Impfanreiz oder „Schattenpandemie“: Was das Ende der kostenlosen Corona-Tests für Folgen hat

Coronavirus

Bisher waren Corona-Tests zur Bekämpfung der Pandemie unverzichtbar. Nun kosten sie die Bürger Geld – das hat Folgen. Auch für den weiteren Verlauf der Pandemie.

Hameln

von Jessica Orlowicz

, 11.10.2021, 12:40 Uhr / Lesedauer: 5 min
Für Corona-Tests müssen Menschen in Deutschland jetzt aus eigener Tasche zahlen.

Für Corona-Tests müssen Menschen in Deutschland jetzt aus eigener Tasche zahlen. © picture alliance/dpa

Vor einem Corona-Testzentrum in Hamelns Innenstadt tut sich bei strahlendem Sonnenschein ein Bild auf, das zeigt, dass eine Krise eben auch verbindet: Mit den Händen in seinen ausgebeulten Jackentaschen wartet ein Obdachloser, nennen wir ihn Frank, auf sein Ergebnis. Sein Fahrrad, das für ihn als fahrbarer Untersatz und Zuhause fungiert, hat er an der Wand vor der Teststation angelehnt.

Es ist sein ganzer Stolz, denn Frank hat dem Rad mit rotem Nagellack seinen persönlichen Anstrich verpasst. „Wird’s bald? Wir essen zeitig“, scherzt er mit einem Mitarbeiter, der noch seine Einwegschürze trägt, doch augenscheinlich eine Pause macht. Auf die Frage, warum er sich an diesem Donnerstagvormittag auf das Coronavirus testen lässt, antwortet der Mann, der nach eigener Aussage seit 1988 auf der Straße lebt, dagegen ernst: „Um mich und andere zu schützen.“

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Doch was an diesem Donnerstagvormittag in Niedersachsen so selbstverständlich scheint, ist endlich. Die vom Bund seit Anfang März finanzierten Corona-Tests für die Bevölkerung laufen am 11. Oktober aus. Heißt: Wer künftig Gewissheit will, zahlt dafür bis zu 25 Euro. Ausnahmen gibt es nur für unter Zwölfjährige, Schwangere und Stillende oder Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen kein Impfangebot wahrgenommen haben.

Die kostenlosen Corona-Tests laufen aus: das Ende einer Ära

Still und heimlich verabschieden wir uns damit von einem laut Regierung einst „wichtigen Werkzeug im Kampf gegen die Pandemie, das hilft, den Alltag sicherer zu gestalten“. Wie wichtig die Tests auf Covid-19 zu Zeiten waren, in denen politische Maßnahmen mit einer örtlichen Sieben-Tage-Inzidenz zusammenhingen, zeigen Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI). Demnach erreichte die Maßnahme ihren Höhepunkt in der 51. Kalenderwoche des vergangenen Jahres, also um die Weihnachtsfeiertage herum. In diesem Zeitraum registrierte die Behörde 1.672.033 Proben.

So kam es, dass der Corona-Test zur Selbstverständlichkeit bei Reisen, Shopping oder Restaurantbesuch wurde. In der Hauptstadt gibt es heute, neben etlichen Angeboten in Apotheken, Einkaufszentren oder Freizeitparks, noch zwölf Testzentren, die der Senat von Berlin auf seiner Webseite listet. Rein rechnerisch bedeutet das für jeden Bezirk eine offizielle Stelle, auch im zweiten Pandemiejahr. Und auch im beschaulichen 57.000-Seelen-Städtchen Hameln sieht es noch nicht aus, als stünden die Testzentren vor ihrem unmittelbaren Ende. Allein in der Bäckerstraße, der Hauptstraße der Innenstadt, befinden sich kurz vor Ablauf der Frist zwei von ihnen: gleich gegenüber der Post oder neben dem Lieblingsfriseur.

Bund begründet das Ende der kostenfreien Bürgertests mit dem Impfangebot

Wie einst die Teststationen aus dem Boden schossen, taten es im weiteren Verlauf der Pandemie allerdings auch die Impfzentren. Sie werden den kostenfreien Corona-Tests für Bürgerinnen und Bürger jetzt zum Verhängnis. Denn der Bund begründet den Abschluss der Maßnahme damit, dass „mittlerweile allen ein unmittelbares Impfangebot gemacht werden kann“. Eine dauerhafte Übernahme der Kosten für alle Tests „durch den Bund und damit den Steuerzahler“ sei nicht länger erforderlich.

Laut Impfdashboard der Bundesregierung sind aktuell rund 65 Prozent der Deutschen zweifach geimpft. Das heißt im Umkehrschluss: Etwa 30 Millionen Menschen sind noch nicht vollständig gegen das Coronavirus immunisiert. Um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, sind sie theoretisch auf Tests angewiesen.

In Hameln lassen sich auch Geimpfte noch auf das Coronavirus testen

Aber auch Geimpfte brauchen im zweiten Pandemieherbst manchmal noch einen Corona-Test: Vor dem Testzentrum in Hamelns Innenstadt steht Angelika Jäger. Die 65-Jährige ist zwar geimpft. „Leider habe ich aber meinen Impfausweis zu Hause vergessen und wollte mit meiner Tochter etwas essen gehen.“ Bevor die beiden nun den Rückweg antreten, macht sie lieber kurz einen Schnelltest.

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Da ist sie offenbar nicht die Einzige: „Viele, auch von den Geimpften, kommen zu uns, weil der Test auch nur zehn Minuten dauert“, bestätigt Joel Goretzko, Mitarbeiter des Testzentrums. „Sie möchten sich sicherheitshalber noch mal testen, bevor sie in die Innenstadt gehen oder ins Krankenhaus, um Angehörige zu besuchen.“

Das Hamelner Klinikum steuern auch Michelle und ihre Mutter an. Die 15-Jährige ist altersbedingt noch nicht geimpft. Sie braucht das Testergebnis für den Einlass ins Krankenhaus.

