Was früher Fußball- oder Tennisverein waren, ist bei Jugendlichen heute oft die Muckibude: Trainingsplatz und Treffpunkt zum Sehen und Gesehenwerden gleichermaßen. Anstelle von Sportstars sind dabei Influencer die Idole, denen nachgeeifert wird, wie der Sportsoziologe Thomas Alkemeyer sagt. „Influencer sind eine der großen Triebkräfte des Trends.“ Hinzu komme, dass die Verbreitung von Bildern des eigenen Körpers durch die Selfie-Schwemme in sozialen Medien explodiert sei - und darauf wolle man möglichst gut aussehen.
Jugendliche wollen etwas selbst bestimmen
„Der Körper ist zum wichtigen Statussymbol, zur Visitenkarte geworden“, erklärt Alkemeyer. „Mit einem schlanken, durchtrainierten Körper zeige ich, dass ich Selbstdisziplin und mein Leben unter Kontrolle habe.“ Jugendliche hätten allgemein wenig Gestaltungsmacht und nähmen die aktuellen Zeiten als sehr unsicher wahr. „Kraftsport bietet ihnen die Chance, zumindest etwas selbst zu bestimmen, sich und anderen zu beweisen, dass man fähig ist, etwas zu gestalten.“ Das könne selbstsicherer machen.
Dennoch gibt Alkemeyer zu Bedenken, wie stark Ich-bezogen der Kraftsport sei und dass es um das äußere Erscheinungsbild gehe. Beim Mannschaftssport hingegen spielten auch andere Werte und Persönlichkeitsfacetten wie die Fähigkeit, Teammitglieder zu motivieren, eine große Rolle. Gemeinsam mit anderen ein gelungenes Zusammenspiel zu feiern, berühre auf ganz besondere Art und Weise.
„Zwar trifft man auch im Fitnessstudio auf Gleichgesinnte, aber es dürfte sicher nicht schaden, den Kraftsport mit einer Mannschaftssportart zu kombinieren“, so Alkemeyer. „Allzu stark um sich selbst beziehungsweise den eigenen Körper zu kreisen, kann Vereinsamungstendenzen verstärken.“ Einsamkeit sei ohnehin schon eines der zentralen Probleme unserer gegenwärtigen Gesellschaft. „Und das betrifft zunehmend auch Jugendliche.“
Weg vom Vereinssport hin zum Einzelsport
Die Deutsche Sportjugend (dsj) im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) kam in der 2023 vorgestellten Datenerhebung „MOVE“ zum Ergebnis, dass Kraftsport inzwischen zu den am häufigsten ausgeübten Sportaktivitäten bei 13- bis 17-Jährigen zählt. 43 Prozent der Jungen und 12 Prozent der Mädchen dieser Altersgruppe spielen demnach Fußball, 18 Prozent der Jungen und 23 Prozent der Mädchen schwimmen - und 29 Prozent der Jungen sowie 24 der Mädchen widmen sich in ihrer Freizeit Kraft- und Fitnesssport. Der Anteil an Sportvereinsmitgliedern bei Heranwachsenden ist den Daten zufolge in den letzten zehn Jahren deutlich gesunken.
Influencer machen Werbung für fragwürdige Präparate
Besonders Kraftsport-Influencer würden den Kindern als Idole gelten. Neben ihren Muskeln zeigen diese oft auch ein Proteinpräparat. Ihr Taschengeld müssen normal trainierende Teenager dafür aber nicht ausgeben, wie Heinz Kleinöder von der Deutschen Sporthochschule Köln betont: „Es ist gar kein Problem, sich ausreichend Protein über die Ernährung zu besorgen, über Quark zum Beispiel. Das muss man sich nicht teuer kaufen.“ Zudem lasse sich bei Nahrungsergänzungsmitteln oft nicht abschätzen, welche potenziell gefährlichen Stoffe womöglich enthalten sind.
Vor hochdosierter Zufuhr einzelner Aminosäuren in Form von Präparaten warnt auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Es gebe Hinweise, dass es dann zu einer Unterversorgung mit anderen Aminosäuren oder zu neurologischen Störungen kommen kann.
Krankhaftes Streben nach Muskeln
Beim Trend zu Proteinriegeln, -pulver und ähnlichem gibt es noch einen weiteren Aspekt: Junge Menschen, die mehrere solcher Muskelaufbaupräparate verwenden, zeigen einer im Fachmagazin „PLOS Mental Health“ vorgestellten Studie zufolge häufiger Anzeichen einer sogenannten Muskeldysmorphie.

Betroffene streben über exzessives Training und muskelorientierte Ernährungsgewohnheiten pathologisch nach mehr Muskulosität, wie das Forschungsteam um Kyle Ganson von der University of Toronto erläutert. Schulische Belange und Freundschaften drohen vernachlässigt zu werden. „Es gibt Jugendliche, bei denen sich das ganze Leben um die Gestaltung des eigenen Körpers zu drehen beginnt“, sagt auch Alkemeyer. Ein speziell von Kraftsport ausgehendes Risiko sieht er hier aber nicht. „Das kann bei anderen Sportarten auch passieren, vor allem im Hochleistungssport.“
Krafttraining kann gesund sein
Dennoch betont auch Kleinöder, dass gegen Krafttraining bei Heranwachsenden aus gesundheitlicher Sicht prinzipiell erstmal nichts einzuwenden sei. „Mit viel Bewegung sollte man grundsätzlich so früh wie möglich anfangen.“ Mit korrekt ausgeübtem Kraftsport werde man stabiler, die Knochendichte nehme zu und die Motorik verbessere sich, erklärt der Sportmediziner vom Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik.
dpa/feab