„Im Herbst und Winter weiter Maske tragen“: Darum ist die Maskenpflicht so wichtig

Coronavirus

Experten fordern das Ende der Maskenpflicht auch in Innenräumen. Die Immunologin Prof. Christine Falk ist dagegen - vor allem, um die Kinder weiter zu schützen. Das hat einfache Gründe.

Berlin

von Saskia Heinze

, 09.10.2021, 13:21 Uhr / Lesedauer: 4 min
Eine Immunologin erklärt im Interview, warum die Maskenpflicht auch weiterhin so wichtig ist - vor allem bei Schülern.

Eine Immunologin erklärt im Interview, warum die Maskenpflicht auch weiterhin so wichtig ist - vor allem bei Schülern. © picture alliance/dpa

Prof. Christine Falk, die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie spricht sich dagegen aus, strenge Hygienemaßnahmen unter Kindern aufrecht zu erhalten. Die Sorge: Es kommt zu mehr Atemwegsinfekten, unter anderem mit dem RS-Virus.

Prof. Christine Falk: Dass wir jetzt wieder mehr Atemwegsinfekte als im Vorjahr bei den Kindern sehen, liegt auch daran, dass wir jetzt wieder mehr Kontakte und weniger Schutzmaßnahmen haben. Daraus kann man aber nicht ableiten, dass Maske tragen kontraproduktiv ist. Die Erfahrungen aus dem vergangenen Winter zeigen vielmehr: Infektionen müssen nicht zum Leben dazugehören.

Ist es für die Entwicklung des Immunsystems von Kindern und Jugendlichen nicht schädlich, wenn Erkältungsviren, RS-Viren und Grippeviren durch Maske tragen abgeschirmt werden?

Man kann schon vermuten, dass Infekte die Grundimmunität in gewisser Weise auffrischen und das im vergangenen Jahr teilweise ausgeblieben ist. Das Immunsystem braucht dann bei Kontakt mit respiratorischen Viren vielleicht etwas mehr Zeit, um anzuspringen. Aber die Sorge, dass man durch Maske tragen, Abstand halten und Lüften auf lange Sicht irgendwelche Schäden im Immunsystem anrichtet, kann man klar mit Nein beantworten.

Wieso?

Das Immunsystem bleibt trotzdem kompetent. Es arbeitet immer ‚gratis‘ für uns mit und funktioniert selbst unter sterilen Bedingungen. Es schläft nicht ein, und wird auch durch Maske tragen beim Zusammenkommen größerer Gruppen nicht träge. Auch weniger Kontakte über zwei Jahre hinweg schädigen den Aufbau des Immunsystems in Kinderjahren nicht.

Wie bildet sich das Immunsystem dann aus?

Das geniale am Immunsystem ist, dass es in Kindheit und Jugend aus dem Knochenmark ständig neue Immunzellen bildet. Es wird permanent ein riesiges Immunrepertoire gebildet, ohne dass man ihnen das durch äußere Einflüsse und Kontakt mit Erregern aus der Außenwelt sagen müsste. Da entstehen im Körper Milliarden verschiedene T-Zellen, B-Zellen, Makrophagen und Monozyten – also alle weiße Blutkörperchen, die wir so kennen.

Jede einzelne B-Zelle bildet ihren ureigenen Antikörper und hält den ganz automatisch vor. So sind bereits Kinder für den Großteil der Erreger gewappnet, die ihnen im Laufe des Lebens begegnen. Im Falle einer Infektion kann das Immunsystem anspringen und spezifisch gegen den Erreger vorgehen.

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Dazu kommt, dass Kinder trotz Maßnahmen ständig alles mögliche einatmen, was an Dreck und Pollen so durch die Luft wirbelt. Antigene und Pathogene erreichen die Lunge und stimulieren das Immunsystem – auch wenn in bestimmten Situationen wie dem Schulunterricht Maske getragen wird.

Nun haben sich erste Bundesländer bereits von der Maskenpflicht im Schulunterricht verabschiedet.

Die Maskenpflicht an Schulen jetzt aufzuheben, basiert auf der Annahme, dass Kinder bei einer Coronavirus-Infektion nur geringe Symptome haben und deshalb Sars-CoV-2 im Körper keinen nachhaltigen Schaden anrichtet. Aber das kann ich als Immunologin so nicht bestätigen. Wir wissen von den über 18-jährigen Long Covid-Patienten, dass sie trotz geringer Symptomatik eigenartige Verschiebungen im Immunsystem haben und daher noch Monate nach der Infektion immunologisch beeinträchtigt sein können.

