Wirklich ein „Schnäppchen“? Haus in Recklinghausen weit unter Verkehrswert zwangsversteigert

Ein Schnäppchen? Haus am Stadtgarten wird unter Verkehrswert versteigert
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Wirklich voll war er nicht, der Saal 127 im Recklinghäuser Amtsgericht. Da gab es definitiv schon Zwangsversteigerungen, die wesentlich mehr Besucher angelockt haben – als direkte Interessenten oder nur als Schaulustige. Möglicherweise war es der vermeintliche Preis der zu versteigernden Immobilie, der in diesem Fall viele abschreckte: 610.000 Euro waren bereits Ende 2023 von einer Gutachterin als Verkehrswert errechnet worden. Am Ende wechselte das Gebäude samt Grundstück für eine wesentlich geringere Summe den Besitzer, aber es war trotzdem nicht klar, ob man tatsächlich von einem „Schnäppchen“ sprechen konnte.

Doch der Reihe nach: Der Vorsitzende Richter klärte die acht Personen, die letztlich auf den Besuchersitzen Platz genommen hatten, noch einmal ausführlich über den Sachverhalt auf. Zu versteigern sei eine Immobilie, die in unmittelbarer Nähe zum Stadtgarten liegt, was man in Recklinghausen gemeinhin als gute bis sehr gute Lage bezeichnet. Erbaut wurde das Gebäude im Jahr 1980, offiziell werde von einem Zweifamilienhaus gesprochen, weil es neben der Hauptwohnung mit knapp 120 Quadratmetern noch eine weitere Einliegerwohnung (53 Quadratmeter) gibt. Das Grundstück habe eine Größe von rund 500 Quadratmetern.

Luftbild aus Recklinghausen
In diesem rot umrandeten Bereich ist die versteigerte Immobilie zu finden. Unten sind die Plätze der Recklinghäuser Tennis-Gesellschaft (RTG) zu sehen. © RVR

Die gute Nachricht: Das Haus ist im Grunde unbelastet. Die nicht ganz so gute Nachricht für einen potenziellen Erwerber: Es besteht ein sogenanntes Nießbrauchsrecht, was bedeutet, dass die Hauptwohnung von einer Person bewohnt ist, die dort auch bis zu ihrem Lebensende bleiben darf. Der Richter erläuterte, dass es sich dabei um eine 84-jährige Frau handelt. Soll heißen: Solange diese dort bleibt, kann der neue Besitzer die Immobilie im Grunde nicht nutzen.

Und das hat Konsequenzen für den Prozess des Bietens: Für das Nießbrauchsrecht wird ein Ersatzwert von 100.000 Euro festgelegt, der vom Verkehrswert abgezogen wird, womit sich dieser auf „nur“ noch 510.000 Euro reduziert. Letzte Warnung vom Richter: Man übernimmt als Meistbietender, was man vorfindet, man kauft also die sprichwörtliche Katze im Sack.

Ein halbe Stunde wird fürs Bieten festgesetzt

Ebenfalls anwesend ist eine Rechtsanwältin, die als Insolvenzverwalterin die Zwangsversteigerung beantragt hat. Die aktuelle Bewohnerin des Hauses hat eine Tochter, die Insolvenz angemeldet hat, und diese ist auch Miteigentümerin der Immobilie. Ihr Anteil fließt somit in die Insolvenzmasse.

Dann kann’s losgehen, es wird eine Mindestzeit von einer halben Stunde fürs Bieten festgesetzt: Recht schnell erhebt sich ein Mann aus der letzten Reihe und gibt am Richtertisch sein Gebot von 50.000 Euro ab. Der Name des Bietenden wird genannt, es handelt sich um einen Arzt aus Recklinghausen. Zehn Minuten herrscht Stille im Saal, vereinzelt mustert man sich. Dann erhebt sich ein weiterer Mann, auch er gibt seine Personalien am Richtertisch an und die Höhe seines Gebots. Es stellt sich heraus, dass der Mann im Auftrag bietet, für die Sparkasse Langenfeld – und zwar 205.000 Euro.

Frontansicht des Recklinghäuser Amtsgerichts
Im Recklinghäuser Amtsgericht an der Reitzensteinstraße finden die Zwangsversteigerungen statt. © Jörg Gutzeit (Archiv)

Die beiden Bietenden verständigen sich, sie verlassen kurz den Saal und kehren gut gelaunt wieder zurück. Lange tut sich dann nichts mehr, es ist so ruhig wie im Kloster, die halbe Stunde verstreicht. „Bekomme ich noch ein Angebot?“, fragt der Richter, und da kommt Leben ins Spiel: Der Arzt bietet 250.000 Euro, der Sparkassen-Mann kontert mit 260.000 Euro. Und dann geht’s hin und her – in Zehn- oder Zwanzigtausenderschritten, bis der Arzt schließlich ein Ende signalisiert. 38 Minuten nach dem Start der Versteigerung erhält die Sparkasse Langenfeld für 380.000 Euro den Zuschlag, auch die Insolvenzverwalterin, die ein Vetorecht hat, stimmt zu.

Interessant ist: Die Sparkasse Langenfeld gehört auch zu den Gläubigern in dem oben erwähnten Insolvenzverfahren, und auf Nachfrage stellt sich heraus, dass das Kreditinstitut auch noch wesentlich mehr geboten hätte. Kurios ist, dass die Sparkasse damit vermutlich auch Geld aus der Insolvenzmasse erhält, das sie selbst eingezahlt hat. Aber die Herren von der Bank werden am besten wissen, ob sich das rechnet.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 24. November 2024.