Familienministerin Christine Lambrecht (SPD) war am Freitag im Freizeitzentrum Lüner Höhe in Kamen zu Gast.

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Hilfe für Kinder nach der Pandemie: „Bräuchten eine 78-Stunden-Woche“

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Bundesministerin Christine Lambrecht besuchte Kamen und berichtete von einem milliardenschweren Hilfspaket, das Kindern und Jugendlichen beim „Aufholen“ nach Corona helfen soll. Doch Geld ist längst nicht alles.

von Kevin Kohues

Kamen

, 14.08.2021, 09:00 Uhr / Lesedauer: 2 min

Christine Lambrecht zählt zu den eher weniger bekannten Gesichtern im Kabinett von Angela Merkel, hat nicht die mediale Präsenz wie ein Spahn, Seehofer oder Maas. Dabei ist die SPD-Politikerin nicht nur seit 2019 Justizministerin, sondern seit dem Rücktritt von Franziska Giffey infolge der Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit seit einigen Monaten auch noch für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zuständig.

Austausch auf der Lüner Höhe (v.l.): Bürgermeisterin Elke Kappen, Ministerin Christine Lambrecht, JFZ-Leiter Michael Wrobel und MdB Oliver Kaczmarek.

Austausch auf der Lüner Höhe (v.l.): Bürgermeisterin Elke Kappen, Ministerin Christine Lambrecht, JFZ-Leiter Michael Wrobel und MdB Oliver Kaczmarek. © Marcel Drawe

In letzterer Funktion war die 56-Jährige am Freitag im Freizeitzentrum Lüner Höhe zu Gast. Der heimische Bundestagsabgeordnete Oliver Kaczmarek hatte Lambrecht eingeladen, um mit Vertretern aus Kita, Schule, Jugend- und Seniorenarbeit über das Corona-Aufholpaket, mögliche gezielte Hilfen für Kinder, Jugendliche und Familien sowie weitere Lehren aus der Pandemie zu sprechen.

Zwei Milliarden Euro stellt der Bund in diesem und im nächsten Jahr bereit, damit Kinder Lernrückstände abbauen und wieder mehr soziale Kontakte knüpfen können. „Auf andere Kinder zuzugehen, das sind viele ja gar nicht mehr gewohnt nach über einem Jahr vorm Bildschirm“, sagte Lambrecht mit Blick auf das Home-Schooling. Es soll mehr Sprachförderung in Kitas geben, mehr Kinder- und Jugendfreizeiten, einen Freizeitbonus von 100 Euro pro Kind aus bedürftigen Familien, um nur einige Bausteine zu nennen.

Kita-Leiterin: „Wir bräuchten eine 78-Stunden-Woche“

Die Teilnehmer aus der Praxis begrüßten das Paket durchaus, doch aus ihren Worten wurde auch deutlich, dass Geld allein längst nicht alles ist. Alexandra Bartosch etwa, Leiterin der Kita „Arche Noah“ in Rünthe, berichtete von psychisch „unheimlich belasteten“ Eltern. Die Eltern seien müde, erschöpft, erschräken mitunter selbst darüber, wie sie mit ihren Kindern umgehen. Ehen gingen in der Pandemie kaputt, die Familienberatungsstellen seien überlaufen – „um das alles aufzufangen, bräuchten wir eine 78- statt einer 39-Stunden-Woche“, so Bartosch.

Alexandra Bartosch, Leiterin der Kita „Arche Noah“ in Rünthe,

Alexandra Bartosch, Leiterin der Kita „Arche Noah“ in Rünthe, berichtete davon, wie hoch die psychische Belastung für die Eltern seit Pandemiebeginn war. © Marcel Drawe

Die Psychologin Andrea Brinkmann, Leiterin der Familienberatungsstelle für Kamen und Bergkamen, äußerte den Wunsch, den „Druck von außen“ mal für ein Jahr rauszunehmen. „Es sind alle belastet, und gerade die Jugendlichen fallen da manchmal hinten rüber. Dass alle mal wieder ein bisschen lockerer werden, wäre ein Traum“, so Brinkmann.

Psychologin Andrea Brinkmann, Leiterin der Familienberatungsstelle für Kamen und Bergkamen

Die Psychologin Andrea Brinkmann, Leiterin der Familienberatungsstelle für Kamen und Bergkamen, äußerte den Wunsch, den „Druck von außen“ mal für ein Jahr rauszunehmen. © Marcel Drawe

Schulleiter: „Wir brauchen das nicht befristet, sondern nachhaltig“

Doch nach einer kurzen Phase des Ankommens müsse in den Schulen ab September der Stoff wie immer durchgezogen werden, berichtete Peter Wehlack als Leiter der Realschule aus einem aktuellen Brief der Schulministerin. „Wir brauchen auch strukturelle Unterstützung“, appellierte er.

Peter Wehlack, Leiter der Fridtjof-Nansen-Realschule

Peter Wehlack, Leiter der Fridtjof-Nansen-Realschule, forderte mehr „strukturelle Unterstützung“ ein. © Marcel Drawe

„Was nützen mir fünf Förderprogramme, wenn ich gar nicht weiß, wie ich das umsetzen soll“, so Wehlack mit Blick auf nötiges Personal für Anträge und Abrechnung, aber auch Schulsozialarbeiter. Und: „Wir brauchen das alles nicht befristet, sondern nachhaltig.“

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Ähnliches wusste Leiterin Conni Gorny aus dem Familienzentrum Atlantis in Bezug auf die Alltagshelfer in Kitas zu berichten. „Die brechen uns jetzt wieder weg und dann muss das Team, das knapp über der Mindestbesetzung ist, die Hauswirtschaft noch mit schultern.“ Dabei bräuchte es eigentlich dringend mehr Zeit für Gespräche mit den Eltern.

Die Ministerin hörte aufmerksam zu, machte sich Notizen. Sie bedankte sich für die Rückmeldungen, die ins Aufholprogramm eingearbeitet werden müssten. „Vielleicht“, so Lambrecht, „müssen wir den Schwerpunkt noch auf andere Bereiche legen.“