Ist eine Polin die vermisste Maddie McCann? „Den DNA-Test kann man sich sparen“

Ist eine Polin die vermisste Maddie McCann?: „Den DNA-Test kann man sich sparen“
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„Ich bin Madeleine McCann“ lautet der Profilname einer jungen Frau aus Polen auf Instagram. Erst wenige Tage alt ist der Account, doch einzelne Videos wurden schon 2 bis 2,5 Millionen Mal angeschaut. Julia, über deren Nachnamen es verschiedene Angaben gibt, vergleicht auf ihrem Profil Bilder der seit 2007 verschwundenen Maddie McCann mit eigenen Fotos. Augenpartie, Nase, Flecken im Gesicht – Ähnlichkeiten sollen so sichtbar werden. Auch wenn ihr Accountname anderes vermuten lässt, schreibt sie, dass sie sich nicht sicher ist, aber gerne Klarheit hätte, ob sie Maddie McCann ist.

Nun rätseln die Menschen auf Social Media, Zehntausende Kommentare haben ihre Beiträge. Die einen sind sich sicher, dass die Ähnlichkeit nicht zu leugnen ist, die andere, dass es sich keinesfalls um Maddie McCann handelt. Wieder andere vermuten, dass die Polin, die laut Unterlagen 21 Jahre alt ist, eines der anderen vermissten Kinder ist. Julia wolle, so sagt sie, einen DNA-Test machen, den ihr die Polizei sowohl in Polen als auch in Großbritannien bisher verweigert – dabei hätten Maddies Eltern bereits zugestimmt.

Ist eine Polin wirklich Maddie McCann? Gesichtserkennung schließt es aus

„Es ist nahezu ausgeschlossen, dass diese Frau Maddie McCann ist“, sagt Christian Fehrlin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), „zu 99 Prozent“. Fehrlin ist CEO und Gründer von Ava-X, einem Hersteller von Gesichtserkennungssoftware aus der Schweiz.

Am Dienstag lädt er Kinderfotos von Madeleine McCann, ein Kinderfoto von Julia sowie aktuelle Fotos von Julia in der Software hoch. Es dauert keine Sekunde, bis die Maschine das Ergebnis ausspuckt: Die Software sieht eine größere Ähnlichkeit zwischen Maddie und dem ehemaligen japanischen Premierminister Shinzo Abe als zwischen Maddie und Julia. Für die Software ist so abwegig, dass es sich bei Maddie McCann und Julia um die gleiche Person handelt, dass Julias Foto nicht einmal beim Vergleich aufgelistet wird.

„Den DNA-Test kann man sich in dem Fall sparen“

Die Software erkennt, was einige Social-Media-Userinnen und ‑User schon vermutet haben: Die Nasenpartie ist anders, die Augenbrauen habe eine andere Form, die Augen sind bei Maddie McCann deutlich weiter auseinander als im Gesicht von Julia. Auch wenn ein DNA-Test nach wie vor die sicherste Variante ist, eine Person eindeutig zu identifizieren, weil die Gesichtserkennung bei eineiigen Zwillingen an die Grenzen kommt. Aber Fehrlin, dessen Software nach eigenen Angaben eine Genauigkeit von 99,83 Prozent hat, sagt: „Den DNA-Test kann man sich in dem Fall sparen.“

Gesichtserkennung ist ein Baustein bei der Identifizierung von Menschen. Biometrische Daten sind bei Menschen individuell. Gesichtsmerkmale, Fingerabdruck, die Form der Ohren, ja, sogar die Gangart ist eindeutig zuzuordnen. Während sich der Mensch im Laufe der Zeit äußeren Umständen angepasst hat, etwa in Sachen Körperhaltung, unterscheiden sich die Gesichter von Menschen mehr denn je zuvor, fanden Forscher der University of California in Berkeley heraus, wie „Forschen und Wissen“ berichtet.

Gesichtserkennung trotz Bart, Sonnenbrille und Gewichtszunahme

Das Programm, das Fehrlin mit seiner Firma entwickelt hat, wird immer wieder dazu genutzt, zu klären, ob Aufnahmen von Personen eine oder mehrere Personen zeigen. Polizei und andere Sicherheitsbehörden nutzen die Schweizer Software, etwa nach dem Tiergartenmord in Berlin, als Aufnahmen von Überwachungskameras verglichen wurden.

