Ute K. präsentiert unserer Redaktion zwei der nachgeahmten historischen Bücher, die ihre Bekannte für viel Geld gekauft hat. Vor ihr aufgeschlagen liegt das Faksimile der „Harmonia Macrocosmica“, daneben der „Atlas Gerardus Mercator“.

© Carola Wagner

Zehntausende Euro weg: Hertenerin an der Haustür mit neuem Bücher-Trick betrogen

rnOpfer früher im Bertelsmann-Buchclub

Eine super Geldanlage in Zeiten von Minuszinsen und Inflation? Der Vertreter legt gewichtige Argumente auf den Küchentisch: riesige, wertig anmutende Bücher. Und schon schnappt die Falle zu.

Disteln

, 31.01.2022, 17:30 Uhr / Lesedauer: 2 min

„Harmonia Macrocosmica“ lautet der Titel des Buchs, das vor Ute K. auf dem Tisch liegt. Ein schwerer Band, mit Leder ummantelt. Die Distelnerin zieht die weißen Baumwollhandschuhe an, die dazugehören. Das Prachtstück soll ja auf keinen Fall Schaden nehmen, schließlich will dessen Besitzerin es irgendwann zu Geld machen. Zehntausende Euro hat sie für dieses und einige ähnliche „Werke“ hingeblättert. „Eins kostete 4999 Euro, ein weiteres 9999 Euro, ein anderes sogar 13.499 Euro“, berichtet Ute K.

Der Buchrücken des „Atlas Gerardus Mercator 1595“ – sieht alt aus, ist es aber nicht.

Der Buchrücken des „Atlas Gerardus Mercator 1595“ – sieht alt aus, ist es aber nicht. © Carola Wagner

Original erzielt 30.000 Euro, Imitat gibt es für 250 Euro

Vorsichtig blättert sie durch die angeblich so wertvolle Faksimile-Ausgabe des historischen Sternenatlasses von Andreas Cellarius, dessen Original um 1660 veröffentlicht wurde. Eine Recherche im Internet ergibt: Tatsächlich wurde ein Original dieses berühmten Himmelsatlanten im Jahr 2006 für 30.000 Euro versteigert. Auch die Nachbildung sei eine phänomenale Wertanlage und zur Altersvorsorge wie geschaffen, habe der Verkäufer gesagt.

Als die Käuferin, eine Bekannte von Ute K., davon erzählt, wird die Distelnerin angesichts der horrenden Summen misstrauisch und beginnt zu recherchieren. Sie sagt: „Exakt diesen nachgemachten Band kann man im Internet zu Preisen ab circa 250 Euro kaufen.“

Opfer behält den Betrug voller Scham für sich

Die Erkenntnis, dass sie offenbar Betrügern auf den Leim gegangen ist und ihre sauer verdienten Ersparnisse verloren sind, ist ein Schlag für die alleinstehende Dame. Voller Scham behält sie die Sache für sich. Erst die ihr nahestehende Ute K. bricht das Schweigen, holt Rat bei einer Bielefelder Anwaltskanzlei, die sich mit Hunderten Fällen dieses Kalibers befasst, und informiert unsere Redaktion. Sie will den Betrügern ihr Handwerk legen. „Es darf nicht sein, dass sie unbehelligt hilflose Personen über den Tisch ziehen.“

Dubiose Vertreter ziehen mit perfider Masche durchs Land

Tatsächlich ist die betrogene Hertenerin nicht allein. Deutschlandweit fallen zahlreiche Menschen auf die perfide Masche rein. Vor allem Senioren, die sich nicht gegen die Psychotricks der Verkäufer zu wehren wissen, tappen in die Falle. Die Opfer sind zumeist ehemalige Mitglieder des Bertelsmann-Buchclubs, der in den 1980er- und 90er-Jahren weltweit über 25 Millionen Mitglieder zählte. 2014 wurde der Direktvertrieb beendet. Seither ziehen offenbar dubiose Vertreter im Namen von Nachfolgeorganisationen des Bertelsmann-Clubs durchs Land und schwatzen den Leuten nachgeahmte Prachtbände auf. Zahlreiche Medien berichteten bereits über die immer gleiche Masche. Selbst Opfer, die kein Geld haben, werden abgezockt. Die Vertreter begleiten sie zur Bank, lassen sie dort einen Kredit aufnehmen und kassieren dann sofort die Tausender. Am Ende bleiben die Geprellten mit den völlig überteuerten Büchern und einem Haufen Schulden zurück.

Polizei verweist aufdringliche Drücker des Grundstücks

Ute K. hat dafür gesorgt, dass die Betrüger ihre Bekannte künftig in Ruhe lassen. Sie sprach ihnen gegenüber ein Betretungsverbot für das Grundstück aus, auf dem die Betrogene wohnt. Als die Drücker zuletzt am 26.1. an deren Haustür in Disteln vehement Einlass begehrten, rief sie den Notruf 110 der Polizei. Die kam auch rasch mit Blaulicht angefahren und erteilte einen Platzverweis. Ute K. erzählt: „Sie rufen ständig an und gehen erst, wenn sie ihr Ziel erreicht haben. Einer kam um 20 Uhr und blieb bis Mitternacht. So machen sie ihre Opfer mürbe. In meinen Augen ist das Psycho-Folter.“ K. ist eine selbstbewusste Person, ihren Nachnamen gibt sie nach dieser Erfahrung dennoch nur unserer Redaktion preis.

Tipp: Niemanden in die Wohnung lassen, nichts unterschreiben

Die Polizei rät grundsätzlich von Haustürgeschäften ab und empfiehlt: Niemanden in die Wohnung lassen, nichts unterschreiben, sich nicht unter Druck setzen lassen und im Zweifel die Polizei (Notruf 110) rufen.

Im beschriebenen Fall ruht nun die Hoffnung auf den beauftragten Anwälten. „Das Geld muss zurückgezahlt werden“, meint Ute K. „Angeblich ist ein Widerruf in solchen Fällen noch nach Jahren möglich.“

Info

- Die „Harmonia Macrocosmica“ ist ein historischer Sternatlas von Andreas Cellarius mit zahlreichen Kupferstichen, der 1660 von Johannes Janssonius veröffentlicht wurde. Darin werden die Erkenntnisse frühneuzeitlicher Astronomie umfassend in barocker Prachtentfaltung dargestellt. Der erste Teil enthält Stiche der Weltansichten von Claudius Ptolemäus, Nikolaus Kopernikus und Tycho Brahe. Im Jahr 2006 wurde ein Original dieses berühmten Himmelsatlas‘ für 30.000 Euro versteigert. - Imitate der „Harmonia Macrocosmica“ wie jene, die von den Drückern für teils über 10.000 Euro als angeblich gewinnbringende Wertanlagen an ahnungslose Käufer gebracht werden, sind nach unseren Recherchen bei Ebay in reicher Zahl aktuell zu Preisen ab 170 Euro im Angebot. Das trifft auch auf die Replik des Atlas Gerardus Mercator von 1595 zu, den die betrogene Hertenerin ebenfalls erworben hat. Auch dieses Machwerk ist in Mengen auf Ebay zu finden.
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