
© Tina Brambrink
Uwe Heubach (66) überbringt Todesnachrichten und ist ein Ersthelfer für die Seele
Notfallseelsorge
Als Notfallseelsorger überbringt Uwe Heubach Todesnachrichten und steht Angehörigen in der emotionalen Ausnahmesituation bei. Für seine Einsätze gibt es kein „Schema F“.
Er betreut Menschen, denen es nach dem Tod eines Angehörigen den Boden unter den Füßen weggerissen hat. Ob nach Verkehrsunfall, Unglück, medizinischem Notfall oder Suizid – Uwe Heubach kennt die Situationen zur Genüge, die für Außenstehende extrem belastend und unangenehm klingen. Seit zehn Jahren werden der Hertener und seine Kolleginnen und Kollegen von der ökumenischen Notfallseelsorge Emscher-Lippe von Feuerwehr, Polizei oder Rettungsdienst gerufen, wenn plötzlich jemand verstirbt und Angehörige Ersthilfe für die Seele benötigen. Ein Einsatz ging dem 66-Jährigen besonders nah.
Von jetzt auf gleich bleibt die Welt stehen
Sein Telefon kann rund um die Uhr klingeln. „Wir werden direkt über die Leitstelle der Feuerwehr alarmiert, die online auf unseren Dienstplan zugreifen kann“, berichtet Uwe Heubach. Immer erwarten ihn Schreckensszenarien, die niemand erleben möchte und für die es keine Routine gibt. „Wir treffen auf Menschen, für die die Welt von jetzt auf gleich stehen geblieben ist. Sie brauchen meine volle Aufmerksamkeit, ich höre zu, bin da, halte aber auch ihr Schweigen aus“, erklärt Uwe Heubach, der wie die anderen Mitarbeiter der Notfallseelsorge natürlich entsprechend geschult ist.
„Nur ganz wenige wollen nicht reden“
So unterschiedlich Reaktionen und Hilfe auch sein können – eins ist immer gleich. Die Todesnachricht überbringt zunächst ein Vertreter der Polizei, Personalien werden geklärt. Die Polizei schildert, was passiert ist. Erst wenn die Frage nach dem Warum kommt, ist der Notfallseelsorger am Zug.
Jeder reagiere in einer emotionalen Ausnahmesituation anders. Manche Menschen sind ganz still, fassungslos. Andere weinen, schreien, lassen ihren Gefühlen freien Lauf. Seine Erfahrung: „Wenn ich Ruhe ausstrahle, vermittle ich Sicherheit. Die Not braucht Wertschätzung. Reden hilft. Irgendwann öffnen sich die Betroffenen. Manchmal helfen auch ganz banale Dinge wie das Kaffee machen, um sie aus der Ohnmacht zu holen und ihre Handlungsfähigkeit wiederherzustellen.“ Es gebe kein „Schema F“ für die Arbeit des Notfallseelsorgers. Nur ganz wenige wollen bis zuletzt kein Gespräch. „Das respektieren wir natürlich und lassen dann unseren Flyer mit einer Notfall-Telefonnummer da.“
Ein bis zwei Stunden sei der Notfallseelsorger in der Regel vor Ort. Wenn kein soziales Netzwerk vorhanden ist, wird ein sozial-psychiatrischer Dienst eingeschaltet. „Ich gehe erst, wenn die Menschen nicht allein sind und jemand anderes übernimmt.“
„Wenn Kinder involviert sind, ist es besonders schwer“
Und manchmal hat auch der Notfallseelsorger nach einem Einsatz Redebedarf. So wie vor sechs Jahren nach dem Absturz der Germanwings-Maschine mit 16 getöteten Schülerinnen und Schülern und zwei Lehrern aus Haltern. Er habe die Polizei damals zu zwei, drei betroffenen Familien begleitet und die schreckliche Nachricht überbracht. „Das ist auch mir sehr nah gegangen.“ Überhaupt gelte: Immer wenn Kinder involviert sind, wird es besonders schwer.
Solche Katastrophen seien aber die Ausnahme. Bei den meisten Einsätzen handelt es sich um häusliche Todesfälle. Menschen brechen leblos zusammen, Angehörige rufen den Rettungsdienst. Danach folgen in der Häufigkeit Suizide, die Zahl ist in 2021 auch in Herten gestiegen, und Verkehrsunfälle. Erst kürzlich sei ein Hertener Familienvater mit einem Herzinfarkt am Steuer verunfallt. Oder eine ganze Firmenbelegschaft hatte Gesprächsbedarf, nachdem sich ein Kollege das Leben genommen hat.
Uwe Heubach, der 20 Jahre evangelischer Gemeindepfarrer in Scherlebeck und bis zum Vorruhestand in 2016 Klinikseelsorger an der Paracelsusklinik Marl war, koordiniert die ökumenische Notfallseelsorge Emscher-Lippe zusammen mit seinem katholischen Kollegen Peter Bromkamp. Rund 80 Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger haben sich in den letzten zehn Jahren für das Ehrenamt qualifiziert. Erstaunlich viele Menschen stellen sich der schwierigen Aufgabe. „Die Teilnehmer kommen aus allen Berufssparten. Sie müssen über eine gewisse Lebenserfahrung verfügen, sollten mindestens 30 Jahre alt, sensibel und empathisch sein. Wir brauchen keine Schwätzer.“
- Die ökumenische Notfallseelsorge Emscher-Lippe ist für den Kreis Recklinghausen sowie die Städte Bottrop und Gladbeck und damit drei Bistümer sowie drei Kirchenkreise zuständig.
- Im Notfallseelsorgezentrum Herten in den Räumen der katholischen Kirchengemeinde St. Antonius, Am Antoniusplatz 2, laufen alle Fäden für die sechsmonatigen Schulungen und regelmäßige Teamsitzungen zusammen.
- Die beiden Seelsorger und rund 80 Freiwillige haben im Jahr 2021 175 Einsätze betreut. Zum Vergleich: 2020 waren es 150 Einsätze. Zwölf Ehrenamtler haben eine Zusatzausbildung für besondere psychische Ausnahmesituationen wie größere Katastrophen, Massenunfälle etc.
- Zehn neue Notfallseelsorger haben ihre Schulung gerade beendet. Der nächste Kurs startet im September 2022. Wer sich für die Arbeit interessiert, kann sich hier informieren: www.notfallseelsorge-emscher-lippe.de
- Die Arbeit der Notfallseelsorger ist kostenlos, Spenden nimmt der Förderverein entgegen, Tel: 0 23 66/9 40 70 53, E-Mail: info@notfallseelsorge-el.de
Geboren im Münsterland, nach dem Studium privat in Haltern am See hängen geblieben und seit 30 Jahren beruflich in Recklinghausen zu Hause. Trommelt dort mit Leidenschaft für Kultur- und Bildungsthemen. Liebt aber auch alle anderen Geschichten des Lebens und erzählt gerne von Menschen: was sie bewegt, was sie ärgert, wofür sie brennen… Nach Feierabend entweder volle Pulle auf dem Spinningrad, mit angezogener Handbremse auf der Yogamatte, mit Freunden in der Natur oder in den wärmeren Gefilden der Welt unterwegs.