Ob geimpft oder ungeimpft, Anlässe für Tests auf das Coronavirus gibt es offenbar noch genug. Die Nachfrage beschreibt Goretzko als recht stabil: „Es ist in letzter Zeit ein bisschen weniger geworden, aber man hat auf jeden Fall den ganzen Tag zu tun.“ Immerhin habe er jetzt die Möglichkeit, mal Pause zu machen.

Corona-Test: Deutschlandweit geht die Nachfrage zurück

Tatsächlich ging mit steigender Immunisierungsrate auch die Zahl der wöchentlich untersuchten Proben auf Sars-CoV-2 zurück. Anderswo löst sich deshalb nach anderthalb Jahren Corona-Krise das gesamte System hinter den Tests auf. In Hamburg etwa sind kommerzielle Zentren ab dem 11. Oktober nicht mehr durch den öffentlichen Gesundheitsdienst beauftragt. Damit verlieren sie ihre Berechtigung, Bescheinigungen auszustellen.

Gemäß einer Blitzumfrage unter 16 sächsischen Kreisverbänden des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) hatten zwölf von ihnen im Frühjahr dieses Jahres noch Testzentren betrieben, im September waren es noch acht. Auch in Niedersachsen geht das DRK davon aus, dass Zahl oder Größe der Stationen abnimmt.

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Als Gründe hierfür nennt der Verein eine „stetig sinkende Nachfrage“ und einen „erheblichen Mehraufwand“. Und eine erhöhte Einsatzintensität sei so lange tragfähig, wie es die Krisensituation erfordert.

Auch PCR-Tests waren zu Hochzeiten der Pandemie beliebter

Dass Corona-Tests insgesamt weniger nachgefragt werden, beobachtet auch das Hamelner Medizinlabor Nordlab: Im Laufe der Krise habe sich auch die Zahl der täglichen PCR-Proben von rund 2000 zu Hochzeiten der Pandemie halbiert, sagt Hans Christian Waldow, Facharzt für Laboratoriumsmedizin. Der Betrieb hier ist an diesem Donnerstagvormittag ebenfalls überschaubar. Nur vereinzelt sitzt Kundschaft im Wartezimmer.

Nordlab rechnet auch nicht damit, dass die Auftragslage in Kürze wieder anzieht, im Gegenteil: Es gibt einen Überschuss an Mitarbeitenden. „Von den zehn bis 15 Menschen, mit denen wir das Personal während der Höhepunkte der Pandemie aufgestockt haben, bleiben sicher nicht alle langfristig“, sagt Waldow. Immerhin: Viele von ihnen seien Schülerinnen und Schüler oder Studierende und daher nebenberuflich beschäftigt, der Jobverlust gehe für sie nicht mit Existenznot einher.

Weil die Diagnostik hinter einem PCR-Test wesentlich aufwendiger und genauer ist als bei einem Antigentest, kostet er jene, die ihn brauchen, bis zu 100 Euro. Das trifft laut Waldow auf Ungeimpfte und Geimpfte gleichermaßen zu. So verlangen etwa Veranstalter von Reisen oder Konzerten die Ergebnisse eines PCR-Test.

Wie sinnvoll ist das Ende der kostenlosen Corona-Tests im zweiten Pandemiejahr?

Aus medizinischer Sicht gibt es Zweifel daran, dass das Ende der kostenlosen Antigentests einen positiven Beitrag zur Pandemiebekämpfung leistet. „Infektionsepidemiologisch ist diese Maßnahme wenig sinnvoll, sondern erhöht nur den Druck zum Impfen“, betont Arzt Waldow.

Auch in der Politik ist die Maßnahme umstritten. Einige fordern bereits eine Verlängerung der kostenfreien Corona-Tests. „Ohne Gratistests werden wir weniger Testergebnisse bekommen und mehr Infektionen unerkannt bleiben“, warnte etwa der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen. „Wir laufen in eine Schattenpandemie.“ Auch Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) fürchtet negative Folgen: „Viele Menschen werden sich einfach nicht mehr testen lassen, die es besser tun sollten.“

„Sehen immer wieder Fälle von Geimpften, die knackig positiv sind“

Denn mit steigender Impfquote vertrauen offenbar auch viele auf ihre Immunisierung. Der Hamelner Labormediziner Waldow hält das nicht für gerechtfertigt: „Wir sehen immer wieder Fälle von zweifach oder dreifach Geimpften, die knackig positiv sind.“ Die Bundesregierung teilt diese Sorgen bislang offenbar nicht: Auf die Frage nach einer möglicherweise steigenden Dunkelziffer an Infizierten erklärt das Bundesgesundheits­ministerium auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), es könne dazu keine Einschätzung übermitteln.

Und wie wahrscheinlich ist eine Rückkehr der kostenlosen Corona-Tests, wenn nun eine dritte Impfung nötig wird und womöglich auch vollständig Geimpfte vielerorts wieder einen negativen Test benötigen? Auch dazu äußert sich das Ministerium in Berlin nicht, sondern verweist auf ein weiterhin flächendeckend zur Verfügung stehendes Netz an Stationen für Schnelltests.

Ob aber Menschen wie der obdachlose Frank aus Hameln darauf noch zurückgreifen, wenn das Ergebnis bis zu 25 Euro kostet, das bleibt offen. Die Möglichkeit dazu bleibt ihm in der Bäckerstraße jedenfalls – wenn auch begrenzt. Eines der beiden Testzentren schließt zum Start der kostenpflichtigen Corona-Tests.

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