Kein Geld für Klima statt Corona Verfassungsgericht kippt zweiten Nachtragshaushalt 2021

Kein Geld für Klima statt Corona: Karlsruhe stoppt Etatänderung 2021
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Update, 15.11., 11.45 Uhr: Nach Einschätzung der Umweltschutzorganisation Greenpeace ist das Urteil ein „herber Rückschlag für den Schutz des Klimas“. „Nun rächt sich, dass die Ampel den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft von Anfang an mit finanzpolitischen Taschenspielertricks bezahlen wollte“, beklagte der geschäftsführende Vorstand von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser. Kredite, neue Steuern und der Abbau klimaschädlicher Subventionen dürften nun keine Tabus mehr sein.

Die Entscheidung des Verfassungsgerichts bezieht sich auf den Haushalt 2021. Wegen der Notfallsituation während der Corona-Pandemie hatte der Bund diesen in Form einer Kreditermächtigung um 60 Milliarden Euro aufgestockt. In solch außergewöhnlichen Situationen oder auch bei Naturkatastrophen ist es trotz Schuldenbremse möglich, Kredite aufzunehmen. Am Ende wurde das Geld nicht für die Bewältigung der Pandemie und ihrer Folgen gebraucht. Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP wollte das Geld daher für den sogenannten Klima- und Transformationsfonds nutzen und schichtete es mit Zustimmung des Bundestages rückwirkend um - allerdings erst im Jahr 2022.

Gericht: Zusammenhang nicht gegeben

Das Gericht stellte nun klar, dass es einen Zusammenhang zwischen der außergewöhnlichen Notsituation und den mit dem Geld bezahlten Maßnahmen geben müsse. Dies habe der Gesetzgeber hier nicht ausreichend deutlich gemacht, sagte die Vorsitzende Richterin Doris König. Sie verwies auf die wiederholte Inanspruchnahme der Möglichkeit notlagenbedingter Kreditmittel und den Umstand, dass die zunächst für erforderlich erachteten Kreditermächtigungen zum Ende des Haushaltsjahres nicht zur Krisenbewältigung verwandt worden sind.

Außerdem dürften die einem Sondervermögen infolge von Notsituationen zugeführten Mittel nur in demjenigen Haushaltsjahr eingesetzt werden, für das sie bereitgestellt wurden. Auch müsse das Parlament einen Nachtragsentwurf bis zum Jahresende beschließen. „Die faktisch unbegrenzte Weiternutzung von notlagenbedingten Kreditermächtigungen in nachfolgenden Haushaltsjahren ohne Anrechnung auf die „Schuldenbremse“ bei gleichzeitiger Anrechnung als „Schulden“ im Haushaltsjahr 2021 ist demzufolge unzulässig“, so das Gericht.

Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg hatte bei der mündlichen Verhandlung im Juni gesagt, die Schuldenbremse brauche eine wirkliche Bremswirkung, damit nicht immer wieder Vorratskassen angelegt und Verwendungszwecke geändert würden. Auch in Notlagen müsse klar sein, wo der Spielraum des Staates für Kreditermächtigungen ende, ergänzte der Bevollmächtigte der Union, Karsten Schneider.

Dagegen argumentierten Vertreter der Regierung, infolge der Pandemie habe die Volkswirtschaft geschwächelt, auch private Investitionen hätten angestoßen werden müssen. Mit der Umschichtung des Geldes habe ein Stück weit Verlässlichkeit für Investitionen geschaffen werden sollen. Parallel zur Verhandlung erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), eine Entscheidung gegen den Nachtragshaushalt würde Deutschland wirtschaftspolitisch hart treffen.

Update, 15.11., 10.10 Uhr: Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass der Bund zur Bekämpfung der Corona-Krise gedachte Gelder nicht für den Klimaschutz nutzen darf. Die Änderung des Nachtragshaushalts 2021 sei verfassungswidrig, verkündete das höchste Gericht Deutschlands am Mittwoch in Karlsruhe. Es gehe um die Wirksamkeit der Schuldenbremse, sagte die Vorsitzende Richterin des Zweiten Senats, Doris König, bei der Verkündung. Die Unionsfraktion im Bundestag hat damit erfolgreich gegen das Umschichten geklagt. (Az. 2 BvF 1/22)

Wegen der Notfallsituation während der Corona-Pandemie hatte der Bund den Haushalt 2021 nachträglich in Form einer Kreditermächtigung um 60 Milliarden Euro aufgestockt. In solch außergewöhnlichen Situationen ist es trotz Schuldenbremse möglich, Kredite aufzunehmen.