Und bei Kindern?

Bei Kindern ist das noch nicht ausreichend untersucht. Wir wissen also gar nicht, wie gefährlich das Coronavirus für Jüngere auf lange Sicht ist und ob dadurch zum Beispiel höhere Risiken für Autoimmunerkrankungen, Lungenerkrankungen oder kognitive Einschränkungen entstehen könnten. Auch bei anderen Viruserkrankungen wie der Grippe ist es doch ein positiver Effekt, wenn schwere Verläufe, die es auch bei Jüngeren in Einzelfällen geben kann, durch Hygienemaßnahmen verhindert werden.

Sie sprechen sich also wie das RKI für Masken, Abstand und Lüften bis 2022 aus?

Dass Maske tragen unangenehm ist und nervt, ist klar. Aber wir können Kinder vor Corona und auch vor vielen anderen respiratorischen Viren schützen, wenn wir im Herbst und Winter weiter Maske tragen, auf Abstand und unsere Kontakte achten. Wenn man das nicht macht, kann man sich wie früher alle diese Viren wieder einfangen. Schon jetzt zirkulieren ja viele verschiedene Erreger unter den Jüngeren.

Und wenn die Pandemie vorbei ist?

Warum lernen wir nicht aus der Krise und nehmen ein paar Schutzkonzepte mit in die Zukunft? Ich persönlich werde auch nach der Pandemie in der Grippesaison beim Bahnfahren Maske tragen, weil ich keine Lust darauf habe, mir eine Infektion einzufangen. Auch wenn es dann wahrscheinlich keine Pflicht mehr braucht, wäre es doch toll, wenn sich niemand mehr in der Öffentlichkeit dafür rechtfertigen muss, sich und andere vor Viren zu schützen.

Kinder und Jugendliche erkranken vergleichsweise selten schwer an Covid-19. Es kann aber auch vorkommen. Ist immunologisch inzwischen erklärbar, woran es liegt, dass manche schwerer an Covid-19 erkranken als andere?

Das ist eine Art Zufallsgenerator im Immunsystem. Bei jeder Infektion wird quasi neu gewürfelt, was aus unserem Repertoire zur Verfügung steht. Wenn man Immunreaktionen misst, sieht man dann Menschen, die sogenannte High-Responder sind – mit super T-Zellen und Antikörpern. Es gibt aber auch Low-Responder, die zufällig weniger gute Antikörper parat haben. Das macht es so schwierig, vorab sagen zu können, ob jemand schwer erkrankt. Deshalb sind auch Impfdurchbrüche durchaus zu erwarten gewesen.

Die Daten zeigen inzwischen eindeutig, dass die Impfung bei der Delta-Variante weniger gut Übertragungen verhindert als zunächst angenommen. Besorgt Sie das?

Die Impfung schützt trotzdem noch sehr gut vor Covid-19. Unter den derzeit Erkrankten sind nur sehr wenige Geimpfte, und das sind in den allermeisten Fällen über 60-Jährige mit Vorerkrankungen. Sie zählen ja auch besonders oft zu den Low-Respondern. Die Antikörper verhindern dann nicht vollständig, dass die Coronaviren Zellen im Hals-Nasenraum infizieren.

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Deshalb kommt es zur Ansteckung – und auch zu Symptomen. Trotzdem erzeugt die Impfung auch bei von Impfdurchbrüchen Betroffenen einen messbaren Vorsprung. Neben Antikörpern rücken dann auch die T-Zellen auf den Plan und können dem Virus vorbereiteter als ohne Impfschutz die Stirn bieten und seine Ausbreitung im Körper verhindern. Ohne die Impfung wäre der Verlauf also noch schwerer.

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Für die Normalbevölkerung brauchen wir bei der Delta-Variante nach heutigem Stand keine dritte Impfung. Aber wenn wir verhindern wollen, dass in den Alten- und Pflegeheimen noch einmal eine Welle rollt, und doch noch einige so schwer erkranken, dass sie eine Behandlung im Krankenhaus benötigen, macht eine Auffrischung für Ältere auf jeden Fall Sinn. Deshalb bin ich sehr glücklich darüber, dass die Stiko nun den über 70-Jährigen die Impfung empfiehlt.

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