmuseum betreibt.

Horst Höfer begann 1947 seine Ausbildung auf der Zeche Caroline in Holzwickede und arbeitete aufgrund seiner Erfahrung in der Landwirtschaft als Pferdejunge unter Tage. © Udo Hennes
Seinen vierbeinigen Kumpel habe er auch ab und an verwöhnt, denn das Futter bestand hauptsächlich aus Dreschresten und Melasse und das sei sehr eintönig gewesen. „Man konnte ihnen schon eine Freude machen, wenn man von Zuhause eine Zuckerrübe oder ein Päckchen Heu mitbrachte“, erzählt er. Vor der ersten Schicht seien die Pferde gestriegelt, eingeschirrt und die Strecke vorbereitet worden. „Meistens erkannten die ihren Jungen morgens schon am Gang und wieherten ihm entgegen.“
Zehn bis zwölf Wagen hätten die Pferde ziehen können. Zählen konnten sie aber nicht, so wie es einer der vielen Bergbau-Mythen andeutet. „Wenn es zu schwer wurde, verweigerten sie schon mal. Aber meistens standen sie stramm in der Kupplung, sodass das gar nicht möglich gewesen wäre.“
Auch die weitverbreitete Mär, die Vierbeiner seien in den Gruben fast allesamt erblindet, kann Horst Höfer nicht bestätigen. Die Zechen seien schließlich keine Blindenanstalt gewesen. „Die Pferde mussten genauso sehen können, wie wir Bergleute auch“. Auch Ulrike Gilhaus bestätigt in ihrem Buch, dass die Grubenpferde überwiegend nicht blind waren, es unter Umständen jedoch passieren konnte, dass sie ihr Augenlicht verloren.
Letztes Grubenpferd des Reviers ging 1966 in Rente
Doch genau diese Legenden sowie zahlreiche Gedichte und Erinnerungen sind es, die heute hauptsächlich noch an das Grubenpferd erinnern und es rückblickend romantisch verklären. „Wenn wir uns heute mit unseren Zeitzeugen erinnern, berichten sie von einer Zeit, als die Ära der Grubenpferde bereits ging und die Bindung zu ihnen emotional stark ausgeprägt war. Diese Tiere sind heute ein Symbol, das eine Brücke zu vergangenen Zeiten schlägt“, sagt Ulrike Gilhaus.
Tobias, das offiziell letzte Grubenpferd des Reviers, ist 1966 medienwirksam auf der Zeche General Blumenthal in Recklinghausen in Rente geschickt worden. Abseits der Öffentlichkeit verbrachte der Schimmel Seppel noch zwei weitere Monate in Bochum in der Dunkelheit, bis auch er schließlich an das Tageslicht zurückkehrte.