Am Ende wurde das Geld aber nicht für die Bewältigung der Pandemie und ihrer Folgen gebraucht. Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP wollte das Geld daher für den sogenannten Klima- und Transformationsfonds nutzen und schichtete es mit Zustimmung des Bundestages 2022 rückwirkend um. 197 Abgeordnete der Unionsfraktion im Bundestag klagten dagegen in Karlsruhe, weil aus ihrer Sicht auf diese Weise die Schuldenbremse umgangen wird.

Der Zweite Senat musste sich mit einer neuen Thematik befassen. Dabei ging es unter anderem darum, ob eine Kreditermächtigung auch wirtschaftliche Krisenfolgen abdecken darf und wann nachträgliche Haushaltsänderungen beschlossen werden müssen.

Kritik aus der Union

Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg hatte bei der mündlichen Verhandlung im Juni gesagt, die Schuldenbremse brauche eine wirkliche Bremswirkung, damit nicht immer wieder Vorratskassen angelegt und Verwendungszwecke geändert würden. Auch in Notlagen müsse klar sein, wo der Spielraum des Staates für Kreditermächtigungen ende, ergänzte der Bevollmächtigte der Union, Karsten Schneider.

Dagegen argumentierten Vertreter der Regierung, infolge der Pandemie habe die Volkswirtschaft geschwächelt, auch private Investitionen hätten angestoßen werden müssen. Mit der Umschichtung des Geldes habe ein Stück weit Verlässlichkeit für Investitionen geschaffen werden sollen. Parallel zur Verhandlung erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), eine Entscheidung gegen den Nachtragshaushalt würde Deutschland wirtschaftspolitisch hart treffen.

In einer Eilentscheidung im November 2022 hatte das Gericht grünes Licht gegeben - auch mit Blick auf Verbraucherinnen und Verbraucher. Denn würde das Ganze gestoppt, stellte es sich später aber als verfassungsgemäß heraus, wäre der Schaden etwa in Form von Strompreiserhöhungen womöglich groß, hieß es zur Begründung.

Im anderen Fall - wenn also erstmal alles wie geplant weiterläuft - würde der Bundeshaushalt mit maximal 60 Milliarden Euro belastet. Es sei davon auszugehen, dass diese Summe nicht bis zur Entscheidung in der Hauptsache ausgeschöpft werde, hatte das Gericht dazu mitgeteilt.

Erstmeldung, 15.11., 7 Uhr: In den nächsten Tagen zurrt der Bundestag den Etat für 2024 fest - doch vorher droht ein haushaltspolitischer Beschluss aus Corona-Zeiten die Ampel-Regierung einzuholen. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet heute über den zweiten Nachtragshaushalt von 2021.

Auf dem Spiel stehen hohe Milliardensummen, die die Bundesregierung eigentlich schon fest für den Klimaschutz eingeplant hat. Das Urteil könnte ein riesiges Finanzierungsloch reißen - und Förderprogramme für Heizungstausch, Sanierung und Halbleiterindustrie gefährden.

Was ist das für Geld?

Das Jahr 2022 hatte schon begonnen, als die Ampel-Koalition noch einmal 60 Milliarden Euro im Bundeshaushalt des Vorjahres verschob. Kredite, die eigentlich zur Bekämpfung der Corona-Pandemie gedacht waren, aber nicht gebraucht wurden, sollten in den Klimaschutz gesteckt werden. Das Geld wurde nachträglich in den Energie- und Klimafonds gebucht - ein Sondervermögen, das inzwischen Klima- und Transformationsfonds heißt (KTF) und wirtschaftlich getrennt vom sonstigen Haushalt verwaltet wird. Aus diesem Fonds bezahlt die Regierung langfristige Investitionen für mehr Klimaschutz.

Wer hat dagegen geklagt - und mit welchen Argumenten?

Mitglieder der oppositionellen Unionsfraktion zogen vor Gericht. Sie kritisierten, die Bundesregierung lade sich auf Vorrat die Taschen voller Geld und umgehe so bewusst die Schuldenbremse im Grundgesetz. Das sei nicht ehrlich, denn ohne das Geld aus dem Sonderfonds müssten für die Klimaprojekte an anderer Stelle viele Milliarden eingespart werden. Der Bundesrechnungshof hat die Umschichtung ebenfalls als „verfassungsrechtlich zweifelhaft“ bezeichnet. Es werde nicht schlüssig begründet, warum zur Corona-Bekämpfung gedachtes Geld für den Klimaschutz zweckentfremdet werde. Der Klimawandel müsse mit den normalen Haushaltsregeln bewältigt werden.

Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Umwidmung?

Haushalts-Staatssekretär Werner Gatzer sieht keine Zweckentfremdung. Nach der coronabedingten Delle könne die konjunkturelle Entwicklung auch mit Hilfe von Investitionen in den Klimaschutz angekurbelt werden, argumentierte er. Die nachträgliche Zuweisung sei deshalb zu rechtfertigen, weil es sonst eine mehrmonatige Verzögerung gegeben hätte.

Hat das Gericht in der Sache nicht schon entschieden?

Vor einem Jahr lehnte das Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag der Unionsfraktion ab, mit dem die Verwendung der 60 Milliarden vorläufig eingeschränkt werden sollte. Das war aber noch keine Entscheidung der Streitfrage an sich. Bei der mündlichen Verhandlung im Juni ließen die Richterinnen und Richter keine Tendenz erkennen, stellten aber viele Fragen zu zeitlichen Fristen bei der Etatplanung und der Verhältnismäßigkeit bei der Aufnahme von Krediten. Richterin Sibylle Kessal-Wulf beispielsweise fragte schon einleitend, ob es für Sondervermögen ein eigenes Regime geben könne und dürfe.

Welche Folgen könnte das Urteil haben?

In den Ampel-Fraktionen sieht man mehrere mögliche Szenarien. Erklärt das Gericht die Übertragung der Kredite für rechtens, gibt es keinen Handlungsbedarf. Möglich wäre auch, dass die Richter der Regierung quasi auf die Finger hauen - und zwar, indem sie das Vorgehen zwar nicht eindeutig für rechtswidrig erklären, aber strengere Vorgaben für ähnliche Situationen in der Zukunft machen.

Größer wären die Konsequenzen, wenn das Gericht die Umwidmung der 60 Milliarden Euro für ungültig erklärt. Dann stünde das Geld im KTF nicht mehr zur Verfügung. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte im Juni gesagt, das würde Deutschland wirtschaftspolitisch hart treffen. Es würde bedeuten, „dass uns der Fußboden weggezogen wird, auf dem wir versuchen, die wirtschaftliche Situation in Deutschland zu stabilisieren“.

Was wird aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert?

Der Sondertopf neben dem Haushalt ist in den vergangenen Monaten zur Allzweckwaffe der Bundesregierung geworden. Er beinhaltet Programme für mehr Klimaschutz, für die Ansiedlung von Zukunftstechnologien und die Entwicklung hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Finanziert werden zum Beispiel Fördermittel für die klimafreundliche Sanierung von Wohnhäusern und den Austausch alter Öl- und Gasheizungen. Bürger und Unternehmen werden aus dem Fonds bei den Strompreisen entlastet. Weitere Mittel fließen in Elektromobilität, Wasserstoffwirtschaft, den Ausbau von Schienenwegen. Auch staatliche Fördergelder für die Ansiedlung großer Halbleiter-Fabriken wie die des US-Chipherstellers Intel in Magdeburg kommen aus dem KTF.

Ist das alles schon im nächsten Jahr in Gefahr?

Nein, nicht unmittelbar. Für das Jahr 2024 sollte nach Einschätzung aus den Ampel-Fraktionen so oder so genügend Geld im Sondervermögen sein. Bis 2027 sind bisher allerdings Programmausgaben von mindestens 211,8 Milliarden Euro geplant. Die dürften ohne die 60 Milliarden nicht alle zu stemmen sein. Wollen Habeck und Finanzminister Christian Lindner (FDP) sie nicht streichen, müssen sie anderswo Geld herbekommen.

Gibts noch ein viertes Szenario?

Ja, das verursacht bei den Haushältern noch größere Sorgenfalten. Im Bundestag hält man es für möglich, dass die Verfassungsrichterinnen und -richter die Buchungssystematik allgemein infrage stellen. Im Moment kann der Bund durch Sondervermögen quasi die Schuldenbremse umgehen und sich zusätzliche Ausgabenspielräume verschaffen. Das höchste deutsche Gericht - so die Befürchtung - könnte aber entscheiden, dass Abflüsse aus den Sondervermögen unter die Schuldenbremse fallen. Das würde Lindner vor größere Probleme stellen, denn aktuell unterhält der Bund 29 Sondervermögen mit Verschuldungsmöglichkeiten in Höhe mehrerer Hundert Milliarden Euro.

dpa