„Die Software erkennt Gesichter, egal ob man plötzlich einen Bart oder Haare auf dem Kopf hat. Auch 20 Kilo mehr oder weniger machen nichts aus“, sagt Fehrlin. Selbst eine neue Nasenform, etwa durch einen Bruch oder einen Schönheitseingriff kann die Software filtern. „Damit die Software die gleiche Person nicht mehr erkennen kann, muss es signifikante Veränderungen im Gesicht geben.“

Datenschutz und Hackerangriffe: Gesichtserkennung ist nicht unumstritten

Bei der künstlichen Intelligenz, die zur Gesichtserkennung eingesetzt wird, wird die Aufnahme einer Person auseinandergenommen, in einzelne Vektoren. Die einzelnen Punkte des Gesichts einer Person werden dann mit den gleichen Punkten der Vergleichsaufnahme verglichen. „Das System sagt dann nicht: Die Person ist identisch oder nicht“, erklärt Fehrlin. Stattdessen wird eine Wahrscheinlichkeit angegeben.

Unumstritten ist die Gesichtserkennung nicht. Das Bundesamt für Sicherheit und Informationstechnik warnt etwa vor Manipulation und Hackerangriffen auf die künstliche Intelligenz. So hat die „New York Times“ bereits vor einigen Jahren berichtet, dass an einem US-amerikanischen Flughafen aufgenommene biometrische Daten plötzlich frei im Internet zugänglich waren.

Deutschland schließt biometrische Erkennung im öffentlichen Raum aus

Nun sind Überwachungskameras in den USA noch einmal anders verortet als in Deutschland, dennoch sind Datenschützerinnen und Datenschützer alarmiert. In Deutschland und in der EU hat man sich dafür entschieden, die Anonymität im öffentlichen Raum weiterhin zu wahren. „Biometrische Erkennung im öffentlichen Raum sowie automatisierte staatliche Scoring-Systeme durch KI sind europarechtlich auszuschließen“, heißt es im aktuellen Koalitionsvertrag.

Dennoch will es die rot-grün-gelbe Koalition ermöglichen, dass die Bilder nachträglich durchaus ausgewertet werden dürfen, etwa bei Kriminalfällen. Ein Vorhaben, das vielerorts kritisch gesehen wird – immerhin können sodann Menschen nur dadurch, sich zur gleichen Zeit wie ein vermuteter Krimineller, auf der Straße zu bewegen, erfasst werden – und möglicherweise für andere Dinge belangt werden.

Künstliche Intelligenz hilft bei der Verbrechensaufklärung

Die Richtlinien in der Schweiz und in der EU seien streng, sagt Fehrlin, die emotionale Debatte kann er daher nicht nachvollziehen. „Wir sprechen hier von geschlossenen Systemen.“ Er sieht eher die Vorteile, wie auch staatliche Organisationen wie etwa das Bundeskriminalamt und die Polizei: Bei der Menge an Daten, die heute verarbeitet und analysiert werden müssen, kommen Menschen an ihre Grenzen. Wird etwa ein Kinderpornoring aufgedeckt, müssen Ermittlerinnen und Ermittler teils mehrere Tausend Stunden Videomaterial untersuchen. „Ein Mensch erkennt eine Person, die er 4000 Stunden zuvor einmal auf einem Video gesehen hat, nicht wieder“, sagt Fehrlin, „wir haben eine hohe Effizienz.“

Binnen Sekunden kann aber die Software auswerten, wie oft welche Person an welchen Stellen der Videos zu sehen sind. Ermittlerteams können sich sodann auf den tatsächlichen Abgleich und die ausgewerteten Daten fokussieren. Auch verschwundene Menschen könnten binnen Sekunden Angehörigen zugeordnet werden, etwa Geflüchtete, die auf der Flucht von ihren Familien getrennt wurden. Oder eben vermisste Menschen, die nach Angehörigen suchen.

Falsche Maddie McCann: Macht sie es für Likes und Aufmerksamkeit?

Wie im Fall Julia, die glaubt, Maddie McCann zu sein. Macht die junge Polin das alles für Likes und Aufmerksamkeit in sozialen Medien? Möglich. „Das ist ein riesiger Bluff“, sagt Fehrlin. Möglich ist aber auch, dass sich die junge Frau tatsächlich auf der Suche nach ihrer eigenen Identität befindet. Sie berichtet von Missbrauch in jungen Jahren, von fehlenden Kindheitserinnerungen und davon, dass die Menschen, die sie für ihre Eltern hielt, keine konkreten Angaben machen, ob es tatsächlich die leiblichen Eltern sind. Ihre Eltern hätten ihr erzählt, dass sie früh in den Kindergarten gegangen sei, ihre Recherchen zeigen aber, dass sie nicht einmal ein Jahr im Kindergarten in Breslau gewesen sei.

Nun sucht Julia Antworten, mithilfe der sozialen Medien. Auch wenn sie offenbar nicht die ist, für die sie sich hält – sollte sie wirklich ihre Identität suchen, könnte künstliche Intelligenz eine Hilfe sein.

RND

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